Die Arbeitslosigkeit hat in Deutschland den Schrecken vergangener Tage weitgehend verloren. Bei der Rente allerdings wirkt das Thema bis heute nach. Denn einst waren fast fünf Millionen Menschen ohne Stelle und haben in dieser Phase nichts oder nur wenig in die Rentenkasse eingezahlt. Diese Brüche in den Erwerbsbiografien spüren die Ruheständler nun im Alter.
Die Folge: Rentner, die im vergangenen Jahr in den Ruhestand getreten sind, bekommen weniger Geld als Senioren, die bereits länger Rente beziehen. Die Entwicklung trifft allerdings nur Männer. Wie aus offiziellen Zahlen der Bundesregierung hervorgeht, erhalten sie im Bestand durchschnittlich 1373 Euro Rente. Die Neuzugänge liegen im Mittel bei 1275 Euro. Bei Frauen verläuft die Entwicklung entgegengesetzt. Mit 910 Euro haben die „Jungrentnerinnen“ im Schnitt 20 Euro mehr als die Seniorinnen im Bestand. Bei den Frauen schlägt sich eine andere Entwicklung stärker nieder. Sie arbeiten heute weitaus häufiger als früher. Überspitzt gesagt, hat das Modell Hausfrau ausgedient. Mehr und längere Arbeit führt zu steigenden Renten. Dennoch zeigen die Daten, die unserer Redaktion exklusiv vorliegen, dass gerade Frauen im Alter von Armut bedroht sind.
Heil will Tariftreue einfordern
Die Linkspartei im Bundestag hat die Zahlen bei der Regierung erfragt, Fraktionsvize Susanne Ferschl forderte von der Ampel einen Doppelschritt für höhere Renten. „Neben einer Erhöhung des gesetzlichen Rentenniveaus sind vor allem höhere Löhne Voraussetzung für armutsfeste Renten. Dafür wäre aber eine höhere Tarifbindung notwendig“, sagte sie unserer Redaktion auch mit Blick auf das Tariftreuegesetz. In solch einem Gesetz können Bundesländer festlegen, dass öffentliche Aufträge nur an Firmen gehen dürfen, die Tariflöhne zahlen. Entsprechende Bestimmungen auf Landesebene gelten fast überall in Deutschland – mit Ausnahme von Sachsen und Bayern.
Für die Behörden des Bundes bereitet Arbeitsminister Hubertus Heil eine entsprechende Regelung vor. Der SPD-Politiker hat auch angekündigt, noch in diesem Sommer Vorschläge für eine große Rentenreform zu machen. Es zeichnet sich ab, dass das bestehende Rentenniveau von 48 Prozent für weitere Jahre gesetzlich festgeschrieben werden soll – obwohl es wegen des demografischen Wandels absinken müsste. So hatten es SPD, Grüne und FDP bereits im Koalitionsvertrag vereinbart.
Rentenbeiträge müssten eigentlich steigen
Wenn das Rentenniveau nicht sinken soll, müssten aber die Beiträge steigen. Das wiederum würde die Sozialbeiträge weiter über die Marke von 40 Prozent schieben, die eigentlich gehalten werden soll. Woher das Geld für die Rentenkasse kommen soll, ist ungeklärt. Bislang behalfen sich die Vorgängerregierungen mit einem höheren Zuschuss aus dem Bundeshaushalt. Dieser beträgt aber schon 120 Milliarden Euro und ist damit der höchste Einzelposten im Etat. Weil Finanzminister Christian Lindner (FDP) Haushaltsdisziplin verordnet hat, gibt es der Alternativen wenig.
Die Vorstandvorsitzende des Sozialverbandes Deutschland, Michaela Engelmeier, beklagte vor diesem Hintergrund die hohe Zahl von Menschen, die von Altersarmut bedroht seien. „Es kann nicht sein, dass sie ihr Leben lang in Vollzeit gearbeitet haben und im Alter Grundsicherung beantragen müssen, weil ihre Rente nicht reicht“, sagte sie unserer Redaktion. Wie Ferschl plädierte auch Engelmeier für gute Löhne und bekräftigte die Forderung ihres Verbandes nach einer „Erwerbstätigenversicherung, in die alle einzahlen – auch Selbstständige, Beamte und Abgeordnete. Darüber hinaus fordern wir 53 anstatt 48 Prozent beim Rentenniveau.“
Mehr Minijobber im Alter
Die gestiegene Zahl der Minijobber, die im Alter zwischen 60 und 67 Jahren etwas hinzuverdienen, deutet in der Tat ebenfalls darauf hin, dass es nach dem Berufsleben für einen Teil der Rentner finanziell eng wird. Sie kletterte von 605.000 im Jahr 2012 auf 762.000 im Jahr 2022. Das entspricht einem Zuwachs um ein Viertel. Im Freistaat Bayern ist die Zahl sogar um ein Drittel auf 133.000 gestiegen. „Auch im reichen Bayern steht Altersarmut auf der Tagesordnung, vor allem Frauen sind davon betroffen“, sagte Susanne Ferschl.
Statistisch ist in Bayern jeder fünfte Rentner armutsgefährdet, weil er weniger als 1270 Euro bezieht. Das entspricht 60 Prozent des mittleren Einkommens und gilt als Armutsgrenze. Frauen sind davon deutlich häufiger betroffen, weil sie früher wegen der Erziehung der Kinder daheim geblieben sind oder in der Landwirtschaft geholfen haben. Wenn sie alleinstehend sind und keine Witwenrente erhalten, dann bleibt nicht viel zum Leben.