Mit ihren Plänen zur langfristigen Stabilisierung der Renten in Deutschland hat die Ampel ihren nächsten großen Konflikt vor sich. Arbeitsminister Hubertus Heil (SPD) warnte bei der ersten Beratung der seit Monaten vorbereiteten Rentenreform im Bundestag, bei einem Scheitern würden die Rentnerinnen und Rentner ärmer. Die FDP-Fraktion pochte auf deutliche Nachbesserungen der gemeinsam von Heil und Finanzminister Christian Lindner (FDP) vorgelegten Pläne. Laut der Union kann das Rentenpaket II nicht ausreichend korrigiert werden: Sie forderte die FDP deshalb zum Verlassen der Koalition auf.
Minister Heil verteidigte die Pläne. Es sei die Verantwortung als Bundesregierung, den Menschen Sicherheit zu geben. «Und das betrifft vor allen Dingen auch die Sicherheit im Alter.» Die Basis der Alterssicherung bleibe die gesetzliche Rente. Sie sei für viele - vor allem in Ostdeutschland - die einzige Absicherung. Der Grünen-Rentenexperte Markus Kurth sagte, die Menschen sollten langfristig Stabilität und Sicherheit erhalten.
FDP fordert Korrekturen
Der Parlamentarische Geschäftsführer der FDP-Fraktion, Johannes Vogel, reihte sich nicht ein in die Ampel-Harmonie. «Dieses Gesetz ist noch nicht fertig», sagte er. Stabilisierung der Rente könne nicht bedeuten: «Wir erhöhen einfach die Beiträge für die arbeitende Mitte und für die Jungen immer weiter.» Vogel zeigte sich aber sicher, dass Kompromisse und eine «bessere Lösung» möglich seien. Unions-Fraktionsvize Mathias Middelberg (CDU) stufte es als völlig unrealistisch ein, das zu erreichen, was Vogel wolle. Die FDP müsse die Koalition aufkündigen.
Das geplante Gesetz soll die mehr als 21 Millionen Rentnerinnen und Rentner in Deutschland vor einem Absinken ihrer Bezüge schützen. «Das werden wir verhindern, indem wir dafür sorgen, dass das Rentenniveau dauerhaft für alle Generation stabil bleibt», sagte Heil der Deutschen Presse-Agentur. Ein sinkendes Rentenniveau würde bedeuten, dass die Renten nicht mehr mit steigenden Löhnen in Deutschland Schritt halten. Dieses Verhältnis der Renten zu den Löhnen soll wie bereits bisher, dann aber bis 2040 nicht mehr unter 48 Prozent fallen dürfen. Bereits 2035 soll die dann amtierende Regierung neue Vorschläge machen.#
Warum die Reform kommen soll
Ursprünglich hatte Heil die Reform schon für 2022 angekündigt. Akuter Handlungsdruck besteht laut Heil, weil die geburtenstarken Babyboomer-Jahrgänge nun in den Ruhestand gehen. «Wir müssen das entscheiden», sagte der Minister. Es sei eine Richtungsentscheidung.
Zuletzt sind die Renten in Deutschland zum 1. Juli um 4,57 Prozent gestiegen - erstmals seit Jahren spürbar über der Inflationsrate. Auch in den zwei Jahren zuvor gab es durchgängig teils deutlich über vier Prozent liegende Rentenzuwächse - davor hatten die Bezüge wegen der Corona-Krise stagniert. Heil erläuterte, ohne Stabilisierung des Rentenniveaus sänke die Kaufkraft der Rentnerinnen und Rentner ab 2027.
Vorgeschmack auf nächsten Rentenstreit
SPD-Chef Lars Klingbeil warnte die FDP vor einer Blockade. «Das, was wir verabredet haben, das muss kommen», sagte Klingbeil der dpa. «Ich kann nicht ganz verstehen, dass die FDP-Fraktion sich jetzt gegen ihren eigenen Parteivorsitzenden auflehnt.»
