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Lesetipp: "Kam mir vor wie 1933": So schauen AfD-Aussteiger auf den Wandel der Partei

Lesetipp

"Kam mir vor wie 1933": So schauen AfD-Aussteiger auf den Wandel der Partei

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    Wer aus der AfD draußen ist, will am liebsten gar nicht mehr über das Drinnen reden.
    Wer aus der AfD draußen ist, will am liebsten gar nicht mehr über das Drinnen reden. Foto: Ralph Peters, Imago

    Noch bis vor ein paar Tagen kam man auf der Internetseite der AfD Bad Kissingen an Freia Lippold-Eggen kaum vorbei. Ihre Bilder waren noch da: Sie im Vorstand, sie als Kandidatin für den Bundestag. Bis heute geistert auch jenes Foto durchs Netz, auf dem sie in die Kamera strahlt – rechts von Björn Höcke. Und dann ist da dieser Blogeintrag, in dem sich die heute 69-Jährige selbst als Vordenkerin bezeichnet. Denn: Als Vordenkerin könne sie sich später das Umdenken ersparen. Große Worte. 

    Doch irgendwann wurde Freia Lippold-Eggen nachdenklich – und musste am Ende doch umdenken. Vor einigen Monaten trat die Stadt- und Kreisrätin aus Unterfranken aus der AfD aus. Von der Homepage ihres Verbands wurden ihre Spuren erst jetzt getilgt. Ihr Stimmkreis war in die Schlagzeilen geraten durch den rechtsextremen Burschenschafter Daniel Halemba, der mittlerweile im Landtag sitzt und gegen den die Staatsanwaltschaft wegen des Verdachts auf Volksverhetzung ermittelt. Lippold-Eggen hat erlebt, mit welchen Mitteln er nach oben kam. "Die AfD installiert gezielt Rechtsradikale an den wichtigen Schaltstellen der Macht", sagt sie heute.

    Freia Lippold-Eggen, Stadträtin in Bad Kissingen, distanziert sich von der AfD.
    Freia Lippold-Eggen, Stadträtin in Bad Kissingen, distanziert sich von der AfD. Foto: Siegfried Farkas

    An der Basis, fernab der großen Bühne und der politischen Ämter, verzeichnet die AfD wachsenden Zuspruch. In Bayern hat die Partei nach eigenen Angaben, Stand Februar, 6300 Mitglieder – seit Juli 2023 sind über 1000 dazugekommen. Ganz normale Leute seien das, heißt es gern aus AfD-Kreisen. Menschen, die sich eben Sorgen machen. Die sich nach "normalen Verhältnissen" sehnen. Gemäßigte. Natürlich. Aber wer kann das schon nachprüfen? Was sich hingegen durchaus messen lässt: In den Führungsriegen der Partei werden solche bürgerlich-gemäßigten Leute immer weniger. 

    Fast die gesamte bayerische Landtagsfraktion wird inzwischen dem formal aufgelösten, rechtsradikalen Flügel um den Thüringer Landesvorsitzenden Björn Höcke zugerechnet. Jener Mann, an dessen Seite Freia Lippold-Eggen einst in die Kamera lächelte. Jener Mann, der als Faschist bezeichnet werden darf, dessen Landesverband vom Verfassungsschutz als gesichert rechtsextremistisch eingestuft wurde. Jener Mann, der beklagte, "dass Hitler als absolut böse dargestellt" werde. Höcke wurde einmal am äußersten Rand der AfD verortet, heute steht er in der Mitte der Partei – ohne dass er selbst seine Position dafür verändern musste. Viele waren bereit, diesen Weg mitzugehen, mit nach rechts zu rutschen. Doch nicht alle. 

    AfD-Aussteiger: Schweigen aus Angst, Scham, alter Verbundenheit

    Wer draußen ist, will am liebsten gar nicht mehr über das Drinnen reden. Das wird bei den Recherchen zu diesem Text schnell klar. Manche schweigen aus Scham, manche aus Angst, manche aus alter Verbundenheit. 

