Christian Lindner hatte es schon immer gewusst. Die Ampel-Koalition sei keine Liebesheirat, sondern nur eine Zweckehe, erklärte der FDP-Vorsitzende, noch bevor die Tinte unterm Koalitionsvertrag von SPD, Grünen und Liberalen trocken war. Knapp acht Monate ist dessen Unterzeichnung nun her, und immer mehr Koalitionäre bezweifeln inzwischen, dass eine Fortsetzung der Dreiecksbeziehung Sinn macht. Aktuelle Scheidungspläne gibt es zwar noch nicht, dass die Ampel ihr Einjähriges feiern kann, ist indes nicht sicher.
Nur mühsam hatten die drei Parteien bei der Regierungsbildung ihre politischen Gegensätze überwinden können und dafür teils weit zurückstecken müssen. Die Flitterwochen waren nur kurz, die Harmonie verflog schnell. Dem unmittelbaren Druck nach Putins Angriff auf die Ukraine hielt die Ampel noch einigermaßen stand, obwohl sich in der Frage der Waffenlieferungen bereits Differenzen zeigten. Die verschiedenen Facetten der Energiekrise jedoch führen den Regierungspartnern vor Augen, dass der Zweck eben doch nicht immer die Mittel heiligt.
„Politische Debatten sind in einer Demokratie Gott sei Dank normal“, erklärte Vize-Regierungssprecher Wolfgang Büchner am Montag, und dem wäre nichts hinzuzufügen. Bei einigen grundsätzlichen Themen ist die Debatte allerdings längst in Streit übergegangen,
.In der Ampelkoalition herrscht Streit über die Atomkraft
Eine Laufzeitverlängerung der drei noch ans Netz angeschlossenen Kernkraftwerke überfordert viele Mitglieder von SPD und Grünen. Sie wären wohl bereit, einem Weiterbetrieb bis März zuzustimmen, wenn der noch laufende zweite Stresstest zur Sicherheit der Stromversorgung die Notwendigkeit dafür ergeben sollte. Eine Laufzeitverlängerung bis 2024, wie sie die FDP fordert, ist mit Roten und Grünen jedoch nicht zu machen. „Das wäre der Teilausstieg vom Atomausstieg, für den wir so lange gekämpft haben“, sagt ein Spitzen-Grüner und fügt hinzu, dass es dafür niemals die Zustimmung der Mitglieder geben wird.
Die Atomkraft allein hat nach Einschätzung verschiedener Ampel-Politiker nicht das Potenzial, die Koalition platzen zu lassen. Dafür könnten aber weitere Nadelstiche sorgen, und von denen gibt es reichlich. So hegen SPD und Grüne große Sympathien für eine Übergewinnsteuer. Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) ist einer der prominentesten Befürworter, Lindner einer der entschiedensten Gegner dieser Abgabe, die bei Unternehmen Gewinne abschöpfen soll, die sie in Folge des Ukraine-Kriegs zusätzlich erwirtschaften. „Wer am Stammtisch entscheidet, was ein Übergewinn ist, gibt das deutsche Steuerrecht der Willkür preis“, ätzte der FDP-Chef. Während seine Partei von der Forderung nach langen AKW-Laufzeiten abrücken könnte, berührt das Steuerthema fundamentale Grundsätze.
Auch bei der Schuldenbremse gibt es Streit in der Regierung
Was so auch für die Schuldenbremse gilt, zu der die FDP 2023 zurückkehren will. Selbst wenn der Finanzminister Lindner es anders machen wollte – der Parteivorsitzende Linder könnte es gar nicht. „Die Einhaltung der Schuldenbremse ist nicht nur ein Gebot des Grundgesetzes, sondern auch ein klares finanzpolitisches Signal der Inflationsbekämpfung an die Märkte und die europäischen Partner“, heißt es in einem Beschluss des FDP-Bundesvorstands. Nach Auffassung der Liberalen muss eben gespart werden. Es könne „schlicht nicht mehr jeder Wunsch und jeder vermeintlich sinnvolle staatliche Ausgabenwunsch finanziert werden“, meint FDP-Generalsekretär Bijan Djir-Sarai.
SPD und Grüne vertreten bei der Schuldenbremse eine andere Haltung. Sie verweisen auf die hohen Belastungen, die noch aufs Land zukommen. Die Energiekosten-Hilfen müssen finanziert werden, das Bürgergeld bedarf noch einiger Milliarden Euro und einiges mehr. Damit könnte ein erneutes Lockern der Schuldenbremse begründet werden, heißt es bei den beiden großen Koalitionspartnern. Sie wollen sich hier zumindest keine Denkverbote auferlegen und sind deshalb über die verfrühte kategorische Festlegung des kleinsten Ampelteils heftig erzürnt.
Seit der Bundestagswahl hagelte es Verluste für SPD und FDP
In der letzten Sitzungswoche im Juli waren die Koalitionäre in der Annahme auseinander gegangen, man werde sich Anfang August bei einer Sondersitzung des Bundestags wiedersehen. Es gäbe genug zu besprechen – aber eben auch genügend zu streiten. Kanzler Olaf Scholz hatte bereits beim letzten Koalitionsausschuss vor der Sommerpause jegliches Konfliktpotenzial von der Tagesordnung gestrichen. Der Regierungschef weiß,
, die ihnen die Ampel bietet. Die Fraktionsvorsitzenden wissen das auch und zögern eine Sondersitzung, bei der die koalitionsinternen Differenzen offen zutage treten würden, so lange wie möglich hinaus.Am Ende könnte reiner Selbsterhaltungstrieb die Ampel zusammenhalten. SPD und FDP haben sich in den Umfragen von ihren Ergebnissen bei der Bundestagswahl entfernt, die Liberalen deutlicher als die Sozialdemokraten. Die Grünen hingegen legen zu, sie könnten mit der Union im Falle vorgezogener Neuwahlen eine Zweier-Koalition eingehen. FDP und SPD würden nicht mehr gebraucht.