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Reportage: So wollen die Sozialdemokraten in der Provinz aufholen

Reportage

So wollen die Sozialdemokraten in der Provinz aufholen

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    SPD-Generalsekretär Lars Klingbeil (rechts) im heimatlichen Heidekreis.
    SPD-Generalsekretär Lars Klingbeil (rechts) im heimatlichen Heidekreis. Foto: Philipp Schulze, dpa

    Ein bisschen Grünzeug, mehr braucht Lars Klingbeil nicht, um Linda zu überzeugen. Die Giraffendame streckt einfach ihren langen Hals bis hinauf zu Ladefläche des Unimog-Geländelasters, auf dem der SPD-Generalsekretär steht. Zutraulich frisst Linda Klingbeil aus der Hand. Der 43-Jährige ist auf Wahlkampftour in seiner Heimat, dem Heidekreis in Niedersachsen, und macht Station im Safaripark in Hodenhagen, wo die Besucher nach der Corona-Zwangspause wieder mit dem eigenen Auto exotische Tiere beobachten können.

    Fabrizio Sepe, der temperamentvolle Parkchef, berichtet vom Überlebenskampf der Tourismusbranche in der Pandemie. Oft habe er Klingbeil angerufen, wenn er sich in den vergangenen Monaten über die Politik aufgeregt habe. Der SPD-Mann habe zwar nicht immer helfen können, aber stets ein offenes Ohr gehabt. Lob, das Klingbeil, der hier im Wahlkreis Rotenburg I - Heidekreis vor vier Jahren das Bundestags-Direktmandat holte, gerne hört. Doch Klingbeil kämpft nicht nur um seine eigene Wiederwahl, sondern um die Zukunft der ganzen Sozialdemokratie.

    Als Generalsekretär verantwortet er die Wahlkampagne der SPD. Will ihr Kanzlerkandidat Olaf Scholz sich auch nur die Chance eines guten Abschneidens gegen seine Konkurrenten Armin Laschet von der Union und Annalena Baerbock von den Grünen bewahren, müsste die Kampagne so schnell Fahrt aufnehmen, wie die Antilopen im Park rennen können, und so viel Wucht entfalten, wie ein Nashorn in vollem Lauf. Und die SPD müsste endlich Zähne zeigen, aggressiv auftreten, so wie ein Löwe. Denn die politische Landschaft ist kein Freizeitpark, sie gleicht der freien Wildbahn: es geht ums Fressen und Gefressenwerden.

    Für die SPD geht es bei der Bundestagswahl um das nackte Überleben

    Für die SPD steht bei der Bundestagswahl in rund 100 Tagen nichts weniger als das nackte Überleben auf dem Spiel. Nach aktuellen Prognosen könnte das schlechteste Abschneiden der Sozialdemokraten bei einer Bundestagswahl, 2017 erzielt mit dem Spitzenkandidaten Martin Schulz sogar noch unterboten werden. 20,5 Prozent schien damals unterirdisch, heute können die Sozialdemokraten von einem solchen Wert scheinbar nur träumen. Seit Monaten scheinen die Umfragewerte bei rund 15 Prozent.

    Trotzdem tut Klingbeil alles, um Zuversicht zu verbreiten, die SPD spiele um den Sieg, so sein Mantra. In der Schlappe von Sachsen-Anhalt, wo die SPD gerademal acht prozent holte sieht er jedenfalls keinen Grund sich entmutigen zu lassen. Dort sei eben ein populärer Amtsinhaber bestätigt worden. So wie zuvor der Grüne Winfried Kretschmann in Baden-Württemberg und Sozialdemokratin Malu Dreyer in Rheinland-Pfalz. Es komme eben auf die Person an, an diesem Satz halten sich in der Partei gerade alle fest. Und zwischen der Grünen Annalena Baerbock und dem Christdemokraten Armin Laschet sei Olaf Scholz genau der richtige. Der Kanzlerkandidat soll in den Vordergrund, bei noch unentschlossenen Wählern aus der breiten politischen Mitte Boden gutmachen. Boden, den die beiden Parteichefs Saskia Esken und Norbert Walter-Borjans mit ihrem strammen Linkskurs preisgegeben haben, die außerhalb sozialdemokratischer Zirkel kaum Zugkraft entfalten.

    Klingbeil kümmert sich, die SPD kümmert sich

    So ist es kein Zufall, dass sich Klingbeil, geboren in Soltau, in der Heimat den nötigen Schub erhofft, für sich selbst, für die lahmende SPD. Die Region lebt vom Tourismus, von der Landwirtschaft, von der Industrie, es gibt einen großen Bundeswehrstandort in Munster, auf dem Klingbeils Vater als Berufssoldat diente. Die Menschen, die hier leben, verstehen sich als fleißig, bescheiden und bodenständig. Bürgermeister und Landräte stellt die SPD hier und mit Stephan Weil einen Ministerpräsidenten, der als pragmatisch und wirtschaftsnah gilt – so wie Olaf Scholz, so wie einst Gerhard Schröder, Klingbeils politischer Ziehvater. So wie hier will sich die SPD im ganzen Bundesgebiet positionieren – und nicht als Truppe, die über Identitätspolitik und Gendersternchen diskutiert, die Linkspartei links überholen will.

    Klingbeil kümmert sich, die SPD kümmert sich, um die Nöte der Freizeitparks, um die Interessen der Landwirte, darum dass die Arbeitsplätze in der aufkeimenden Wasserstoffbranche vor Ort entstehen und nicht in Übersee. Das Bild der SPD soll noch rechtzeitig gedreht werden. Als Partei, die zupackt, sich um die drängenden politischen Probleme kümmert, für Arbeitsplätze und sozialen Ausgleich sorgt.. So soll sich in der heißen Wahlkampfphase die Kluft schließen für die beachtliche Zustimmung für die Person Olaf Scholz und die niedrigen Werte der SPD. „Es geht jetzt darum, die ganze Kampagne jetzt auf Olaf Scholz zu fokussieren. Er ist der überzeugendste der drei Kanzlerkandidaten und verfügt über die meiste Regierungserfahrung“, sagt Klingbeil im Gespräch mit unserer Redaktion. Scholz müsse nun im Dreikampf sichtbarer gemacht werden. „Wir werden den Wahlkampf jetzt auf sozialdemokratische Themen zuspitzen, auf gerechte Löhne, gute Renten und bezahlbares Wohnen.“

    Wen Klingbeil für seine Wahl-Kampagne verpflichtet hat

    Lars Klingbeil, der eingefleischte FC-Bayern-München-Fan aus dem hohen Norden, hat für die Kampagne, die diese Botschaften unters Volk bringen soll, den Hamburger Werber Raphael Brinkert verpflichtet, der eigentlich Experte für Sportmarketing ist und etwa für den DFB und den Deutschen Olympischen Sportbund tätig war.

    Auch mit politischer Werbung hat der Agenturchef Erfahrung: Er arbeitete bereits an Kampagnen für Bundeskanzlerin Angela Merkel und die CDU mit. Verstärkt wird das Team vom Schweizer Star-Werber Dennis Lück. Eine mutige, schnelle, digitale Kampagne hat Klingbeil angekündigt, um die hohen persönlichen Beliebtheitswerte für Olaf Scholz in den Umfragen in Kreuze auf dem Wahlzettel bei der SPD umzumünzen.

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