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Rücktritt: Anne Spiegel ist dem Druck gewichen

Regierung

Familienministerin Anne Spiegel ist dem Druck gewichen

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    Familienministerin Anne Spiegel ist nach der Entschuldigung für ihren vierwöchigen Familienurlaub nach der Flutkatastrophe im vergangenen Sommer von ihrem Amt zurückgetreten.
    Familienministerin Anne Spiegel ist nach der Entschuldigung für ihren vierwöchigen Familienurlaub nach der Flutkatastrophe im vergangenen Sommer von ihrem Amt zurückgetreten. Foto: Annette Riedl, dpa

    Der Rücktritt lag in der Luft. Um 19.50 Uhr am Sonntag informierte das Familienministerium von Anne Spiegel, dass die Chefin um 21 Uhr vor die Presse treten werde. Solch kurzfristige Ankündigungen sind oft ein Hinweis, dass im Bundeskabinett eine Veränderung ansteht. So ganz stimmte das nicht. Die Grünen-Politikerin beließ es zunächst bei einer Entschuldigung, die ebenso verstörend wie verstört vorgetragen wurde. Siebzehneinhalb Stunden später dann aber doch: Anne Spiegel ist von ihrem Posten zurückgetreten und hat Kanzler Olaf Scholz die erste Kabinettsumbildung beschert. Ihr Schritt wurde von der Grünen-Parteispitze als „richtig“ bezeichnet, Spiegel selbst wollte damit „Schaden vom Amt“ abwenden.

    Spiegels Rücktritt stand direkt im Zusammenhang mit einem Urlaub nach der Flutkatastrophe im Ahrtal, ihr Vorgehen insgesamt warf Fragen nach dem Selbstverständnis von Politik auf und ließ das Wahlvolk zweifeln. Die damalige rheinland-pfälzische Umweltministerin hatte sich im letzten Sommer vier Wochen Auszeit in Frankreich genehmigt, während viele Familien Tote und den Verlust ihrer Häuser beklagten. Der Vorgang kam erst durch einen Bericht der Bild ans Licht. Die 41-Jährige sagte zudem die Unwahrheit. Angaben, sie habe aus dem Urlaub heraus per Konferenzschalte an Kabinettssitzungen teilgenommen, stimmten nicht. Spiegel entschuldigte sich, führte familiäre Gründe an. Ihr Mann habe im März 2019 einen Schlaganfall erlitten, die vier Kinder seien durch die Corona-Pandemie belastet gewesen.

    Die Reaktionen auf Spiegels Statement waren zwiegespalten

    Ihr Statement löste bei den Zuschauerinnen und Zuschauern vielfältige Reaktionen aus.  Einige sahen eine Pressekonferenz „die unter die Haut gegangen ist“, wie Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) es ausdrückte. Andere empfanden Mitleid mit einer Ministerin, die unbeholfen vor die Mikrofone tapste und sich offenbar der Liveschaltung nicht bewusst war. „Jetzt überlege ich gerade, ob ich noch irgendwas.… Jetzt muss ich es noch irgendwie abbinden“, wandte sie sich während der Aufzeichnung hilfesuchend an ihren Stab. Noch andere wiederum folgten dem Beispiel von CDU-Chef Friedrich Merz und forderten ihren Rücktritt. Kanzler Scholz zeigte sich davon zunächst unbeeindruckt. Spiegels Auftritt habe ihn sehr bewegt und betroffen gemacht, ließ der SPD-Politiker über Vize-Regierungssprecherin Christiane Hoffmann gegen Mittag erklären. Der Kanzler arbeite mit der Ministerin „eng und vertrauensvoll zusammen“, betonte sie da noch.

    Der Ball lag damit in den Reihen der Grünen. Die Parteispitze hatte, so war aus Parteikreisen zu vernehmen, Spiegel um einen Rücktritt gebeten. Die Performance der Ministerin galt als schwach, ihre Fehltritte im Land setzte sie im Bund fort. Knapp vier Wochen lang sagte sie Termine „infolge einer Corona-Erkrankung“ ab, sprach nicht im Bundestag, saß tags darauf aber im Kabinett. Vergangene Woche trat die Grüne bei der Parlamentsdebatte über Hilfen für ukrainische Frauen, Kinder und Jugendliche auf und verpatzte bei diesem ihr angeblich so wichtigen Thema gleich den ersten, noch dazu unbeholfenen Satz. „Es ist nun fünf Wochen her, dass dieser schreckliche Angriffskrieg von Putin in der Ukraine gestartet hat“, hub Spiegel an, um sich auf Zuruf zu korrigieren: „Sechs Wochen, pardon“.

