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Terror: Vieles ist zu den RAF-Morden bis heute im Dunkeln

Terror

Vieles ist zu den RAF-Morden bis heute im Dunkeln

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    Der damalige Deutsche-Bank-Chef Alfred Herrhausen kam 1989 bei einem Attentat der RAF ums Leben.
    Der damalige Deutsche-Bank-Chef Alfred Herrhausen kam 1989 bei einem Attentat der RAF ums Leben. Foto: picture alliance/dpa (Archivbild)

    Die Terroristen kommen in der Nacht – und sie kennen keine Skrupel. Um an einen Truppenausweis für den Militärstützpunkt zu kommen, ermorden sie am 8. August 1985 den jungen amerikanischen Soldaten Edward Pimental nach einem Kneipenbesuch in Wiesbaden mit einem Genickschuss. Tags darauf verschafft sich ein Unbekannter mit dessen Ausweis Zutritt zur Rhein-Main-Airbase in Frankfurt, um dort eine Autobombe zu platzieren, die zwei weitere Menschen tötet. Dem Bekennerschreiben legt die Rote Armee Fraktion demonstrativ Pimentals Ausweis bei.

    Wer damals tatsächlich geschossen und den Wagen mit der Bombe gefahren hat, ist bis heute nicht wirklich aufgeklärt – wie die meisten Anschläge der RAF. Zwar werden die Terroristinnen Eva Haule und Birgit Hogefeld als Mittäterinnen verurteilt, doch wer sich am Tor der US-Kaserne für Pimental ausgab, wissen vermutlich nur die Beteiligten selbst. Obwohl etliche ehemalige Mitglieder der RAF dem Terrorismus längst abgeschworen oder sich zumindest von ihm distanziert haben: Namen nennt niemand

    Das erste Opfer der RAF ist ein Hamburger Polizist

    34 Menschen hat die RAF getötet, unter ihnen Spitzenmanager, ein Diplomat und ein Generalbundesanwalt, aber auch niederländische Grenzbeamte, deutsche Polizisten oder die Fahrer einiger Opfer. Der Erste, der sein Leben lässt, ist 1971 beim Versuch einer Festnahme der Hamburger Polizist Norbert Schmid, der Letzte der damalige Chef der Treuhandanstalt, Detlev Karsten Rohwedder, im April 1991. Zu den wenigen weitgehend aufgeklärten Morden gehören der Tod des Polizisten Michael Newrzella, der 1993 bei einem Einsatz im mecklenburgischen Bad Kleinen vom RAF-Mann Wolfgang Grams erschossen wird, der Anschlag auf Generalbundesanwalt Siegfried Buback mit insgesamt drei Toten im April 1977 und der Mord am damaligen Sprecher der Dresdner Bank, Jürgen Ponto, drei Monate später: Die RAF-Frau Susanne Albrecht, deren Eltern mit den Pontos befreundet sind, klingelt an der Tür zu deren Villa – und wird, da Ponto sie ja kennt, mit ihren Begleitern auch hereingelassen. Der Versuch, ihn zu entführen, scheitert jedoch. Als Ponto sich wehrt, greifen Christian Klar und Brigitte Mohnhaupt zu ihren Pistolen und schießen. 

    Die Verhaftung der 65-jährigen Daniela Klette nun eines der blutigsten Kapitel der deutschen Nachkriegsgeschichte wieder in den Fokus gerückt – ein Kapitel, das im deutschen Herbst 1977 mit der Entführung und Ermordung des Arbeitgeberpräsidenten Hanns-Martin Schleyer, der Entführung und Befreiung der Lufthansa-Maschine „Landshut“ in Mogadischu und dem anschließenden Selbstmord der RAF-Mitglieder Andreas Baader, Gudrun Ensslin und Jan-Carl Raspe im Gefängnis in Stuttgart-Stammheim seinen Höhepunkt erreicht. Wer aus dem „Kommando Siegfried Hausner“ Schleyer tatsächlich erschossen hat, ist bis heute unklar, obwohl für die Vorbereitung und die Beteiligung an der Tat sieben RAF-Mitglieder zu lebenslangen Haftstrafen verurteilt werden: Stefan Wisniewski, Adelheid Schulz, Christian Klar, Brigitte Mohnhaupt, Peter-Jürgen Boock, Rolf Clemens Wagner und Sieglinde Hofmann. 

