Für die 21 Millionen Rentner in Deutschland ist es eine gute Nachricht - den nächsten Finanzminister allerdings, wie immer er auch heißt, dürfte sie weniger freuen. Im nächsten und im übernächsten Jahr werden die Renten in Deutschland um insgesamt rund zehn Prozent steigen, da der Beitragssatz zur Rentenkasse aber nicht angehoben werden soll, müssen die Mehrkosten aus dem Bundeshaushalt beglichen werden. Bei jährlichen Ausgaben von rund 290 Milliarden Euro für die Renten macht das pro Jahr je nach Beitragsaufkommen mehrere Milliarden Euro zusätzlich aus. Dabei schießt der Bund den Rentnern aus dem Steuertopf bereits jetzt jedes Jahr rund 100 Milliarden Euro zu.
So oder so hat die Erhöhung historische Dimensionen. Nach der Nullrunde im Westen und der kleinen Erhöhung von 0,7 Prozent im Osten in diesem Jahr prophezeit die Deutsche Rentenversicherung für das kommende Jahr eine Anhebung der Altersgelder um 5,2 Prozent in den alten und um 5,9 Prozent in den neuen Bundesländern – genaue Daten gibt es erst im Frühjahr 2022. In Westdeutschland hatte es ein ähnlich sattes Rentenplus zuletzt 1983 gegeben. Im Jahr 2023 könnten die Renten dann noch einmal stark steigen, nämlich um 4,9 Prozent im Westen und um 5,7 Prozent im Osten – vorausgesetzt, die Wirtschaft rutscht in keine Rezession. Damit aber rechnet, Stand heute, kaum ein namhafter Konjunkturforscher.
Die Rentner profitieren von einem politischen Trick
Erkauft ist die überdurchschnittlich kräftige Anhebung der Renten allerdings mit einem politischen Trick: Für die Jahre 2018 bis 2025 hat die noch amtierende Bundesregierung den sogenannten Nachholfaktor ausgesetzt – einen komplizierten Mechanismus, der in wirtschaftlich schwierigen Zeiten dafür sorgt, dass die Renten nicht sinken, dafür aber den Anstieg der Renten in den Folgejahren etwas dämpft.
Vereinfacht gesagt: Da Rentenkürzungen per Gesetz auch dann ausgeschlossen sind, wenn das Lohnaufkommen durch Kurzarbeit oder hohe Arbeitslosigkeit sinkt, hätte der Nachholfaktor die in der Corona-Krise eigentlich nötige Senkung der Renten für das Jahr 2021 mit möglichen Erhöhungen in den kommenden Jahren verrechnen müssen, sodass diese dann entsprechend geringer ausfallen würden. Da der Mechanismus jedoch noch immer ausgesetzt ist, fällt die Erhöhung der Renten für die beiden kommenden Jahre überproportional stark aus. Auf lange Sicht, etwa bis zum Jahr 2050, kann sich das nach Berechnungen des Münchner Ökonomen Axel Börsch-Supan auf Mehrkosten von annähernd 100 Milliarden Euro addieren.
Die Rentenversicherung selbst ist nicht ganz so pessimistisch. Nach den deutlichen Erhöhungen in den kommenden zwei Jahren müssen sich die Rentnerinnen und Rentner ihrer Ansicht nach auch wieder auf Nullrunden einstellen. Die Rentenhöhe steige stets in einer Wellenbewegung, die über mehrere Jahre betrachtet werden müsse, sagt Vorstandsmitglied Anja Piel. Der Entwurf des neuen Rentenversicherungsberichts etwa geht von einer durchschnittlichen jährlichen Steigerungsrate von 2,3 Prozent bis zum Jahr 2035 aus. Abweichungen von einem Prozentpunkt nach unten wie nach oben seien dabei im Bereich des Möglichen, betont Piels Vorstandskollege Alexander Gunkel.
Als Notgroschen hat die Rentenkasse 37 Milliarden Euro zurückgelegt
Weil die meisten Betriebe ihre Beschäftigten mithilfe großzügiger Kurzarbeiterregelungen auch in den Lockdown-Monaten in Lohn und Brot halten konnten, ist auch die gesetzliche Rentenversicherung vergleichsweise gut durch die Pandemie gekommen. Ihre eiserne Reserve dürfte Ende des laufenden Jahres in etwa auf dem Niveau des Vorjahres von gut 37 Milliarden Euro liegen, das sind, anders gerechnet: die Renten für 1,6 Monate.
Anja Piel, im Hauptberuf stellvertretende Vorsitzende des DGB, verteidigt den außergewöhnlich hohen Sprung bei den aktuellen Renten auch deshalb: Man dürfe Menschen, die nicht mehr im Beruf sind, nicht vom Wohlstand in Deutschland abkoppeln. Verena Bentele, die Präsidentin des Sozialverbandes VdK, argumentiert ähnlich: Rentnerinnen und Rentner hätten erhebliche Kaufkraftverluste hinnehmen müssen. Vor allem die Strom- und Gaspreise, aber auch die Ausgaben für Lebensmittel seien stark gestiegen. Ein Rentenplus von gut fünf Prozent sei daher „überfällig“.
Renten spielen in den Ampel-Koalitionsverhandlungen bisher kaum eine Rolle
Ginge es nach ihr, würden dämpfende Maßnahmen wie der Nachholfaktor sogar komplett abgeschafft: „Die Kürzungsfaktoren sind das zentrale Problem, denn sie sorgen dafür, dass die Renten nicht eins zu eins entsprechend den Löhnen steigen. Sie gehören daher dauerhaft abgeschafft.“ Der Freiburger Ökonom Bernd Raffelhüschen warnt dagegen davor, die Lasten bei der Rente einseitig der nächsten und übernächsten Generation aufzubürden. In diesem Falle, prophezeit er in der Bild-Zeitung, drohe dem Bundeshaushalt ein Desaster.
In den Koalitionsverhandlungen von Sozialdemokraten, Grünen und Liberalen allerdings spielt das Thema bisher kaum eine Rolle. Auch das Sondierungspapier der drei Ampelparteien enthält abgesehen von einem einmaligen Extra-Zuschuss von zehn Milliarden Euro zum Aufbau eines Kapitalstocks nur vage Absichtserklärungen.