Was Wladimir Putin von der Ukraine hält, sagt er – fast schon gut gelaunt – nach etwa 40 Minuten seiner „Bilanz des Jahres“. Es ist eine Mischung aus Pressekonferenz des russischen Präsidenten und dem Format „Direkter Draht“, bei dem ausgesuchte Russinnen und Russen den Kremlherrscher am Telefon, per Video oder mittels SMS um die Lösung ihrer Probleme bitten. Eine alljährliche, bestens inszenierte Show in einem hell ausgeleuchteten Moskauer Konferenzsaal. Der Präsident lehnt sich zurück, räuspert sich und schlägt ein Experiment vor: Der Westen, Putin, solle doch einfach ein „Objekt mitten in Kiew“ aussuchen, dieses mit „mit allen ihm zur Verfügung stehenden Abwehrsystemen“ ausstatten, und „Russland haut mit dem Oreschnik drauf“, der Mittelstreckenrakete, die Moskau als „sehr neue Waffe“ verkauft. „Dann sehen wir ja, was passiert. Wir sind bereit.“
Die Ukraine als Schießübungsplatz Russlands. Ein Land, das in Putins Augen nicht existieren dürfte, das weder einen legitimen Präsidenten habe noch weitere legitime Machtstrukturen außer dem ukrainischen Parlament. Verhandlungen könne er dort mit „jedem Beliebigen“ führen, sagt Putin, Wolodymyr Selenskyj aber dürfe – weil eben illegitim – keine Unterschrift unter irgendwelche Verträge setzen. Gerade am Anfang des viereinhalbstündigen Auftritts Putins geht es immer wieder um die „militärische Spezialoperation“, wie der Krieg in der Ukraine in Russland immer noch genannt werden muss, abgekürzt als „SWO“. Es sind Fragen zu den Vergünstigungen für „SWO“-Teilnehmer, zum Sold für die Soldaten in der Region Kursk, die - „oh, das war mir nicht bekannt“, sagt Putin – nicht als „SWO“-Teilnehmer gelten und dementsprechend zehnmal weniger Geld bekommen, zur Rehabilitation der Soldaten, zum Gang der „Militäroperation“ überhaupt. Und ja, auch zu Verhandlungen und den Kompromissen, die Russland bereit sei einzugehen.
Wie geht es weiter in der Region Kursk?
„Natürlich“ sei Russland immer bereit zu verhandeln, „ohne Vorbedingungen“, bekräftigt Putin, um gleich darauf auf seine Rede vom Juni 2024 zu verweisen, in der er ganz klar Vorbedingungen für Verhandlungen formulierte: Die Nato solle sich aus Osteuropa zurückziehen, die USA sollten nur unter Beschränkungen ihre Waffensysteme in Europa stationieren, für Sicherheitsgarantien in der Ukraine sorge derweil Russland selbst. Ein Ultimatum, das für Moskau nie an seiner Aktualität eingebüßt hatte. Befolge Kiew diese Ausführungen – faktisch also die Kapitulation – verhandle Russland „immer gern“. Eine Bewegung Moskaus ist damit nicht in Sicht.
Bei unangenehmen Fragen weicht Putin aus. Syrien? „Eine russische Niederlage, sagt man uns. Dem ist nicht so. Wir haben dort alle Ziele erreicht“, meint er. Kursk? „Es gibt gar keinen Zweifel, wir werden alles befreien“, versucht er eine Anruferin, die aus ihrem Dorf in der Kursker Region flüchten musste, zu beruhigen. Nordkoreanische Soldaten erwähnt er nicht, er geht auch nicht darauf ein, wie viele Verluste Russland in der Region erleidet. Stattdessen sagt er: „In Kursk haben wir einen ganzen Friedhof an zusammgengehämmerter Nato-Technik.“ Ohnehin spricht Putin lieber über neue Straßen, neue Krankenhäuser, neue Sporthallen in Russland – und auch in den besetzten Gebieten. „Es geht voran“, sagt er immer wieder. „Wir haben die Souveränität im Herzen, im Westen dagegen sind sie gottlos.“
Von Anfang an gibt sich Putin flapsig: „Bei uns ist es immer so: Wenn es ruhig ist, ist uns langweilig. Man will mehr Action. Wenn dann die Kugeln pfeifen, fürchten wir uns. Aber ich sage Ihnen: Russland macht Fortschritte.“ Ein Krieg aus Langeweile? „Ich habe Russland vor dem Abgrund gerettet“, sagt Putin selbstbewusst.
Putin: Hätten Krieg früher beginnen sollen
Kinder in Kindergärten, Ärztinnen in Kliniken, Zuschauer in Kulturzentren in den besetzen Gebieten sind gezwungen, der Übertragung zu folgen. „Würden Sie Ihre Entscheidung ändern, könnten wir in den Februar 2022 zurückkehren?“, fragt eine russische Journalistin zum Ende hin. Putin: „Wir hätten all das früher beginnen sollen.“ Der Entschluss zum Einmarsch in die Ukraine sei damals gefallen, weil klar geworden sei, dass Russland betrogen werde und die Ukraine sich nicht an die Vereinbarungen von Minsk für einen Frieden halten wolle.
In dem Zusammenhang räumte er indirekt ein, die Verteidigungskraft der Ukrainer unterschätzt zu haben. Russland hätte sich schon viel früher auf einen Krieg vorbereiten sollen, sagte der Kremlchef. Putin äußerte sich auch zur Frage, ob ihn die vergangenen fast drei Jahre Krieg verändert hätten. Dazu sagte er: „Ich mache weniger Witze.“ Und selbst lache er auch weniger.
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