    Freia Lippold-Eggen bereut heute das Foto mit Björn Höcke. Ihre Aussage von 2021, sie sei mehr "Team Höcke" als "Team Meuthen", bezeichnet sie im Rückblick als "vorschnell und unüberlegt". Eigentlich sei sie immer nur ihr eigenes Team gewesen. Manche glauben ihr das, andere nicht.

    Der Abend, der Lippold-Eggen nach eigenen Angaben die Augen öffnet, liegt eineinhalb Jahre zurück. Im November 2022 sitzt die pensionierte Betriebswirtin in einem schmucklosen Saal in Bad Kissingen. Hier soll der Direktkandidat für die Landtagswahl gewählt werden. Sie ist damals stellvertretende Vorsitzende des Kreisverbands, hofft selbst darauf, nominiert zu werden.

    Die Veranstaltung findet ohne Öffentlichkeit statt, so lässt sich nicht lückenlos nachprüfen, was an jenem Abend genau geschah. Lippold-Eggen schildert es so: "Wir sitzen da, wollen unsere Aufstellungsversammlung machen, ein meiner Meinung nach bis dahin gemäßigter Kreisverband. Dann geht die Tür auf, eine Menge Leute kommen herein." Unter den Neuankömmlingen: Daniel Halemba, Vorsitzender der AfD Würzburg. Dazu der unterfränkische AfD-Chef und Landtagsabgeordnete Richard Graupner und Personen, die im Kreisverband laut Lippold-Eggen bis dato niemand kannte.

    Daniel Halemba (AfD) sitzt heute im bayerischen Landtag.
    Daniel Halemba (AfD) sitzt heute im bayerischen Landtag. Foto: Peter Kneffel, dpa

    "Ich habe mich gefragt: Wo kommen diese Leute her? Die hatten einen nagelneuen Mitgliedsausweis." Lippold-Eggen will verhindern, dass sie an der Wahl teilnehmen. Dann klingelt ein Telefon. Es meldet sich, so erzählt es Lippold-Eggen, ein bekannter AfD-Funktionär, offenbar Mitglied der rechten Burschenschaft Teutonia Prag. "Er hat gesagt, dass er mich verklagt, wenn die nicht mitwählen dürfen. Ich kam mir vor wie 1933." Am Ende stimmen die Neuen mit ab.

    Ein paar Monate später verlässt Lippold-Eggen die AfD. "Dass sich in der Partei was dreht, habe ich vorher auch schon gemerkt. Aber ich ging davon aus: Mein Kreisverband ist sauber. Bei uns gibt es keine rechtsradikalen Tendenzen. Wir haben auch im Kreistag immer vernünftig mit den anderen Parteien zusammengearbeitet. Am Ende hat es sich anders herausgestellt." 

    Jörg Meuthen war mehr als sechs Jahre lang Vorsitzender der AfD.
    Jörg Meuthen war mehr als sechs Jahre lang Vorsitzender der AfD. Foto: Christoph Soeder, dpa

    Auch Jörg Meuthen hat sich getäuscht. Oder hat er sich allzu gerne täuschen lassen? Niemand stand so lange an der Spitze der AfD wie der Wirtschaftsprofessor. Was die Partei heute ist, ist sie nicht zuletzt dank ihm, auch wenn er inzwischen nichts mehr mit der AfD zu tun haben will. Meuthen hatte stillschweigend mit dem rechtsextremen völkischen Flügel um Höcke paktiert, der ihn dafür im Machtkampf mit seiner damaligen Co-Chefin Frauke Petry unterstützte. Die Partei rückte nach rechts und Petry wurde vom Hof gejagt. Meuthen ahnte nicht, dass er diesen Sieg über die Rivalin schon bald teuer bezahlen würde. 

