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Radikalismus: Die Gewaltbereitschaft unter Extremisten wächst: Woran liegt das?

Radikalismus

Die Gewaltbereitschaft unter Extremisten wächst: Woran liegt das?

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    Der Verfassungsschutz sieht eine hohe Zahl gewaltorientierter Extremisten.
    Der Verfassungsschutz sieht eine hohe Zahl gewaltorientierter Extremisten. Foto: Jan Woitas, dpa

    Eskaliert in Deutschland die politische Gewalt? Laut dem aktuellen Verfassungsschutzbericht gibt es nicht nur immer mehr Rechtsextremisten, diese werden auch immer gewaltbereiter. Während die Zahl linksextremistisch motivierter Straftaten um rund 37 Prozent zurückging – von gut 10.000 auf fast 7000 –, ist die Zahl rechtsextremistisch motivierter

    Extremismusforscher: Erstarken der AfD führt zu mehr Gewaltbereitschaft

    Für den Politikwissenschaftler und Extremismusforscher Hajo Funke steht die Entwicklung in einem engen Zusammenhang zum Erstarken der AfD. „Je mehr es normal wirkt, rechtsextremistische Überzeugungen zu haben, desto höher wird die Gewaltbereitschaft", sagt er im Gespräch mit unserer Redaktion. Seine tieferen Ursachen habe der Anstieg von Rechtsextremismus und Gewaltneigung in den multiplen Krisen unserer Zeit. 

    Er nennt Corona-Pandemie, Ukraine-Krieg und Klimakrise, die für tiefe Verunsicherung sorgten, gerade im ärmeren Teil der Bevölkerung, der von Inflation und Rezession besonders betroffen sei. Im Osten kämen "noch 30 Jahre der Enttäuschung" hinzu. 

    Hajo Funke gibt Ampel Mitschuld für Umfragehoch der AfD

    Das, so der Wissenschaftler von der Freien Universität Berlin führe zu einer Vertrauenskrise: "Wenn dann in Umfragen nur noch 20 Prozent der Befragten angeben, dass sie mit der Arbeit der Bundesregierung zufrieden sind, ist das alarmierend." Die regierende Ampel-Koalition treffe eine Mitschuld, weil sie den Eindruck vermittle, "nicht zu Potte zu kommen". Funke warnt: "Bei aller legitimen Kritik an der Politik sollten wir das Kind aber nicht mit dem Bade ausschütten. Die im Heizungsstreit ein schwaches Bild abgegeben, aber jetzt zeichnen sich eben auch Lösungen ab." 

    Politikwissenschaftler Hajo Funke.
    Politikwissenschaftler Hajo Funke. Foto: Bernd von Jutrczenka, dpa

    Wer jedoch zur Überzeugung gelange, dass die Politik die Probleme nicht mehr lösen kann, so Funke weiter, "erkennt den Staat nicht mehr an, der glaubt, dass er selbst etwas tun muss – und dann geht es in die Gewalt". Die Konsequenz sei fatal: "Dann wird die Wut auf Personen projiziert, die zu Sündenböcken gemacht werden, Ausländer oder Geflüchtete etwa. Genau das ist der Ansatz der AfD."

    Experte: AfD-Protestwähler erkennen CDU nicht als Opposition an

    Fast 40.000 Menschen stuft der aktuelle Verfassungsschutz als Rechtsextremisten ein, deutlich mehr als noch vor einem Jahr. Einer der Gründe ist, dass erstmals AfD-Mitglieder hinzugerechnet werden – allerdings nicht alle, sondern nur ein gutes Drittel oder 10.200 Personen. Der Grund laut Bundesamt: Es gibt weiterhin inhaltlich unterschiedliche Strömungen innerhalb der Partei. Die AfD kündigte an, rechtliche Schritte gegen die Einschätzung zu prüfen. 

    Für Funke hat der Verfassungsschutz die AfD zu Recht auf dem Schirm. Er verweist etwa auf den Thüringer AfD-Chef: "Björn Höcke will eine völkische, eine ethnisch reine Gesellschaft. Das ist mit unserer Demokratie in keiner Weise zu vereinbaren, denn das würde in der Umsetzung bedeuten, Millionen Menschen brutal zu verfolgen und zu vertreiben." Funke ist überzeugt: "Wenn immer mehr Menschen dieses Gedankengut verinnerlichen, wird es auch immer mehr geben, die sagen: 'Wir tun, wovon andere nur reden'". Er glaubt aber auch, dass es sich nicht bei allen, die sich in aktuellen Umfragen zur AfD bekennen, um Rechtsextremisten handelt: "Etwa ein Drittel sind verfestigte Anhänger, zwei Drittel tun das aus Protest. Denn die CDU wird von ihnen nicht als Opposition wahrgenommen." 

    Der Verfassungsschutz hat zudem vor einer wachsenden Einflussnahme ausländischer Geheimdienste gewarnt. Vor dem Hintergrund des russischen Angriffskriegs auf die Ukraine verbreite vor allem das Putin-Regime Desinformation und Propaganda. Nach Einschätzung der Behörde werden "Teile der AfD sehr stark von Moskau beeinflusst".

    Extremismusforscher warnt vor neuen Reichsbürger-Attentatsplänen

    Deutlich gestiegen sind dem Bundesamt zufolge auch die extremistischen Straftaten im Bereich der sogenannten Reichsbürger und Selbstverwalter. Politikwissenschaftler Funke sagt: "Das sind Spinner, es hat sich aber auch gezeigt, wie gefährlich diese sein können. Im Kern ist deren Ideologie rechtsextrem, denn sie fordern ein Deutschland in den Grenzen von 1871, da gehören auch das Elsass und Teile Polens dazu. Das würde also Krieg bedeuten." 

    Funke warnt: "Wir müssen davon ausgehen, dass es Attentatspläne wie von der Reuß-Gruppe wieder geben wird." Auch beim Islamismus sei weiter "hohe Aufmerksamkeit geboten". Für Politik und Sicherheitsbehörden hat der Extremismus-Experte einen Rat: "Ich empfehle gelassene Aufmerksamkeit, aber keine Hysterie. Eine Demokratie muss sozial sensibel sein und sich konkret um die Probleme der Menschen kümmern." 

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