Heil gab im Plenum einen Vorgeschmack auf erwartete heftige Rentendebatten im nahen Bundestagswahlkampf. Das auf 67 Jahre steigende reguläre Rentenalter solle keinesfalls angetastet werden, bekräftigte er. Der Union und ihrem Kanzlerkandidaten Friedrich Merz warf Heil vor, auf weiter steigendes Renteneintrittsalter zu setzen oder geringer werdende Renten in Kauf zu nehmen.
Wie die Beiträge steigen
Der Beitragssatz liegt heute bei 18,6 Prozent des Einkommens. Ohne Reform würde er laut Prognose bis 2030 auf 20,2 und bis 2040 auf 21,3 Prozent steigen. Die geplante Sicherung des Rentenniveaus allein ließe den Beitragssatz laut Gesetz bis 2040 sogar auf 22,6 Prozent steigen. Doch Heil verspricht: «Wir sorgen vor, dass die Beiträge in der zweiten Hälfte der 30er-Jahre nicht zu stark steigen.»
Hier kommt der von der FDP durchgesetzte Teil des Gesetzes zum Tragen: das Generationenkapital. Lindner sprach in einem Interview von einer «Zäsur in der deutschen Rentenpolitik, dass wir im Bereich der gesetzlichen Rentenversicherung nun auch in Wertpapieren anlegen werden». Die Regierung will dafür zwar Schulden aufnehmen, die aber nicht auf die Schuldenbremse angerechnet werden. Zunächst sollen 12 Milliarden Euro, in den Jahren darauf jeweils etwas mehr in den Kapitalstock fließen. Auf mindestens 200 Milliarden Euro soll die Anlage bis Mitte der 2030er Jahre wachsen. Ab 2036 sollen im Schnitt zehn Milliarden Euro jährlich an die Rentenkasse ausgeschüttet werden. Mit den Zinsen aus dem Kapitalstock soll der Beitragssatz bis 2040 auf 22,3 Prozent gedrückt werden. Ein Beitragssatzpunkt bringt der Rentenkasse heute rund 18 Milliarden Euro im Jahr.
Reicht das Geld?
Doch reicht das Geld für die steigenden Lasten für die Rentenkasse? Die Renten-Ausgaben dürften bis 2045 von 372 auf 755 Milliarden Euro (ohne Reform) beziehungsweise 802 Milliarden Euro (mit Reform) klettern. Dabei war der Anteil der Bundesmittel für die Rente am Bruttoinlandsprodukt trotz deutlicher Steigerungen der Summen mit 2,8 Prozent zuletzt so niedrig wie seit 1998 nicht mehr. Damals gab der Bund erst 2,6 Prozent des Bruttoinlandsprodukts für die Rente aus, 2003 war der Anteil mit 3,5 Prozent am größten.
Derzeit sind die Prognosen ungewiss. Ökonomen befürchten eine konjunkturelle Abwärtsspirale. Heil sagte: «Gerade, weil wir in stürmischen Zeiten leben, in Zeiten großer Veränderungen, ist es wichtig, der Gesellschaft Sicherheit zu geben. Und das betrifft auch die gesetzliche Rente.»
Beispiel aus Sachsen
Heil bringt das Beispiel einer Frau aus Sachsen, heute 49 Jahre alt. Wenn sie in den 40er Jahren in Rente geht, würde der unterschiedliche Effekt der Niveau-Stabilisierung oder eines Fallenlassen der Pläne einen Unterschied von 1100 Euro im Monat mehr oder weniger auf dem Konto der Sächsin ausmachen, rechnet er vor. Für die künftige Stabilität der Renten sei die zentrale Bedingung eine weiter hoher Beschäftigungsstand.
Arbeitgeber: Pläne ins Museum
Arbeitgeberpräsident Rainer Dulger warnte vor dem «mit Abstand teuersten Sozialgesetz des 21. Jahrhunderts» - es gehöre nicht in den Bundestag, sondern in ein Museum für vermurkste Reformen. Anja Piel vom Vorstand des Deutschen Gewerkschaftsbunds forderte die Umsetzung der Pläne und warf der FDP Arbeitsverweigerung vor. Die Präsidentin des Sozialverbands VdK, Verena Bentele, sagte: «Eine schnelle, gemeinsame und reibungslose Verabschiedung des Rentenpakets ist das Gebot der Stunde.»
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