    Als er sich später der fortschreitenden Radikalisierung doch noch entgegensetzte, hatte er längst die Kontrolle über die AfD verloren. "Meine Annahme, die rechtsextremen Figuren in der Partei würden sich mit der Zeit von allein erledigen, weil deren Positionen so randständig waren, erwies sich als eine fatale Fehleinschätzung", sagt der 62-Jährige rückblickend im Gespräch mit unserer Redaktion. "Den Flügel um Björn Höcke, Andreas Kalbitz und andere habe ich anfangs nicht ernst genug genommen. Das war falsch", fügt er hinzu. Zur Wahrheit gehört jedenfalls, dass der langjährige Parteichef, der inzwischen als parteiloser Abgeordneter im Europaparlament sitzt, die Truppe am extremen rechten Rand als Teil der AfD so lange tolerierte, wie sie ihm nützlich war, seine eigene Macht abzusichern. Man kann etwas auch nicht kommen sehen, indem man konsequent wegschaut. 

    Meuthen ließ in den sechseinhalb Jahren an der Spitze zu, dass sich die Grenzen dessen, was man intern, aber auch auf offener Bühne aussprechen konnte, immer weiter verschoben haben. Er ließ sich bisweilen auch anstecken. Am Ende wurde er selbst von der Lawine überrollt, die er mit losgetreten hatte. 

    Der Moment, in dem er spürt, dass ihm die Partei entglitten ist, spielt im Sommer 2021. Meuthen will den damaligen nordrhein-westfälischen Landesvize Matthias Helferich hinauswerfen, nachdem dieser sich selbst als "das freundliche Gesicht des Nationalsozialismus" bezeichnet hatte. Doch er bekommt im Bundesvorstand nicht die erforderliche Mehrheit dafür. Es war etwas ins Rutschen geraten, das Meuthen erst nicht aufhalten wollte, dann nicht mehr aufhalten konnte. 

    Wenige Monate später gab er auf und trat zurück. Für viele halbwegs Gemäßigte war es das Signal, der AfD ebenfalls den Rücken zu kehren. Mit dem Ergebnis, dass der ganze Laden noch weiter Richtung Rechtsextremismus kippte. In Ostdeutschland geht nichts ohne Segen von Höcke. Zur Europawahl hat die AfD mit Maximilian Krah einen Spitzenkandidaten aufgestellt, dessen Wortbeiträge ("Lass dir nicht einreden, dass du lieb, soft, schwach und links zu sein hast. Echte Männer sind rechts.") noch vor ein paar Jahren allenfalls als überzogene Persiflage extremistischer Spinner durchgegangen wäre. Doch die AfD im Jahr 2024 ist real. 

    Von den früheren Führungsfiguren ist nur noch Gauland in der AfD

    "Ich kann mich selbstverständlich nicht davon freisprechen, dass ich diese Partei mit groß gemacht habe", sagt der langjährige Vorsitzende Meuthen heute und fügt hinzu: "Ich hatte etwas anderes vor mit der AfD, eine neue, starke freiheitlich-konservative Kraft, das war mein Ziel. Es kam anders." Sein Scheitern steht sinnbildlich für den Umgang der AfD mit ihren Anführern. In anderen Parteien agieren frühere Chefinnen und Chefs als graue Eminenzen im Hintergrund oder werden zu Ehrenvorsitzenden ernannt, sämtliche bisherige AfD-Führungsfiguren sind, abgesehen von Alexander Gauland, inzwischen nicht einmal mehr Mitglied der Partei. Der einstige Industrie-Präsident Hans-Olaf Henkel, der die AfD mit gegründet und massiv finanziell unterstützt hatte, sagte später sogar einmal: "Es macht mir Kummer, dass ich mitgeholfen habe, ein richtiges Monster zu erschaffen."

