Als die Maschine auf der Landebahn des Stadtflughafens Ciampino aufsetzt, nach nur 50 Minuten Flug von München nach Rom, ist über den Wolken gerade die Sonne aufgegangen und der Himmel strahlt fröhlich in satt-buntem Orangerot. Drunten, auf der Erde, wacht Rom gerade erst auf. Ein dichter Nebelschleier hat sich wie ein tuffig-weißer Teppich über die Ewige Stadt gelegt. Er dämpft den Lärm der Metropole, verschluckt die Dächer und Kirchtürme, die Kuppel des Petersdoms und weite Teile des Petersplatzes, der sich an diesem historischen Morgen langsam mit Menschen füllt. Nebel ist in Rom selten – und dass ein amtierender Papst einen emeritierten Papst zu Grabe trägt, hat es in den letzten 2000 Jahren noch nie gegeben.
Pilot Max-Emanuel Ott hat die Lufthansa-Maschine mit der 170-köpfigen Delegation zur Beerdigung des ersten bayerischen Papstes nach Rom geflogen. Ott ist der Sohn des inzwischen pensionierten Papstpiloten Martin Ott, der den damaligen Pontifex Benedikt XVI. nach seinem Besuch in der bayerischen Heimat und nach dem Weltjugendtag in Köln zurück nach Rom brachte, mit ihm über seinem angestrahlten Geburtshaus in Marktl kreiste und per Funk die Marktler auf dem Marktplatz grüßte. Die zwei Flugzeugsitze, auf denen Benedikt damals saß, hat Ott später dem Marktler Bürgermeister vorbeigebracht. Bis vor kurzem standen sie in dessen Büro in der kleinen oberbayerischen Gemeinde, inzwischen sind sie in Benedikts Geburtshaus ausgestellt.
„Ganz Bayern trauert um den bayerischen Papst“, sagt Markus Söder
Die Frauen und Männer der offiziellen bayerischen Delegation sind früh aufgestanden, haben um 4.45 Uhr an den beiden Schaltern mit dem Staatswappen am Flughafen München eingecheckt und bekamen ihr Frühstück auf einem Tablett mit dem Aufdruck „Tasting Heimat“ serviert. Angeführt von Ministerpräsident Markus Söder sind sie zusammen mit Landtagspräsidentin Ilse Aigner, fast dem gesamten bayerischen Kabinett, den Alt-Ministerpräsidenten Edmund Stoiber und Günther Beckstein, kirchlichen Würdenträgern und sonstigen Vertretern der bayerischen Heimat des emeritierten Papstes nach Rom gereist, um Benedikt das letzte weiß-blaue Geleit zu geben.
„Ganz Bayern trauert um den bayerischen Papst“, sagt Söder. Es mache ihn stolz, dass Benedikt seine Heimat immer im Herzen behalten hat. „Jedes Mal, wenn ich ihn getroffen habe, hat er sich zuerst erkundigt, was es in Bayern Neues gibt.“ Benedikt habe sich zwar auch über Bücher, Kerzen oder Bilder als Geschenk gefreut, die ihm viele mitbrachten. „Oberste Priorität aber hatte immer ein Geschenkkorb mit bayerischen Spezialitäten, mit Weißwürsten und Weißbier“, erzählt Söder, da war „der Geistliche ganz weltlich“.
Fünf Busse mit Trachtlern und Gebirgsschützen aus dem Oberland, dessen Ehrenmitglied Benedikt war, sind schon in Rom. Sie marschieren im Festgewand mit den 25 Musikern der Feuerwehr-Blaskapelle Unterpfaffenhofen zum Petersplatz und schlagen zu Ehren des bayerischen Papstes so heftig auf ihre Trommeln, dass entlang ihres Weges die Auto-Alarmanlagen losheulen. Manuel Kustermann, 26, ist einer von ihnen. „Er war der Papst meiner Kindheit“, sagt er, „mit dem bin ich groß geworden“. Darum sei es ihm wichtig, Benedikt die letzte Ehre zu erweisen.
50.000 Pilger sind nach Rom zur Trauerfeier von Papst Benedikt gekommen
Kreischende Möwen und knatternde Hubschrauber kreisen über den Köpfen der 50.000 Pilger auf dem Petersplatz, die zu den Beisetzungsfeierlichkeiten gekommen sind. Bei Papst Johannes Paul II., dem Jahrhundert-Papst, waren es 2005 etwa sechs Mal so viele gewesen. Und die ganze Stadt war zugepflastert mit „Grazie Papa“-Plakaten. Damals zelebrierte Kardinalsdekan Joseph Ratzinger, der spätere Papst Benedikt, die Totenmesse für Johannes Paul II., und auf dem Petersplatz wehte ein so heftiger Wind, dass Ratzingers Haar am Ende der Zeremonie ganz zerzaust war.
