Wenn alles nach Plan verläuft, findet die nächste Bundestagswahl im Herbst 2025 statt. Die Vorbereitungen allerdings laufen jetzt schon an. Denn bereits im Juni kann mit der Aufstellung der Bewerberinnen und Bewerber begonnen werden, und im politischen Berlin verweisen gerade bemerkenswert viele Spitzenpolitiker auf diesen Termin. Der Grund für die frühe Unruhe: Wohl noch nie waren die Optionen für neue Regierungsbündnisse so klein, wie derzeit. In den Parteizentralen wird deshalb jetzt schon austariert, mit wem Koalitionen in Zukunft möglich wären. Deutlich wird das in diesen Tagen am Kuschelkurs zwischen FDP-Chef Christian Lindner und Vizekanzler Robert Habeck von den Grünen.
Bei den Liberalen sorgen die Zahlen für Alarmstimmung: In vier von fünf Umfragen jüngeren Datums sind die Liberalen unter die Fünf-Prozent-Hürde gerutscht. Das Gespenst von 2013 geht wieder um, damals kam die Partei auf nur 4,8 Prozent und war eine Legislaturperiode lang nicht mehr im Bundestag vertreten. Macht ging verloren, Geld auch, Karrieren wurden jäh gestoppt. Der Blick auf die Umfragen zu den Landtagswahlen im Herbst verstärkt den Druck, denn die Zahlen deuten ebenfalls auf ein Scheitern hin. In der letzten Sitzungswoche entlud sich der Frust.
Lindner rangiert vor Habecks Familie
„Da flogen ganz schön die Fetzen“, bestätigte eine Teilnehmerin einen Bericht der Bild-Zeitung, wonach sich die Fraktionsspitze heftige Kritik an ihrem Führungsstil gefallen lassen musste. Übers Wochenende dann die Überraschung: Finanzminister Lindner und Wirtschaftsminister Habeck wollen gemeinsam eine Unternehmenssteuerreform und Erleichterungen für die Wirtschaft auf den Weg bringen.
Seit dem Start der Ampel befanden sich Habeck und Lindner in einer Art Dauerfehde. Der Grüne beschwerte sich darüber, dass der Liberale seine Pläne erst im Radio und dann im Kabinett verkündete – Lindner wiederum beklagte die angeblich mangelhafte Professionalität im Hause Habeck. Der Lindner früherer Zeiten hätte Habecks Pläne für ein milliardenschweres Sondervermögen zur Entlastung der Firmen in der Luft zerrissen. Der neue Lindner jedoch zeigt sich zahm. Jetzt sei die Debatte da. „Und jetzt machen wir was Konstruktives draus“, sagte er im „Bericht aus Berlin“. Habeck wiederum nahm eine überraschende Kurskorrektur vor, kassierte seinen Vorschlag in Teilen wieder ein und sprach sich – ganz FDP-like – für Steuererleichterungen und Investitionsanreize aus. In der ARD-Sendung „Caren Miosga“ setzte der Grüne seine Charmeoffensive fort: „Mit Lindner rede ich häufiger als mit Menschen aus meiner Familie.“
Vorbereitet auf die nächste Wahl
Eine tiefe Männerfreundschaft wird zwischen den beiden Führungspersönlichkeiten wohl nie entstehen, auch sind ihre jüngsten politischen Vorstöße noch nicht deckungsgleich. Aber die Annäherung ist bemerkenswert und ein Versuch, jetzt schon Leitplanken für die nächste Regierungsbildung einzuziehen – für eine vorzeitige, falls die Koalition platzt, oder für die reguläre.
Habeck will, das ist bei den Grünen ein offenes Geheimnis, Spitzenkandidat seiner Partei werden. Bei der letzten Wahl überließ er seiner Parteifreundin Annalena Baerbock die Führung, diese Entscheidung bereut er bis heute. Die Außenministerin wird ihm nach Einschätzung in Parteikreisen freiwillig allerdings kaum Platz machen, also muss die eigene Position innerparteilich abgesichert werden, dazu gehört wiederum auch die Suche nach möglichen Bündnispartnern.
Merz schreckt Lindner und Habeck auf
Habeck wie Lindner wurden in ihren Überlegungen übers Wochenende durch Friedrich Merz aufgeschreckt. Der CDU-Vorsitzende stellte in seinem Newsletter „#MerzMail“ Überlegungen über künftige Koalitionen an. Es sei einerseits wohl richtig, dass die Union stärkste Fraktion werden könne, sinnierte Merz und ergänzte: Richtig sei aber wohl auch die Annahme, dass ein Koalitionspartner gebraucht werde. „Am ehesten“ ließe sich eine bürgerliche Koalition mit der FDP verwirklichen, erklärte der Sauerländer und legte anschließend den Finger in Lindners Wunde: „Fraglich ist aber, ob sie als Partei überlebt.“
Die Grünen umwarb Merz aber auch nicht, er verwies süffisant auf Hessen, wo sich die siegreiche CDU mit der SPD zusammentat. Der Parteivorsitzende hätte am liebsten eine so starke Union, dass sie mit nur einem Partner regieren kann. Das könnte klappen, muss aber nicht. Für diesen Fall bereiten Habeck und Lindner nun zwei Optionen vor. Entweder gehen sie als starke Verbündete in eine Koalition mit der Union zusammen – oder aber in eine Neuauflage der Ampel, dann allerdings unter einem grünen Bundeskanzler.