Die Ampel-Koalition werde, blickte FDP-Chef Christian Lindner bei der Regierungsbildung voraus, keine Liebesheirat, sondern nur eine Zweckehe sein. Das verflixte siebte Jahr dürfte er dabei noch gar nicht im Sinn gehabt haben. Die Tatsache, dass es bereits im siebten Monat verflixt eng für das Bündnis aus Liberalen, Grünen und SPD ist, aber auch nicht.
Die erste Krise konnte Kanzler Olaf Scholz noch abwenden. Der Streit über die Unterstützung der Ukraine in ihrem Krieg mit Russland wurde beigelegt. Viele Koalitionäre sind skeptisch, ob dem SPD-Politiker das bei den aktuellen Konflikten auch gelingt. Denn es gibt zur Ukraine-Debatte einen wichtigen Unterschied: Beim Thema Verteidigung waren sich im Ziel alle einig, gestritten wurde über Details auf dem Weg dorthin. Bei den aktuellen Streitpunkten jedoch gibt es keine klare Zielmarke. Auf einmal werden die unterschiedlichen programmatischen Ansätze der Parteien deutlich und alle schießen in verschiedene Richtungen.
Wissing stellt sich gegen das Verbrenner-Aus
Jüngster Höhepunkt: Die Weigerung von Bundesverkehrsminister Volker Wissing,
. Nicht nur, dass der FDP-Politiker den Kanzler damit für den nächsten Europäischen Rat in knapp zwei Wochen in Erklärungsnot gebracht hat. Der deutsche Regierungschef muss seinen Kolleginnen und Kollegen dort irgendwie erklären, ob Berlin nun dem liberalen Kurs folgt oder doch dem grünen Verlangen danach, den Zündschlüssel abzuziehen und für alle Zeiten wegzuschmeißen. Wissing pfeift außerdem auf den Koalitionsvertrag. „Schritt für Schritt beenden wir das fossile Zeitalter, auch, indem wir den Kohleausstieg idealerweise auf 2030 vorziehen und die Technologie des Verbrennungsmotors hinter uns lassen“, heißt es dort. Wissing könnte sich darauf berufen, dass kein Datum genannt ist. Der gewiefte Politiker weiß aber, dass er mit solchen Tricks bei den Grünen nicht durchkommt. Sein Vorstoß darf also durchaus als gezielte Provokation verstanden werden. Zumal nicht wenige Liberale den Koalitionsvertrag ohnehin bereits als Makulatur betrachten.Die Mitglieder und das Spitzenpersonal von SPD, Grünen und FDP sind unterschiedlich sozialisiert, es sind Grundsätze, die in der Ampel aufeinanderprallen. Viele schauen neidisch auf wahre politische Liebesbekundungen, die jüngste davon das schwarz-grüne Bündnis in Nordrhein-Westfalen, wo sich politische Überzeugungen wohl leichter durchsetzen lassen als in der komplizierten Berliner Dreiecksbeziehung.
Atomkraft? Nein Danke!
Die Verkehrspolitik ist dabei ein Beispiel, die Energiepolitik ein anderes. Wenn Lindner etwa für eine längere Laufzeit von Atomkraftwerken plädiert, wenden sich viele Grüne mit Schaudern ab. Unterschiedliche Ansichten zur Rolle des Staates und zur Ordnungspolitik zeigen sich auch
. Das SPD-regierte Bremen hat sie am Freitag mit einer Bundesratsinitiative befeuert. Das Ansinnen, die Gewinne von Profiteuren des Ukraine-Krieges mit einer Sondersteuer abzuschöpfen, wurde diskutiert. Zur Abstimmung kam es jedoch noch nicht und die Chancen auf Umsetzung stehen schlecht.In einer koalitionsinternen Stellungnahme des Bundesfinanzministeriums, die unserer Redaktion vorliegt, weist Lindners Haus eine solche Steuer klar zurück. Demnach wäre bereits die Festlegung, ab welcher Gewinnhöhe die Steuer greifen soll, „schwer ermittelbar und höchst streitanfällig“. Sie wäre „ein neues, systemfremdes Element im deutschen Steuerrecht“, wie Lindners Staatssekretärin Katja Hessel schreibt. Neben weiteren Gründen weist die FDP-Politikerin darauf hin, dass eine höhere Ertragsbesteuerung im Inland zudem einen Anreiz für multinationale Unternehmen schaffen würde, ihr Öl woanders zu verkaufen. Was den Preis in Deutschland weiter in die Höhe treiben dürfte.
Die Übergewinnsteuer ist mit der FDP also nicht zu machen. Interessanterweise sind die Grünen darüber nicht sehr verärgert. Wirtschaftsminister Robert Habeck hatte bei seinem Vorstoß zur Einführung einer solche Abgabe bereits eingeräumt, dass sie wohl nur schwer, womöglich gar nicht umzusetzen ist. Im roten Lager hingegen ist die Bereitschaft, den liberalen Koalitionspartner weiter zu triezen, ungleich höher. Überhaupt geht der SPD Lindners gesamte Arbeit gewaltig gegen den Strich.
Christian Lindner nervt die SPD
Denn die SPD hat einige Wünsche, die sie bald umsetzen will. Die aber kosten zusammen viele Milliarden Euro, und die Sozialdemokraten warten nun täglich auf Vorschläge aus dem Finanzministerium, wie Lindner das Geld auftreiben will. Die Einführung der Kindergrundsicherung gehört dazu, sie soll möglichst vor den niedersächsischen Landtagswahlen am 9. Oktober kommen. Die SPD will weiter den Ministerpräsidenten stellen, da können ein paar positive Nachrichten nicht schaden. Zumal bei den Roten der Ärger darüber anhält, dass Lindner ihnen die Ausweitung des Energiegeldes von 300 Euro auf die Rentnerinnen und Rentner vermasselt hat.
Hinter allem steckt wieder ein Grundsatzstreit. Die FDP ist gegen Steuererhöhungen und denkt eher über Entlastungen nach. Grüne und vor allem aber die SPD wiederum würden Entlastungen allenfalls mittragen, wenn es an anderer Stelle Abgabenerhöhungen gibt, beispielsweise beim Spitzensteuersatz. Während es also derzeit so aussieht, als ob in der Ampel nur Grüne gegen Gelbe blinken, wird in der Steuerpolitik der bislang nur schwelende Konflikt zwischen FDP und SPD vollständig aufbrechen. Allen Differenzen zum Trotz ist die Ampel-Koalition noch gewillt, die Zweckehe aufrechtzuerhalten. Die Zahl der Scheidungsgründe steigt jedoch.