Matteo Salvini ist kurz vor dem Ziel. Allerdings auf etwas andere Weise, als er sich das vorgestellt hat. 2019 im Sommer, da war der damalige Innenminister in aller Munde und forderte bei den Italienern „die ganze Macht“. Der Chef der rechten Lega riskierte den Bruch der Koalition mit der Fünf-Sterne-Bewegung und hoffte auf Neuwahlen, die aber nicht kamen. Stattdessen koalierten die Sterne mit den Sozialdemokraten. Drei Jahre später bekommt Salvini nun seine zweite Chance.
Nach dem Ende der Regierung von Mario Draghi wählt Italien am 25. September ein neues Parlament. Es ist wahrscheinlich, dass die Rechte mit großer Mehrheit regieren kann: Die Allianz mit den postfaschistischen Fratelli d’Italia und Silvio Berlusconis Forza Italia liegt in Umfragen vorne. Für Salvini könnte die Rückkehr zur Macht einen bitteren Beigeschmack haben: Es reicht für die Lega wohl erneut nur zum Juniorpartner. Dabei träumt Salvini, der als Minister die Migrantenschiffe nicht in Häfen einfahren ließ und sich vor Gericht verantworten muss, seit Jahren vom Amt des Ministerpräsidenten. Doch wie hat der Volkstribun, den sie „il capitano“ nannten, seinen einst unerschöpflichen Kredit bei den Italienern verspielt?
Giorgia Meloni hat die Kraft der Opposition genutzt
Italiens Wählerinnen und Wähler sind Enttäuschungen gewöhnt, deshalb setzen sie immer wieder auf neue Kandidaten – oder gehen gar nicht mehr zur Wahl. Erst Matteo Renzi, dann Beppe Grillo und seine Fünf Sterne, alle abgestürzt. Längst hat es auch Salvini erwischt, der in der Pandemie-Notlage 2021 die Regierung von Mario Draghi unterstützte. Die norditalienischen Unternehmer, Stammklientel der Lega, sowie der wirtschaftsliberale Flügel hatten den radikaleren Parteichef dazu gedrängt. So hatte Giorgia Meloni leichtes Spiel, als einzige Oppositionskraft den Unmut im Land in ihre Bahnen zu leiten. Die Nächste, die nach rasantem Aufstieg wieder abstürzt, könnte die 46 Jahre alte Römerin werden. Nun spielt sich im Wahlkampf ein kurioses Duell Salvini gegen Meloni um die Enttäuschten ab, Vorteil Meloni.
Nun forderte der Putin-Freund Salvini das Ende der EU-Sanktionen gegen Russland und wettert gegen „ideologische grüne Politik“, die EU sei „mitverantwortlich“ für die Erhöhung der Energiepreise. Beobachter fürchten, der Lega-Chef könnte zwar nicht Premier, aber verlängerter Arm des russischen Präsidenten in der neuen Regierung werden. Einst trug er T-Shirts mit Putin-Konterfeis und lobte nach Beginn der Annexion der Krim Putin in höchsten Tönen. Auch Berlusconi gilt als Putin-Freund. Meloni hingegen hat sich auf die Seite der Ukraine und der EU gestellt. Die Russland-Frage könnte die erste Belastungsprobe für die neue Koalition werden.
Salvini fordert wie eh und je die chemische Kastration von Vergewaltigern, seine Prioritäten im Wahlkampf sind aber andere: 30 Milliarden Euro zur Entlastung der Bürger für hohe Energiekosten und Inflation, einen Niedrigsteuersatz von 15 Prozent und wegen des Fachkräftemangels den freien Zugang zum Medizinstudium. Als er vor Tagen das Flüchtlingszentrum auf der Insel Lampedusa besuchte, war er dann kurzzeitig wieder ganz der Alte. „Tausende Immigranten aufnehmen, die nur Probleme und Verbrechen bringen, ist undenkbar“, sagte er. Der Ex-Innenminister schlägt die Wiedereinführung der von ihm damals vorbereiteten „Sicherheitsdekrete“ vor, die die Sperrung von Häfen für Schiffe mit Flüchtlingen oder die Beschlagnahme der Boote von Hilfsorganisationen vorsahen. So bleibt es spannend, ob der „capitano“ die Stimmung nochmals drehen kann.