Auch Rentner müssen Steuern zahlen, wenn ihre Rente über den Freibeträgen liegt – aber zahlt eine Reihe von Rentnern möglicherweise zu viele Steuern? Diese Frage muss in den nächsten Wochen der Bundesfinanzhof in München klären, das höchste deutsche Finanzgericht. Am Ende des Verfahrens könnte eine spürbare Entlastung von heutigen und künftigen Rentnern stehen.
Die Vorgeschichte Im Jahr 2005 hat die damalige rot-grüne Koalition nach einem Urteil des Bundesverfassungsgerichtes die Besteuerung von Rentenbeiträgen und Renten geändert. Bis dahin wurden die Beiträge aus versteuertem Einkommen bezahlt, dafür waren die Renten in der Regel steuerfrei. Inzwischen gilt das Prinzip der nachgelagerten Besteuerung: Bis zum Jahr 2040 werden Einzahlungen in die Rentenkasse Schritt für Schritt von der Steuer befreit, dafür sind die Auszahlungen später steuerpflichtig. Mit dem Beginn der Umstellung im Jahr 2005 wurden die Renten so zunächst zur Hälfte besteuert, 2020 waren es 80 Prozent, 2040 sind es dann 100 Prozent. In der reinen Lehre ist dieses Modell für die Versicherten sogar von Vorteil, weil die Steuerersparnis während des Berufslebens höher ist als die Steuerbelastung im Alter. Tatsächlich produziert das System während der 35-jährigen Übergangsphase aber eine Reihe von Ungerechtigkeiten, weil die Beiträge und die Renten zumindest teilweise offenbar doppelt besteuert werden.
Steuern auf die Rente: Ein Kläger verliert jedes Jahr mehr als 2000 Euro
Das Problem Beim Bundesfinanzhof liegen zwei Musterklagen eines Zahnarztes und eines Steuerberaters, die sich nicht nur gegen die gegenwärtige Besteuerung der gesetzlichen Renten wehren, sondern auch gegen die Besteuerung von Privat- und Betriebsrenten. Besonders anschaulich wird die Problematik in einem weiteren Fall aus dem Saarland, den der Kläger bis zum Bundesverfassungsgericht durchfechten will: Der Mann, ein Rentner, hat fast 40 Jahre in die gesetzliche Rentenversicherung einbezahlt. 43 Prozent seiner Beiträge wurden aus bereits versteuertem Einkommen bezahlt, aber nur 24 Prozent seiner Rente sind steuerfrei. Dadurch verliert der Kläger jedes Jahr 2000 bis 3000 Euro. Insgesamt wird nach Berechnungen des Finanzmathematikers Klaus Schindler heute etwa ein Fünftel der Renten doppelt besteuert. Das aber wäre verfassungswidrig: Der Staat darf seine Bürger nicht zweimal zur Kasse bitten. Wer beispielsweise 2040 in Rente geht, müsste seine Rente nach der gängigen Praxis voll versteuern, seine Beiträge aber blieben nur 15 Jahre komplett von der Steuer verschont.
Das Verfahren Ursprünglich hätte der Bundesfinanzhof bereits im Herbst entscheiden sollen – nun ist von einem Verhandlungstermin im Frühjahr die Rede. Sollte das Gericht zu dem Ergebnis kommen, dass die gegenwärtige Besteuerung verfassungswidrig ist, müsste das anschließend noch vom Bundesverfassungsgericht formell bestätigt werden. Im Bundesfinanzministerium jedenfalls ist die Nervosität groß, es hat sich über eine spezielle Klausel in das Verfahren eingeschaltet. Für Finanzminister Olaf Scholz geht es um viel Geld. Bei 21 Millionen Rentnern würde eine Entlastung schnell in die Milliarden gehen.
Die Berechnung der Steuerlast ist kompliziert
Die Tücken Eine Doppelbesteuerung lässt sich im Einzelfall nur schwer nachweisen. Nur wenn Beiträge in die Rentenkasse aus bereits versteuertem Einkommen gezahlt wurden und in der Auszahlungsphase erneut besteuert werden, liegt eine Zweifachbesteuerung vor. Dazu müssen verschiedene Parameter wie die statistische Lebenserwartung, die eingezahlten Beiträge, der Sonderausgabenabzug für Kranken- und Rentenversicherungsbeiträge und der so genannte Besteuerungsanteil der Rente berücksichtigt werden. Haben die Musterklagen Erfolg, müssten Rentner keinen Einspruch mehr gegen ihre Steuerbescheide einlegen und würden dennoch von dem Ausgang der Gerichtsverfahren profitieren: Ihre Steuerbescheide könnten so nachträglich noch zu ihren Gunsten geändert werden.
Die Aussichten Bereits im Jahr 2006 hatte der Bundesfinanzhof in einem anderen Fall vor den Gefahren eine Doppelbesteuerung gewarnt. Ein Indiz für den Tenor der aktuellen Entscheidung könnte ein Aufsatz des Bundesrichters Egmont Kulosa sein, in dem dieser schon Ende 2019 scharfe Kritik an der aktuellen Praxis geübt hat: Es bedürfe keiner komplizierten mathematischen Übungen, „um bei den Angehörigen der heute mittleren Generation, die um das Jahr 2040 in den Rentenbezug eintreten werden, eine Zweifachbesteuerung nachzuweisen“. Kulosa ist stellvertretender Vorsitzender des 10. Senats am Bundesfinanzhof – und für das Fachgebiet Alterseinkünfte und Altersvorsorge zuständig.
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