Von Aufbruchsstimmung ist nichts mehr übrig, jede Leichtigkeit verflogen: Die Ampel-Koalition, die sich gerade in Meseberg bei Berlin zur Klausur trifft, steht wegen des Energiepreis-Schocks gewaltig unter Druck. Im Bündnis aus SPD, Grünen und FDP gibt es in zentralen Fragen tiefe Verwerfungen. Fast scheint es, dass die Regierung nur deshalb nicht auseinanderfällt, weil dies keinem der Beteiligten nutzen, den russischen Präsidenten Wladimir Putin aber umso mehr freuen würde. Seit dessen Truppen in die Ukraine einmarschierten, befindet sich das Kabinett im Krisenmodus. Doch einig sind sich die Partner in immer weniger Feldern. Das beginnt schon bei ganz grundsätzlichen Fragen. Zwar hatte SPD-Kanzler Olaf Scholz die "Zeitenwende" beschworen, doch er und Christine Lambrecht, seine Parteifreundin im Verteidigungsressort, müssen sich auch aus den Reihen der Ampel den Vorwurf anhören, die Ukraine zu zögerlich zu unterstützen. Die Konflikte werden mehr und schärfer. Einige Beispiele:
Zoff um die Gasumlage: Klassenkeile für Habeck
Wegen der missglückten Gasumlage dreschen Spitzenvertreter von SPD und FDP geraude auf Wirtschaftsminister Robert Habeck von den Grünen ein. An Nachbesserungen wird der bisherige Ampel-Posterboy nicht vorbeikommen. Überhaupt geht es in der Frage, wie Deutschland angesichts knapper und immer teurerer Energie über den Winter kommen soll, ans Eingemachte. Die FDP spricht sich dafür aus, die drei noch verbliebenen deutschen Atommeiler nicht wie geplant abzuschalten. SPD und vor allem Grüne lehnen das ab. In der Ökopartei gilt jeder Kompromiss in der Frage der Kernenergie als Tabu. Doch je größer die Probleme auch im Stromsektor werden, desto höher wird der Druck auf Habeck.
Eine Grundregel, die noch die alte Bundesregierung zum Klimaschutz festgelegt hat, sorgt nun in der neuen für mächtig Ärger. Jedes Ministerium muss in seinem Zuständigkeitsbereich eine bestimmte Menge an Treibhausgasen einsparen. Die sogenannten Sektorziele sind verbindlich, doch die FDP will dieses ihrer Meinung nach zu starre und kleinteilige Prinzip aufweichen, die Grünen pochen energisch darauf. Das Klimaschutzkonzept, das der liberale Verkehrsminister Volker Wissing kürzlich vorgestellt hat, wurde vom Expertenrat für Klimafragen als völlig unzureichend zurückgewiesen. Die Grünen sind empört und fordern dringend Nachbesserungen.
Übergewinnsteuer? Nicht mit Finanzminister Lindner
Ums Geld wird besonders heftig gestritten. SPD und Grüne wollen Energieunternehmen, die von der Preisexplosion profitieren, zur Finanzierung von Entlastungen stärker besteuern. FDP-Finanzminister Lindner lehnt eine Übergewinnsteuer ab – diese sei rechtlich schwierig und vertreibe innovative Firmen. Zudem hat er Steuererhöhungen generell eine Absage erteilt, vielmehr will er die sogenannte kalte Progression abschaffen. Dieser Effekt tritt ein, wenn Gehaltserhöhungen zwar die Kaufkraftverluste durch Inflation nicht völlig ausgleichen können, aber dennoch zu einem höheren Steuersatz und damit einer größeren Gesamtbelastung führen. Vom grünen Koalitionspartner wird der Vorstoß als unsozial kritisiert.
Bei SPD und Grünen ertönt der Ruf, zur Finanzierung sozialer und ökologischer Projekte neue Schulden aufzunehmen, immer lauter. Lindner dagegen möchte im kommenden Haushalt wieder zu den Regeln der Schuldenbremse zurückkehren. Der Finanzminister definiert seine Rolle in der Ampel als "Korrektiv" überbordender Umverteilungswünsche von Linken und Grünen. Seinen liberalen Anhängern mag er nach der aktuellen Rekord-Neuverschuldung keine weiteren Zumutungen präsentieren.
In der Corona-Politik gibt es in der Ampel heftigen Zoff. "Panikmache" warf FDP-Justizminister Marco Buschmann gerade seinem Gesundheitskollegen von der SPD vor. Karl Lauterbach hatte die Deutschen zuvor auf einen schwierigen Corona-Herbst und das mögliche Auftreten neuer, gefährlicherer Virustypen eingestimmt. Zwar betonen beide ihr angeblich konstruktives Arbeitsverhältnis. Doch inhaltlich ist die Kluft zwischen den beiden für die Pandemiebekämpfung maßgeblichen Ministern vor Beginn der kalten Jahreszeit tiefer denn je.
SPD und FDP verlieren: Die harte Sprache der Umfragen
Jeder ist sich selbst der Nächste, das gilt in der Politik besonders, wenn die eigenen Felle davonschwimmen wie bei SPD und FDP. Beide bleiben in Umfragen seit Monaten hinter ihren Ergebnissen bei der Bundestagswahl weit zurück. Die Grünen dagegen profitierten. Das weckt den politischen Futterneid, der vor der Landtagswahl in Niedersachsen in gut fünf Wochen steigt. Für die dort regierende SPD geht es nach den Schlappen in Nordrhein-Westfalen und Schleswig-Holstein um weit mehr als nur ums Prestige. Würde sie das wichtige Land verlieren, müsste sich Kanzler Scholz vielen peinlichen Fragen nach seiner Mitverantwortung stellen.