Es klingt zu schön, um wahr zu sein. Mit einem einmaligen Zuschuss von zehn Milliarden Euro wollen Sozialdemokraten, Grüne und Liberale einen Systemwechsel in der gesetzlichen Rentenversicherung einleiten und sie unabhängiger von konjunkturellen Risiken und demografischen Verwerfungen machen. In Zukunft, so der Gedanke dahinter, sollen die Altersgelder für die gegenwärtig rund 21 Millionen Rentner nicht nur aus den Beiträgen der Beschäftigten und dem jährlichen Steuerzuschuss finanziert werden, sondern auch mithilfe der Börse – nämlich aus den Erträgen, die ein vom Bund geschaffener Kapitalstock abwirft.
So weit die Theorie. In der Praxis sieht der von den Ampelparteien geplante Systemwechsel nicht ganz so historisch aus, wie es scheinen soll. Einmal angenommen, der neue Kapitalstock von zehn Milliarden Euro würde vier Prozent Rendite abwerfen – dann erhielte die Rentenversicherung jedes Jahr 400 Millionen Euro. Oder, anders gerechnet: Knapp 20 Euro für jede Rentnerin und jeden Rentner. Der gleiche Effekt ließe sich auch erzielen, indem der Bund 400 Millionen Euro direkt an die Rentenkasse überweist. Mehr als ein „Feigenblatt“, betont der CSU-Sozialexperte Stephan Stracke, seien die zehn Milliarden also nicht. „Damit bewegt man gar nichts.“ Um die gesetzliche Rente auf ein drittes Bein neben den Beiträgen und den Steuermitteln zu stellen, ist nach Einschätzung des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung ein Kapitalstock im dreistelligen Milliardenbereich nötig, dessen Aufbau Jahrzehnte dauern würde.
Schon jetzt zahlt der Bund jedes Jahr 100 Milliarden Euro Rentenzuschuss
Neben dem Klimaschutz und der Finanzpolitik ist die Rente eines der kniffligsten Themen in Koalitionsverhandlungen von SPD, Grünen und FDP. Alleine in dieser Wahlperiode werden mehr als drei Millionen Menschen in Deutschland neu in Rente gehen, die Zuschüsse aus dem Bundeshaushalt haben mit rund 100 Milliarden Euro im Jahr ein Rekordhoch erreicht und decken inzwischen knapp ein Drittel der jährlichen Ausgaben der Rentenversicherung. Die angehenden Koalitionäre allerdings tun trotzdem so, als sei alles noch in bester Ordnung.
Das Rentenniveau soll nicht sinken, haben sie bereits versprochen, und das Rentenalter auch nicht über die bereits beschlossenen 67 Jahre hinaus steigen. Rentenkürzungen schließt die Ampel in ihrem Sondierungspapier aus – obwohl die schon heute per Gesetz verboten sind. Ökonomen wie Clemens Fuest vom Münchner Ifo-Institut oder Michael Hüther vom Institut der deutschen Wirtschaft werfen der Ampel daher vor, eine überfällige Rentenreform kurzerhand vertagt zu haben.
CSU-Experte Stracke: "Rentenpolitik gegen Adam Riese kann nicht gelingen"
Unklar ist auch, ob das sogenannte Mindestrentenniveau dauerhaft bei 48 Prozent bleiben soll oder schrittweise gesenkt werden muss. Das bedeutet grob vereinfacht, dass ein Durchschnittsverdiener, der 45 Jahre gearbeitet und Beiträge bezahlt hat, später 48 Prozent eines Durchschnittsgehaltes als Rente bekommt. Bis zum Jahr 2025 ist dieses Niveau noch garantiert, dann sollen die Renten eigentlich etwas langsamer steigen als die Löhne, um die nächsten Generationen nicht zu überfordern. Sollte die Ampel davon abrücken, warnt CSU-Experte Stracke, „wäre das eine eindeutige Verschiebung der Lasten auf die Jüngeren“. Die nämlich müssten dann für eine kontinuierlich wachsende Zahl von Rentnern nicht nur deutlich höhere Beiträge bezahlen, sondern mit ihren Steuern auch noch einen deutlich höheren Bundeszuschuss. „Rentenpolitik gegen Adam Riese kann nicht gelingen“, warnt Stracke. „Ein Rentenniveau von mindestens 48 Prozent ist langfristig nicht zu finanzieren.“
Der Münchner Wirtschaftsprofessor Axel Bösch-Supan, Mitglied der von der alten Bundesregierung eingesetzten Rentenkommission, formuliert es noch drastischer: „Die Rente steuert auf einen Finanzschock zu“, warnt er im Berliner Tagesspiegel. Im Sondierungspapier der Ampelparteien verberge sich eine klare Ansage: „Wir schonen die Älteren und die Jungen müssen dafür zahlen.“ Ohne nachhaltige Reform, prophezeit er, werden künftige Finanzminister irgendwann die Hälfte des Bundeshaushaltes an die Rentenversicherung überweisen müssen. Bisher, das nur zum Vergleich, ist es etwa ein Viertel.
Die Riester-Rente ist ein Auslaufmodell
Die Deutsche Rentenversicherung selbst hält sich nach wie vor für „finanziell gut aufgestellt“. Der Beitragssatz mit 18,6 Prozent auf dem Niveau der neunziger Jahre, Rentensteigerungen von bis zu 25 Prozent innerhalb von zehn Jahren: „Von einer einseitigen Belastung der jungen Generation kann keine Rede sein“, betont ein Sprecher der Rentenversicherung. Allerdings ist das nur eine Momentaufnahme. Die Höhe von Rentenniveau und Beitragssatz „wird auf der Tagesordnung der Politik bleiben“. Stand heute darf der Beitragssatz bis zum Jahr 2025 nicht über 20 Prozent steigen und bis zum Jahr 2030 nicht über 22 Prozent. In den Szenarien der Rentenkommission aber könnte er in zehn Jahren auch schon bei 23 Prozent liegen – je nachdem, welches Rentenniveau diese oder die nächste Bundesregierung anstreben.
Weit weniger umstritten sind die Pläne der Ampelparteien für die private Altersvorsorge. Dass die Riester-Rente sich angesichts hoher Kosten, strenger bürokratischer Vorschriften und niedriger Renditen selbst überlebt hat, ist im politischen Berlin weitgehend Konsens. SPD, Grüne und FDP wollen sie durch einen staatlichen Fonds nach schwedischem Vorbild ersetzen, der effektiver und günstiger arbeiten soll. Für die 16 Millionen laufenden Riester-Verträge würde es dann einen Bestandsschutz geben.
Wie wichtig die private Vorsorge angesichts der Probleme bei der gesetzlichen Rente ist, zeigt eine neue Studie des Freiburger Ökonomen Bernd Raffelhüschen im Auftrag der Fondsgesellschaft Union Investment. Danach können die 36 Millionen Rentenversicherten zwischen 20 und 65 Jahren im Schnitt mit einer Rente von 47 Prozent ihres letzten Bruttoeinkommens rechnen. Wer darüber hinaus noch zusätzlich privat vorsorgt, kommt im Alter auf 63 Prozent seines letzten Bruttoeinkommens.