    Ähnlich verhält es sich mit den Anschlägen auf Rohwedder, den früheren Deutsche-Bank-Chef Alfred Herrhausen, den Siemens-Manager Karl Heinz Beckurts oder den Diplomaten Gerold von Braunmühl. „Von den zehn Morden, die der dritten Generation der RAF zugeschrieben werden, ist nur ein einziger aufgeklärt“, sagt der Dresdner Jurist Butz Peters, der mehrere Bücher über die RAF geschrieben hat. Und an dieser Bilanz, fürchtet er, wird sich auch nichts ändern, wenn nach Daniela Klette auch noch ihre Komplizen Burkhardt Garweg und Ernst-Volker Staub gefasst werden sollten. Zum einen, weil die drei sich mit einer Aussage am Ende nur selbst belasten würden. Zum anderen, weil es praktisch keine Spuren gibt, die sie in Verbindung mit den Anschlägen bringen. „Die Ermittler haben fast nichts“, sagt Peters. Während die Generationen vor ihr Dutzende von konspirativen Wohnungen und jede Menge Fingerabdrücke hinterlassen hätten, habe die dritte RAF-Generation es gelernt, Spuren zu vermeiden. „Von Klette, Garweg und Staub gibt es an den Tatorten keinen einzigen Abdruck.“ Auch den Kreis der Mitwisser habe ihre Gruppe kleiner gehalten als die RAF in den Siebziger- und frühen Achtzigerjahren. 

    Die RAF-Omerta: Ein Schweigegelübde wie bei der Mafia

    Dazu kommt ein Schweigegelübde, das an die italienische Mafia und ihre Omerta erinnert: RAF-Mitglieder sagen nicht gegen andere RAF-Mitglieder aus. In Ermangelung von Indizien und Beweisen wissen die Ermittler deshalb nicht viel über die Anschläge der dritten RAF-Generation. Rohwedder etwa: Hat ihn der in Bad Kleinen ebenfalls ums Leben gekommene Wolfgang Grams ermordet, von dem ein Haar in der Nähe des Tatortes gefunden wurde? Oder hat er den Tatort nur ausspioniert? Und aus dem Revolver, mit dem 1977 Schleyer erschossen worden war, fallen neun Jahre später auch die tödlichen Schüsse auf den Bonner Diplomaten Gerold von Braunmühl – wer aber hat auf ihn geschossen? Auch Daniela Klette schweigt bislang. 

    Auf knapp 20 Mitglieder schätzen Polizei und Staatsanwaltschaft die dritte Terrorgeneration. Namentlich bekannt aber, sagt Experte Peters, seien ihnen nur sechs: Hogefeld, Grams, Haule, Klette, Garweg und Staub. Dass die drei letzteren mehr als 30 Jahre im Untergrund leben konnten, führt Peters auch auf die speziellen Fähigkeiten zurück, die sie bei der RAF erworben haben: Den routinierten Umgang mit Waffen etwa, der ihnen half, Geldtransporter und Supermärkte zu überfallen, um an Geld zu kommen – und das Leben mit neuen Identitäten. Peters erinnert das Leben von Daniela Klette alias Claudia Ivone im linken Szenekiez Berlin-Kreuzberg nicht zuletzt an das von Beate Zschäpe aus der rechtsextremistischen Terrorzelle NSU, die mit Namen wie mit Bällen jongliert habe und so 15 Jahre unentdeckt bleiben konnte: „Teilweise hat sie ganz bieder in einem Haus gelebt und Apfelkuchen gebacken.“ 

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