Die Zeichen standen von Anfang an nicht gut, und dass es nur eine 50-Prozent-Chance auf Erfolg gebe, das hatte selbst Noch-Kanzler Karl Nehammer (ÖVP) in den vergangenen Wochen betont. Seine Skepsis war berechtigt. Drei Parteien, die gegensätzlicher nicht sein könnten, jede für sich unter großem Druck – nach fast drei Monaten Verhandlungen steht nun fest: Die Dreier-Koalition aus Konservativen, Sozialdemokraten und den liberalen Neos, die Österreich künftig regieren sollte, ist am Ende, bevor sie überhaupt anfangen konnte.
Österreich geht das Geld aus
Am Freitagmorgen trat Neos-Parteichefin Beate Meinl-Reisinger vor die Kameras, fast eine halbe Stunde lang rechnete die liberale Verhandlungsführerin mit Nehammers ÖVP und SPÖ-Chef Andreas Babler ab, und verkündete den Ausstieg ihrer Partei aus den Koalitionsgesprächen. Meinl-Reisinger war sichtlich bemüht, die Verantwortung für das Scheitern von sich zu weisen. Die Neos, die bei den Nationalratswahlen Ende September rund neun Prozent der Stimmen erreicht hatten, hatten in den vergangenen Wochen vor allem auf zwei Punkten bestanden: tiefgreifende Reformen, allen voran in den Bereichen Pensionen und Bildung, sowie eine Sanierung des hochdefizitären Staatshaushalts. Österreich droht ein EU-Defizit-Verfahren, im Budget fehlen Milliarden.
Es seien leider nicht nur keine Fortschritte erzielt, sondern eigentlich Rückschritte gemacht worden, sagte Meinl-Reisinger. Man würde wieder einmal nur bis zum nächsten Wahltag denken, und aus dem „kein ‚Weiter wie bisher‘“ sei doch ein „Weiter wie immer“ geworden. In einigen Bereichen, vor allem im Bildungswesen, sagte die Neos-Chefin, gebe es sehr wohl befriedigende Verhandlungsergebnisse. Auch beim Thema Steuern und einnahmenseitige Budgetsanierung habe es durchaus ein Entgegenkommen ihrer Partei gegeben. Gereicht hat das offenkundig nicht. Und so dürfte das Experiment einer Dreier-Regierung vor allem am Thema Pensionen gescheitert sein.
Regierungsbildung in Österreich: Größter Streitpunkt war die Pension mit 67
Die Neos wollen das Pensionsantrittsalter in der Alpenrepublik auf 67 Jahre anheben – für die ÖVP, vor allem aber für die SPÖ, die sich stark auf Senioren als Wähler und Wählerinnen stützt, ein unmöglicher Kompromiss. In einer ersten Reaktion am Freitagmittag gab auch die ÖVP den Sozialdemokraten die Schuld am Aus: „Teile der Sozialdemokraten“ hätten sich zwar „konstruktiv eingebracht“, in den letzten Tagen aber hätten die „rückwärtsgewandten Kräfte“ in der SPÖ die Oberhand erlangt, lies die ÖVP-Parteispitze schriftlich wissen. Und neue Steuern, wie die SPÖ sie wollte, die hätte es auch mit der ÖVP nicht gegeben, legte ÖVP-Generalsekretär Christian Stocker im ORF-Interview nach.
Nichts zu hören war am Freitag zunächst vom Gewinner der Nationalratswahl: FPÖ-Chef Herbert Kickl schweigt, für seine Partei aber ist klar: Nun muss sie zum Zug kommen. Wieder steckt Österreich in einer massiven politischen Krise. Wie es weitergehen soll, ist völlig unklar. Am Freitagnachmittag ergingen sich die österreichischen Medien in Spekulationen, entwarfen Szenarien und Auswege aus dem Dilemma.
Mögliche Minderheitsregierung in Österreich: Stützen die Neos eine schwarz-rote Koalition?
Soll nach nur etwas mehr als drei Monaten neu gewählt werden? Unwahrscheinlich, schließlich müsste vor allem die ÖVP, die Neuwahlen herbeiführen könnte, bei diesen mit einem noch größeren Minus rechnen. Umfragen sehen die extrem rechte AfD-Schwesterpartei FPÖ schon bei bis zu 34 Prozent. Eine Regierung nur aus ÖVP und SPÖ? Rechnerisch möglich, schließlich verfügen die beiden Parteien im Parlament über eine hauchdünne Mehrheit, und obwohl nicht in der Regierung, könnten die Neos eine solche de-facto-Minderheitsregierung stützen. Dass man dazu grundsätzlich bereit wäre, unterstrich die Neos-Chefin am Freitagmorgen – die bereits ausverhandelten Reformprojekte würde man im Nationalrat selbstverständlich mittragen.
Am Abend teilte Bundespräsident Alexander Van der Bellen dann mit, dass ÖVP und SPÖ bilateral über eine Große Koalition weiterverhandeln. Das habe er von den Parteichefs erfahren. Van der Bellen fordert von den Parteichefs, dass sie „ohne Zeitverzug“ miteinander verhandeln. „Ich will Klarheit, schnelle und umfassende Klarheit“, sagte er.
Österreich: Gerüchte über ein Comeback von Sebastian Kurz
Klar ist also: Nehammers Handlungsoptionen sind nun äußerst beschränkt. Zu alldem streuten nur Stunden nach dem Scheitern der Koalitionsverhandlungen Boulevardmedien im In- und Ausland Gerüchte über eine mögliche Rückkehr von Sebastian Kurz an die ÖVP-Spitze. Vom offensichtlichen Drang des Ex-Kanzlers auf die mediale Bühne einmal abgesehen, deutet allerdings kaum etwas auf ein unmittelbar bevorstehendes Comeback hin.
Wie in einem aufgescheuchten Hühnerhaufen geht es es jetzt in Wien zu. Gerüchte und Vermutungen wechseln sich ab. Und die FPÖ schaut amüsiert zu. Derweil Koalitionen mit der FPÖ in mehreren Bundesländern ohne große Probleme funktionieren. Wenn Kickl auf die Kanzlerschaft verzichten würde und ein moderater FPÖler auftreten würde könnte eine FPÖ /ÖVP Regierung funktionieren, denn politisch stehen sich beide Parteien in Grundsatzfragen näher als ÖVP und SPÖ. Nur es würde das Aus für Nehammer bedeuten.
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