Es ist eine Frage, die Politik und Gesellschaft schon seit Jahren stellen: Wählt der Osten anders als der Westen der Bundesrepublik? Die Wahl des ersten AfD-Landrats im Thüringer Landkreis Sonneberg und die hohen Zustimmungsraten für die rechtspopulistische Partei schienen vielen als Beleg dafür, dass Menschen in Ostdeutschland für rechte Ressentiments empfänglicher sind. Nun liefert eine repräsentative Studie der Universität Leipzig einen wissenschaftlichen Blick auf das Thema. Über 3500 Menschen in Ostdeutschland wurden dazu befragt, das Ergebnis: Die rechtsextreme AfD könnte durch hohe Zustimmung zu Rechtsextremismus, Fremdenfeindlichkeit und Chauvinismus in den östlichen Bundesländern weiter wachsen.
"Wir sehen in Ostdeutschland eine weite Verbreitung antidemokratischer und rechtsextremer Ansichten", sagt Autor Johannes Kiess. Erschreckend sei, dass nur 30 Prozent der Befragten diese Einstellungen eindeutig ablehnten.
Rechte Ressentiments finden in Ostdeutschland Anklang
Ein großer Teil der Befragten (41,3 Prozent) konnte sich voll und ganz hinter die Aussage "Die Ausländer kommen nur hierher, um unseren Sozialstaat auszunutzen" stellen, über ein Drittel hinter den Satz: "Die Bundesrepublik ist durch die vielen Ausländer in einem gefährlichen Maß überfremdet." Neben ausländerfeindlichen Einstellungen gebe es einen hohen Anteil antisemitischer Überzeugungen.
"Die liberale Demokratie steht massiv unter Druck. Das ist kein ostdeutsches Phänomen, das beobachten wir weltweit", sagt Kiess. Zum einen bilde sich eine Feindlichkeit gegen die Institutionen, zum anderen könnten sich viele nicht mehr mit demokratischen Werten identifizieren. "Die Menschen bauen eine große Distanz zur Politik auf und können sich nicht mehr mit ihr identifizieren. Wenn wir auf die Wahlen blicken, sehen wir, dass diese Menschen auch von der AfD keine Lösungen erwarten, sondern ihren Frust und ihren Hass kanalisiert sehen wollen", sagt Kiess.
Die AfD profitiert von populistischer Debattenkultur
Ein Viertel wünscht sich eine "starke Partei, die die Volksgemeinschaft insgesamt verkörpert" und 14 Prozent halten es für richtig, dass Deutschland einen Führer haben solle, "der zum Wohle aller mit starker Hand regiert". Der Umgang mit verschiedenen Meinungen, der Pluralismus einer Demokratie sei vielen Menschen zu kompliziert. "Der starke Führer, der durchgreift, gewinnt an Zustimmung. Diese klassisch autoritäre Einstellung kennen wir aus der Geschichte und sehen wir aktuell in anderen Ländern", sagt der Studien-Mitautor.
Auf kommunaler Ebene habe man in Sonneberg so etwas wie ein "Planspiel" gesehen. Wenn sich politische Debatten nicht mehr um den Inhalt drehen, sondern eskalieren und Populismus überhandnimmt, resultiere daraus Politikverdrossenheit. Von dieser Stimmung profitiere letztlich die AfD. "Die Befürchtung ist, dass Teile der CDU immer weiter nach rechts rücken, um Wähler zu gewinnen, das Resultat aber genau das Gegenteil sein wird", sagt Kiess.
Sieben Prozent der Ostdeutschen zeigen ein rechtsextremistisches Weltbild
Ein geschlossen rechtsextremistisches Weltbild sehen die Forschenden bei sieben Prozent der Befragten. Das sei "ein sehr hoher Prozentsatz, mit dem eine nicht zu unterschätzende Herausforderung für die Demokratie verbunden ist".
"Es ist nicht so, als sei alles verloren", sagt Kiess. "Wir müssen eine zivile Debattenkultur anstreben, in der es wieder um konkrete Probleme geht, die gelöst werden müssen." Als Beispiele nennt der Forscher die Inflation, die Energiewende und die Verkehrswende. Dabei solle es nicht um Populismus gehen, sondern reelle Vorschläge. "Wenn Wählerinnen und Wähler merken, dass konstruktiv um Lösungen gerungen wird, dann steigt auch wieder ihr Vertrauen in die Politik. Das ist eine wichtige, grundsätzliche Voraussetzung", sagt der Forscher.