    2017, als Freia Lippold-Eggen aus Franken ihren Mitgliedsantrag unterschrieb, sei die AfD noch anders gewesen, beteuert die Frau, die mittlerweile parteilos im Stadtrat und Kreistag sitzt. "Ich bin damals eingetreten aus Frust über Merkel und weil ich gegen unkontrollierte Einwanderung war – und immer noch bin. Damals war die Partei meiner Meinung nach moderat. Damals hat man in unserem Kreisverband die Leute noch zurechtgewiesen, wenn jemand beim AfD-Stammtisch 'Scheiß Ausländer!' gesagt hat." Nach ihrem Austritt wird sie selbst von ihren früheren Verbandskolleginnen und -kollegen "Schwein" und "Sau" gerufen, wenn sie in Bad Kissingen über den Marktplatz geht. Sie ist sich sicher: "Die Radikalisierung wird weitergehen – auch in der Kommunalpolitik. In zwei Jahren werden nur noch die Linientreuen auf den Kandidatenlisten stehen."

    Einst stolzes AfD-Mitglied: Markus Bayerbach aus Augsburg.
    Einst stolzes AfD-Mitglied: Markus Bayerbach aus Augsburg. Foto: Ulrich Wagner

    Markus Bayerbach wird nicht mehr dazugehören. Der Politiker, der jahrelang im Augsburger Stadtrat und im Landtag saß, ist seit 2022 kein Parteimitglied mehr. Man trifft einen Mann, das wird schnell klar, der auf dem Papier zwar gekündigt hat, im Denken aber viele Positionen seiner früheren Partei noch teilt. Immer wieder betont er, dass vor allem Differenzen in seinem Kreisverband ihn zum Austritt gebracht haben. 

    Mehrfach trafen sich Bayerbach und ein ehemaliger Mitarbeiter vor Gericht – es ging um verschwundene Laptop-Dateien und Verdächtigungen. Bayerbach ist ein durch und durch konservativer Mann, aber mit radikalem Denken will er öffentlich nicht in Verbindung gebracht werden. "Ich wollte nicht mehr das bürgerliche Schild der Abgeordneten in Augsburg sein. In der Augsburger AfD gibt es Leute, die Ideen wie die sogenannte Remigration in einer Radikalität umsetzen würden, die ich nicht unterschreiben kann", erzählt er. 2013 war der mittlerweile pensionierte Förderschullehrer zur AfD gekommen, weil ihm "ein paar Punkte unheimlich gut gefallen" haben. 

    Frühere AfD-Politikerin warnt vor Regierungsbeteiligung

    "Wir sind angetreten mit der Prämisse: Jeder entscheidet nach seinem Gewissen, kein Fraktionszwang. Das ist verloren gegangen – unabhängig davon, ob es die Gemäßigten oder die Härteren sind." Sind seine alten Fraktionskollegen aus dem Landtag Rechtsextreme? So weit will Bayerbach nicht gehen, spricht lieber von einer Fraktion, die sich mehrheitlich aufs Provozieren verstehe. Das ist äußerst diplomatisch ausgedrückt. Und "diplomatische Typen" gebe es auch heute noch in der Fraktion, sagt der 61-Jährige. "Aber die werden kaltgestellt. Dadurch, dass die Fraktion so groß ist, kann man Leute kaltstellen."

    Die Partei mitregieren lassen, damit sie sich selbst entzaubert, wie es oft vorgeschlagen wird? Die unterfränkische Ex-AfDlerin Freia Lippold-Eggen warnt davor. "Das ist, als wenn ich einen Löwen im Zoo mit der Hand aufgezogen habe, dann die Käfigtür aufmache und sage, der tut keinem was. Das ist ein Spiel mit dem Feuer. Ich hoffe, wer diese Theorie vertritt, übernimmt am Ende auch die Verantwortung, wenn Höcke und seine faschistoiden Mitstreiter ihre Aussagen in die Tat umsetzen." Wer heute noch die AfD wähle oder unterstütze, "geht ganz bewusst das Risiko ein, dass aus einer Demokratie eine Diktatur wird".

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