    Spiegels Entscheidung fiel aufgrund des politischen Drucks, nicht aus Einsicht

    Spiegel gab am Ende nach, wenn auch offenbar nicht aus Einsicht in eigenes Fehlverhalten. „Sehr geehrte Damen und Herren, ich habe mich heute aufgrund des politischen Drucks entschieden, das Amt der Bundesfamilienministerin zur Verfügung zu stellen“, erklärte sie in einer Pressemitteilung, die um 14.35 Uhr an die Redaktionen verschickt wurde. Sie tue dies, „um Schaden vom Amt abzuwenden, das vor großen politischen Herausforderungen steht“. Diesen Sätzen folgte der übliche Dank an die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter – und Schluss. Von persönlichen Fehlern ist nicht die Rede.

    Die Grünen-Parteispitze wurde in Husum von den Vorgängen kalt erwischt. Sie hatte sich in den schleswig-holsteinischen Küstenort zu allgemeinen Beratungen zurückgezogen, musste sich dann aber zunächst speziell um die Causa Spiegel kümmern. Aus Parteikreisen ist von „intensiven Gesprächen“ zwischen den Parteivorsitzenden Ricarda Lang und Omid Nouripour sowie Spiegel zu hören. Die Ministerin, die kein Bundestagsmandat hat, habe zunächst nicht weichen wollen, dann aber eingesehen, dass sie in der Partei keinen Rückhalt mehr habe.

    Nachfolgerin könnte Staatssekretärin Ekin Deligöz werden

    Lang und Nouripour sprachen nach Spiegels Rücktritt die üblichen Dankesworte, äußerten ihren Respekt. Wer Spiegel folgen soll, war zunächst noch unklar. Man werde „zeitnah“ eine Entscheidung treffen, erklärte Nouripour. Chancen wurden Spiegels Staatssekretärin Ekin Deligöz eingeräumt. Die Grünen-Politikerin ist seit 1998 Bundestagsabgeordnete. Im November 2020 wurde sie kinder- und familienpolitische Sprecherin ihrer Fraktion, die verheiratete Mutter zweier Kinder gilt zudem als ausgewiesene Haushaltsexpertin und könnte vom Fleck weg übernehmen.

    Spiegel trat auch zurück, um Schaden von den Grünen in Nordrhein-Westfalen abzuwenden. Am 15. Mai wird dort ein neuer Landtag gewählt und die Grünen hätten Chancen, zusammen mit der SPD wieder die Regierung zu stellen. Dies umso mehr, weil sich die NRW-CDU mit dem amtierenden Ministerpräsidenten Hendrik Wüst an der Spitze gerade selbst zerlegt. Die nordrhein-westfälische Umweltministerin Ursula Heinen-Esser (CDU) urlaubte im Anschluss an die Flutkatastrophe auf Mallorca und feierte dort den Geburtstag ihres Mannes. Drei weitere Regierungsmitglieder von der CDU nahmen teil, die „Mallorca-Affäre“ könnte Spitzenkandidat Wüst den Sieg kosten. Bisher hatte der Nachfolger von Armin Laschet gute Karten, lag mit SPD-Herausforderer Thomas Kutschaty etwa gleichauf.

    Heinen-Esser ist inzwischen zurückgetreten. Dass Spiegel es ihr nachmachte, könnte verhindern, dass den Landes-Grünen einen Einbruch erleben, wie ihn der CDU wohl bevorsteht. Auf Bundesebene wird Kanzler Scholz auf eine schnelle Nachfolgeregelung dringen. Der SPD-Politiker hat mit Verteidigungsministerin Christian Lambrecht und Gesundheitsminister Karl Lauterbach zwei Parteifreunde im Kabinett, die als angeschlagen gelten. Eine umfassende Kabinettsumbildung deutete sich am Montag jedoch nicht an.

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