Es war die 202. Sitzung des Deutschen Bundestages in dieser Legislaturperiode und sehr viele weitere wird es bis zur Wahl im kommenden Februar nicht mehr geben. Ganz oben auf der Tagesordnung: die Regierungsbefragung. Zum dritten Mal stellte sich Kanzler Olaf Scholz (SPD) in diesem Format den Fragen der Abgeordneten, er selbst gab in seiner auf acht Minuten begrenzten Einleitung das dominierende Thema sowohl der folgenden Befragung als auch mutmaßlich des Wahlkampfes der nächsten Wochen vor: den Krieg in der Ukraine.
In Berlin häufen sich Anzeichen, dass Unions-Fraktionschef Friedrich Merz für kommende Woche eine Reise nach Kiew plante. Scholz bekam das offenbar mit und setzte einiges daran, noch vor Merz in die Ukraine zu fahren und sich mit Präsident Wolodymyr Selenskyj zu treffen. Als der Kanzler im Bundestag auf seinen Kiew-Trip verwies und erklärte, er habe „diese Reise bewusst jetzt gewählt“, wurde er von höhnischem Gelächter unterbrochen. Die Union mit ihrem CDU-Spitzenkandidaten Merz wirft dem Kanzler ein Wahlkampfmanöver vor, der CDU-Außenpolitiker Roderich Kiesewetter nannte den Besuch im Gespräch mit unserer Redaktion gar „verlogen“. Wobei nicht ganz klar ist, ob Kiesewetter da schon von den Reiseplänen seines eigenen Parteivorsitzenden wusste, die bei solchen Anlässen aus Sicherheitsgründen bis zur Ankunft nur wenigen Menschen bekannt sind.
Scholz sprach mit Trump
Scholz hat ohnehin eine andere Begründung für seine Reise. Die habe er angetreten, „nachdem ich viele Gespräche führen konnte“, sagte der SPD-Politiker und nannte unter anderem US-Präsident Joe Biden sowie dessen Nachfolger Donald Trump. „Und für mich ist genau jetzt, vor diesem Winter, der so große Gefahren für die Ukraine mit sich bringt, zentral, dass wir jetzt darüber sprechen: Was sind die Pläne, die die Ukraine hat?“ Es dürfe keine Entscheidung über die Köpfe der Ukraine hinweg getroffen werden und gleichzeitig komme es „auch darauf an, einen kühlen Kopf zu bewahren“.
Deutschland sei, erklärte Scholz, das Land „das das meiste tut“. Gleichzeitig müsse man nicht alles tun, „was irgendwo gefordert wird“. Das war wieder auf den wenige Meter entfernt sitzenden Merz gemünzt. Der Unions-Kanzlerkandidat hatte die Lieferung von deutschen Taurus-Raketen an die Ukraine gefordert und das mit einem 24-Stunden-Ultimatum unterlegt – von dem er anschließend behauptete, die Äußerung nicht als ultimative Drohung gemeint zu haben. Scholz will die Marschflugkörper nicht liefern, weil sie eine hohe Reichweite und Durchschlagskraft haben. Er wolle, betonte der 66-Jährige, „weiterhin alles dafür tun, dass es nicht zu einer Eskalation dieses Krieges, zu einem Krieg zwischen Russland und der Nato kommt“.
Baerbock war diplomatisch
Der FDP-Politiker Marcus Faber lenkte den Blick auf die Phase, die einer Taurus-Lieferung vorangehen müsste. Die Ausbildung an dieser Waffe, sagte der Vorsitzende des Verteidigungsausschusses, dauere vier Monate. Ob es da für Scholz nicht Sinn mache, mit dieser Ausbildung schon jetzt zu beginnen, um seinem Nachfolger alle Optionen offenzuhalten, wollte Faber wissen. Der Kanzler reagierte zunächst mit Spott. „Für eine Partei, die mit der Fünf-Prozent-Hürde zu kämpfen hat, sind Sie ganz schön tapfer“, sagte er und erwähnte auch, dass er gerne selbst sein „eigener Nachfolger“ werden wolle. Die sachliche Antwort fiel so aus: „Ich halte es für falsch, diese Entscheidung zu treffen, und deshalb macht auch eine Ausbildung dafür keinen Sinn.“
Über das Thema Ukraine hinaus musste sich Scholz Kritik an seinem Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) und dessen Verantwortung bei der Genehmigung von Millionenhilfen für den schwedischen Batteriehersteller Northvolt gefallen lassen. Es sei „sehr bedauerlich“, dass sich die Investitionspläne von Northvolt nicht so entwickelt hätten, wie man sich das in Deutschland und Europa erhofft habe, sagte er. Ausdrücklich in Schutz nahm er Habeck nicht, der wie er gerne Kanzler werden würde.
Stattdessen gab es Unterstützung für die Aufsehen erregende Äußerung von Außenministerin Annalena Baerbock (Grüne), sie könne sich nach einem Waffenstillstand eine deutsche Friedenstruppe in der Ukraine vorstellen. Die Ministerin habe den Vorschlag nicht von sich aus gemacht, sagte Scholz, sie sei vielmehr danach gefragt worden und habe versucht, in der Antwort „weder Ja noch Nein zu sagen“. In der aktuellen Situation halte er es, in Abstimmung mit Baerbock, „für ausgeschlossen, Bodentruppen in die Ukraine zu schicken“.
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