Zu den ehrgeizigsten Mitgliedern im französischen Kabinett gehört der neue Erziehungsminister Gabriel Attal. Gerade einmal einen guten Monat im Amt ist ihm noch vor Beginn des neuen Schuljahres ein politischer Coup gelungen. Der 34-Jährige befindet sich im Zentrum der medialen Aufmerksamkeit, seit er am Sonntagabend in einem Fernsehinterview angekündigt hat, das Tragen der Abaya in den französischen Schulen zu verbieten. Es handelt sich um lange, weite Überkleider muslimischer Frauen und Mädchen. „Die Abaya hat ihren Platz nicht in unseren Schulen“, stellte Attal klar. „Beim Betreten eines Klassenzimmers darf nicht erkennbar sein, welcher Religion die Schüler angehören.“
Im laizistischen Frankreich, wo die strikte Trennung zwischen Religion und Staat vorherrscht, ist seit 2004 das Tragen von Kopftüchern und anderen konfessionellen Zeichen wie der Kippa oder größeren Kreuzen in schulischen Einrichtungen verboten. Ob auch die Abaya darunter fällt, galt bislang als unklar. Attals Vorgänger Pap Ndiaye verweigerte eine klare Vorschrift mit dem Argument, er wolle „keine endlosen Kataloge über die erlaubte Länge von Kleidern veröffentlichen“.
Will sich Frankreichs Erziehungsminister Attal nur profilieren?
Attals Vorstoß ist ein politischer, um sich von Ndiaye abzuheben, der als Spezialist für die Geschichte schwarzer Minderheiten eine Zielscheibe vor allem der extremen Rechten war. Zugleich lässt er sich als Versuch werten, eine selbstbewusste Haltung gegenüber Präsident Emmanuel Macron an den Tag zu legen, der gerade erst in einem langen Interview mit der Zeitschrift Le Point mehrere Ankündigungen zur Schulpolitik gemacht hatte, so als fielen diese Fragen in die Zuständigkeit des Präsidenten. Macrons Ehefrau Brigitte war Lehrerin.
Wie sehr Attals geplantes Abaya-Verbot polarisiert, zeigten die Reaktionen darauf. Während Vertreter der Linken es kritisieren, applaudiert das rechte Lager. „Wir haben wiederholt das Verbot der Abayas in unseren Schulen gefordert“, schrieb der Chef der konservativen Republikaner, Éric Ciotti, auf X. Demgegenüber wertete die linke Abgeordnete Clémentine Autain die Ankündigung als Einführung einer „Kleider-Polizei“ und beklagte die „zwanghafte Zurückweisung der Muslime“ durch Mitglieder der Regierung. Deren Zahl wird in Frankreich auf 3,5 bis sechs Millionen geschätzt.
Es gibt in Frankreich eigentlich dringlichere Probleme zum Start ins Schuljahr
Die Sozialistin Chloé Ridel nannte es „verwunderlich“, dass der Erziehungsminister mit diesem Thema in das neue Schuljahr starte, wo es doch etliche dringlichere Probleme vom Lehrermangel bis zu den Auswirkungen der Inflation auf den Schulbedarf gebe. Außerdem herrsche kein Konsens über die Frage, ob es sich bei der Abaya um ein religiöses Gewand handele, so Ridel. Der Vize-Präsident des Französischen Rat des muslimischen Kults (CFCM), Abdallah Zekri, sagte, es handele sich um eine Modeerscheinung, die „nichts mit Religion zu tun“ habe.
Tatsächlich hatten zunehmend Schulleiterinnen und -leiter nach einer eindeutigen Ansage gerufen, nachdem sich die Zahl der Vorfälle, bei denen das Tragen von Abayas als Verletzung der Laizitäts-Regeln gemeldet wurde, im abgelaufenen Schuljahr mehr als verdoppelt hat – auf 4710. Der Gymnasiums-Direktor und Gewerkschafter Didier Georges begrüßte Attals Ankündigung: „Wir wollten nicht, dass jeder Schulleiter bei dieser Frage sich selbst überlassen ist.“ Der grausame Mord an dem Lehrer Samuel Paty habe das Schulpersonal sehr geprägt. Dieser wurde im Oktober 2020 im Pariser Vorort Conflans-Sainte-Honorine durch einen islamistischen Attentäter enthauptet. Wie sich herausstellte, war der Lehrer, der im Unterricht Mohammed-Karikaturen gezeigt hatte, Opfer einer Rufmordkampagne im Internet durch Anhänger des radikalen Islams geworden. In der Folge wurde der Ruf laut, dessen Einfluss in den Schulen konsequenter zu bekämpfen.
Soziologe Jean Baubéro kritisiert: "Dahinter steckt eine bestrafende Anschauungsweise der Laizität"
Der Soziologe und Spezialist für Fragen der Laizität, Jean Baubéro, zeigte sich nun dennoch kritisch gegenüber einem Abaya-Verbot: „Dahinter steht eine bestrafende Anschauungsweise der Laizität, die letztlich zu einer langen Serie von Verboten führen wird“, warnte er. Dominique Schnapper, Soziologin und Präsidentin des „Rates der Weisen der Laizität“, wies bereits im vergangenen Dezember in der Zeitung Le Monde darauf hin, dass die wachsende Beunruhigung der Schulleiter angesichts des Tragens der Abaya beachtet werden müsse. Denn islamistische Strömungen, auch wenn sie in der Minderheit seien, versuchten die Institution Schule zu destabilisieren. „Aber wir werden die Frage nicht durch ein neues Gesetz lösen“, warnte Schnapper.