Jetzt liegt er selbst in dem schlichten Zypressensarg, den sechs schwarzgewandete Männer mit weißen Handschuhen um 8.45 Uhr unter tosendem Applaus vor den Altar tragen. Wie alle Päpste ruht auch Benedikt in einem Eichensarg, der eingeschweißt ist in einen Zinksarg, den das Zypressenholz ummantelt. Als Grabbeigaben sind ein Säckchen mit Münzen beigelegt und eine Zinkrolle, in der sein Lebenslauf und ein Text über sein Pontifikat stecken.
Georg Gänswein, Privatsekretär und langjähriger Vertrauter von Benedikt, verneigt sich vor dem Sarg, küsst ihn ein letztes Mal. Wieder weht ein eisiger Wind über den Petersplatz, dem der Morgennebel eine geheimnisvolle, mystische Stimmung verleiht. Die Federn auf den Hüten der Gebirgsschützen senken sich im Wind, die Menschen beten den Rosenkranz. Was Ilse Aigner verpasst. Sie steht in der endlos langen Schlange vor der Damentoilette unter den Kolonaden an. Immer wieder wird sie von bayerischen Pilgern erkannt, immer wieder um ein Foto gebeten – und dann wird sie von einer begeisterten Dame im Dirndl ausdrücklich dafür gelobt, dass sie sich trotz ihres politischen Amtes nicht vordrängelt, sondern wie alle anderen die halbe Stunde ansteht.
Papst Franziskus wird – im roten Gewand und mit Mitra auf dem Kopf – im Rollstuhl von zwei Männern zum Altar geschoben. Er ist in sich zusammengesunken und sieht müde aus, alt und gebrechlich. Selbst für die wenigen Schritte zu seinem Stuhl muss der 86-jährige Argentinier gestützt werden. Auch während des Gottesdienstes braucht er immer wieder helfende Hände. Die Szenen erinnern an die letzten Monate der Amtszeit von Papst Benedikt, als ihn sein Privatsekretär Georg Gänswein bei jedem Schritt festhalten musste. „Richtig fit wirkt Papst Franziskus nicht“, wird es Ministerpräsident Söder später vorsichtig formulieren, der Franziskus zusammen mit Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier vor der letzten Messe für Benedikt kurz im Petersdom getroffen hat. Zuerst aber hat er ihnen zum Geburtstag gratuliert, den beide, Söder und Steinmeier, an diesem denkwürdigen Tag feiern.
"Santo subito" rufen die Menschen auf dem Petersplatz
Die Staatsgäste – darunter die gesamte deutsche Staatsspitze – sitzen in dunkler Kleidung zur Rechten des Altars, einzig Gänswein sticht im lila-pinken Chorgewand heraus. Zur Linken bilden die Kardinäle und Bischöfe aus aller Welt ein beeindruckendes Meer aus Scharlachrot. Kurz vor Beginn des Requiems für den Vorzeige-Bayern blinzelt die Sonne durch die Nebelschwaden. Und gleichzeitig ploppt die Eilmeldung auf dem Handy auf, dass die Vorzeige-Bayerin und Ski-Legende Rosi Mittermaier überraschend gestorben ist.
Papst Franziskus liest die Messe in Latein, schlicht und würdevoll, so wie Benedikt es sich gewünscht hat. Der Ablauf unterscheidet sich nicht wesentlich vom Trauergottesdienst für einen amtierenden Papst. Nach der Aussegnung dann, kurz vor dem letzten Weg des Leichnams in die Gruft des Petersdoms, kommt doch noch ein Johannes-Paul-Moment auf. Die Menschen klatschen Beifall und rufen „Santo subito“ („Sofort heilig) – so, wie sie es bei der Beerdigung von Benedikts Vorgänger skandiert haben. Sie schwenken blau-weiße Bayernfahnen und halten Transparente in den Himmel, auf denen steht: „Danke, Benedikt“. Auf den Leinwänden, auf die der Gottesdienst am Petersplatz übertragen wird, erscheint der frühe Papst Benedikt XVI. noch einmal groß im Bild: fröhlich und lachend und winkend.
Als die zwölf Männer in Schwarz am Ende der Totenmesse den Sarg mit dem Leichnam des emeritierten Papstes anheben, stimmt die Feuerwehrkapelle aus Unterpfaffenhofen das Kirchenlied „Näher mein Gott zu Dir“ an. Vor Papst Franziskus halten die Männer noch einmal an, er verneigt sich, betet, legt die Hand für einen letzten Gruß auf den Sarg. Die Gebirgsschützen aus den 47 bayerischen Kompanien senken die Fahnen, sie salutieren mit der rechten Hand am Hut, dem ein oder anderen läuft eine Träne über die Wange.
Dann spielt die Kapelle die Bayernhymne. Die „bayerische Nationalhymne“, wie sie Edmund Stoiber später nennt. Ein letztes Mal für den bayerischen Papst, ein letztes Mal für Benedikt. Es ist der bewegendste, der beeindruckendste Moment an diesem Vormittag, als die Männer mit dem Sarg auf den Schultern zu den Klängen von „Gott mir Dir, Du Land der Bayern“ durch das Portal „Santa Maria“ in den Petersdom schreiten – und sich die zwei purpurroten Samtvorhänge langsam schließen.
Die bayerischen Pilger rollen ihre Fahnen wieder ein
In der Gruft der Basilika wird Benedikt im Grab seines polnischen Vorgängers Johannes Paul II. bestattet. Er wollte das so, hatte diesen Wunsch schon lange vor seinem Tod formuliert. Johannes Paul II. war schon vor Jahren – nach seiner Heiligsprechung – in den Petersdom umgebettet worden.
Draußen auf dem Platz rollen die bayerischen Pilger ihre Fahnen ein. „Das war’s jetzt mit uns Bayern im Vatikan“, sagt Dirk Reichelt aus Endorf am Chiemsee. Einen deutschen, einen bayerischen Papst gar, würden sie sicherlich nicht mehr erleben, da sind sich die Gebirgsschützen einig. Umso wichtiger war es ihnen, bei der Beerdigung von Benedikt XVI. mit dabei zu sein.
Die offizielle Delegation aus Bayern sammelt sich hinter blau-weißen Fähnchen mit schwarzem Trauerflor in der Borgo Pio. Immer wieder bleiben die Menschen stehen, als sie den bayerischen Ministerpräsidenten erkennen, Ilse Aigner, Edmund Stoiber, Joachim Herrmann, Hubert Aiwanger. Söder spricht von einer „Mischung aus Wehmut und Anteilnahme“, die er gerade auf dem Petersplatz erlebt hat. „Da war aber auch viel Hoffnung“, sagt er, der evangelische Christ. Die Kirche, die gerade in Deutschland ein massives Problem habe, obwohl Glaube an sich attraktiver denn je sei, müsse sehr viel mehr die Frohe Botschaft kommunizieren. Schließlich sei es für Benedikt jetzt mit dem Tod nicht zu Ende: „Er wird erwartet.“ Trotz aller Kritik, trotz aller Zweifel und Vorwürfe, sagt Söder: „Es bleibt am Ende eine beeindruckende Lebensleistung, die sollte man an so einem Tag anerkennen.“
Zwischen Antipasti und Pasta gibt es ein Ständchen für Markus Söder
Die Gebirgsschützen aus Endorf haben sich inzwischen ein erstes Bier geholt und schießen Fotos mit Ilse Aigner, die sie Frau Ministerpräsidentin nennen. Später dann, beim üppigen Trauermahl für den emeritierten Papst, zu dem Kardinal Reinhard Marx, der Erzbischof von München und Freising, die Delegation eingeladen hat, stimmt Marx zwischen Antipasti und Pasta all’amatriciana ein Geburtstagsständchen für Markus Söder an.
Es bleibt viel Zeit für Anekdoten rund um den Verstorbenen. Christian Hümmer, der Oberbürgermeister von Benedikts Vaterstadt Traunstein – dort wurde sein Vater geboren, dort besuchte er auch das Studienseminar –, erzählt von seinem sehr privaten Besuch beim emeritierten Papst im Kloster Mater Ecclesiae im letzten März. Über eine Stunde seien sie zusammen mit Wohnzimmer gesessen und hätten sich über Traunstein unterhalten, „wie mit meinem Großvater“, sagt Hümmer. Voller Emotionen sei Benedikt gewesen, zugewandt und humorvoll, als er ihm von seiner Oma berichtet hat, die seinerzeit immer von der Primiz der Ratzinger-Brüder geschwärmt hat.
Und der Bürgermeister von Marktl, Benedikt Dittmann, verrät, dass er seit dem Tod von Joseph Ratzinger immer wieder gefragt worden ist, ob dieser nun in seinem Geburtsort beerdigt wird.
Zumindest diese Frage ist beantwortet, als die Bayern am Abend wieder die Heimreise antreten.