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Psychotherapie: Wo bleibt die Finanzierung der Weiterbildung?

Gesundheit

Drohen Versorgungslücken bei der Psychotherapie?

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    „Psychotherapie-Weiterbildung finanzieren – jetzt!“ forderte am 6. Juni ein breites Bündnis aus Psychotherapie-Studierenden, Kammern, Verbänden, Ausbildungsstätten, Universitäten und weiteren Interessengruppen vor dem Deutschen Bundestag.
    „Psychotherapie-Weiterbildung finanzieren – jetzt!“ forderte am 6. Juni ein breites Bündnis aus Psychotherapie-Studierenden, Kammern, Verbänden, Ausbildungsstätten, Universitäten und weiteren Interessengruppen vor dem Deutschen Bundestag. Foto: DPtV

    Knapp 20 Wochen müssen Menschen mit psychischen Leiden in Bayern aktuell auf den Beginn ihrer Therapie warten, vorausgesetzt sie haben einen Therapieplatz gefunden – und die Situation könnte sich noch verschlimmern. Denn viele Psychotherapeutinnen und Psychotherapeuten stehen nach Zahlen der kassenärztlichen Bundesvereinigung kurz vor dem Ruhestand. So war laut Bundesarztregister 2023 knapp ein Drittel von ihnen bereits über 60 Jahre alt. Doch dem Nachwuchs wird es aktuell unnötig schwer gemacht – Berufsverbände warnen vor einer möglichen Versorgungslücke.

    Der Grund: 2019 wurde der Ausbildungsweg für angehende Psychotherapeutinnen und Psychotherapeuten unter der Federführung des damaligen Bundesgesundheitsministers Jens Spahn (CDU) reformiert. Eigentlich eine gute Neuigkeit für Studierende. Denn zuvor war es so, dass Absolventinnen und Absolventen nach ihrem Psychologie-Studium eine mindestens dreijährige praktische Ausbildung machen mussten. Diese kostete je nach Fachrichtung bis zu 60.000 Euro und wurde gleichzeitig kaum vergütet. Hohe Schulden oder eine extreme Arbeitsbelastung durch zusätzliche Jobs waren die Folge.

    Psychologie: Studierende stehen vor ungewisser Zukunft

    Mit der Reform sollten diese prekären Ausbildungsbedingungen der Vergangenheit angehören. Seit September 2020 können sich Studierende für den reformierten Qualifizierungsweg entscheiden: ein neues Master-Studium mit anschließender fünfjähriger Weiterbildung. Im Gegensatz zur alten Ausbildung soll die neue Weiterbildung keine hohen Kosten verursachen und angemessen vergütet werden – ähnlich der ärztlichen Weiterbildung. Doch es gibt ein Problem, wie Johanna Thünker vom Berufsverband Deutscher Psychologinnen und Psychologen erklärt: „Einerseits sagt das Gesetz, dass die Weiterbildung angemessen vergütet werden muss, andererseits ist nirgendwo geregelt, wie genau das funktionieren soll.“

    Immer mehr Absolventinnen und Absolventen sehen sich nun mit ungewissen Zukunftsaussichten konfrontiert, denn es gibt kaum Weiterbildungsplätze. Viele derer, die den neuen Ausbildungsweg eingeschlagen haben, halten sich nach dem Studium mit anderen Jobs über Wasser und warten zurzeit auf eine Lösung. Die Bundespsychotherapeutenkammer rechnet mit 2500 Absolventinnen und Absolventen pro Jahr, die zukünftig in die Weiter­bildung gehen wollen. Doch Kliniken, Praxen oder Weiterbildungsambulanzen sehen sich nicht in der Lage, die Kosten zu stemmen.

    Petition zur Finanzierung der psychotherapeutischen Weiterbildung mit 72.000 Unterschriften

    Bereits im Juli 2023 beschäftigte sich der Petitionsausschuss des Bundestages mit dem Thema, nachdem eine Petition, die eine gesetzliche Regelung zur Finanzierung der Weiterbildung forderte, mehr als 72.000 Unterstützer fand. Damals versprach der parla­mentarische Staatssekretär des Bundesgesundheitsministeriums (BMG), Edgar Franke (SPD), das Ministerium wolle „prüfen, abwägen und schauen, was man in Richtung Finanzierung der Weiterbildung machen kann.“

    Seitdem hat sich kaum etwas getan. Zwar wurde Ende Juni im sogenannten Gesundheitsversorgungsstärkungsgesetz (GVSG) die Finanzierung für Weiterbildungsambulanzen geregelt, doch diese greife viel zu kurz, mahnen die Berufsverbände. „Mit der aktuellen Gesetzeslage gäbe es ein bisschen Geld für die durchgeführten Therapien, aber alle möglichen anderen Weiterbildungsbestandteile müssten dann wahrscheinlich weiter selbst gezahlt werden“, erklärt Thünker. Hinzu kommt, dass eine Regelung für weiterbildende Praxen oder Kliniken nach wie vor fehlt.

    Deutliche Kritik am Bundesgesundheitsministerium

    „Ein entsprechender Vorschlag zur Anpassung des Gesetzes müsste vom federführenden Ministerium kommen, dem BMG. Doch das verschleppt jegliche Nachbesserungen“, so Thünker. Auf Anfrage unserer Redaktion entgegnet eine Sprecherin des BMG: „Für die psychotherapeutischen Praxen lässt sich derzeit ein gesetzgeberischer Handlungsbedarf nicht erkennen.“ Auf die Nachfrage, warum die fehlende Finanzierung der psychotherapeutischen Weiterbildung nicht früher angegangen wurde, überrascht das BMG mit seiner Antwort: „Für die Weiterbildung in den Heilberufen hat der Bund keine Gesetzgebungskompetenz, sodass Inhalte und Organisation der Weiterbildung auf der Grundlage der Heilberufe-Kammergesetze der Länder geregelt werden.“

    Klare Kritik gibt es dafür vom Präsidenten der Psychotherapeutenkammer Bayern, Nikolaus Melcop: „Die Psychotherapeutenschaft sieht die Verantwortung durchaus bei der Bundesregierung.“ Auch der Bundesrat forderte das BMG Anfang Juli auf, zu prüfen, wie eine ausreichende Finanzierung der Weiterbildung in allen Bereichen sichergestellt werden kann. Doch das Ministerium sagt: „Das BMG hat bereits im Verfahren zur Reform der Psychotherapeutenausbildung darauf hingewiesen, dass keine weiteren finanziellen Spielräume zur Verfügung stehen.“

    Krankenkassen wollen Weiterbildung von Psychotherapeutinnen nicht zahlen

    Dabei käme das Geld nicht vom Bund, sondern vor allem von den Krankenkassen. Doch auch diese sehen sich nicht in der Verantwortung. Auf Anfrage unserer Redaktion wird ein Sprecher des Spitzenverbands Bund der Krankenkassen (GKV) deutlich: „Die GKV leistet mehr als genug an Beitrag zur Weiterbildung der Psychotherapeutinnen und Psychotherapeuten.“ Zudem sehen sie im Gegensatz zu den Verbänden keine Versorgungsprobleme. Doch Thünker warnt: „Wenn sich nichts tut, dann wird es mancherorts Versorgungslücken geben und es wird Situationen geben, in denen junge Menschen auf Biegen und Brechen die Weiterbildung machen wollen und weiterhin bereit sind, das unter prekären Bedingungen zu tun.“

    Gesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) äußerte sich bisher selten öffentlich zur Thematik. Beim Psychotherapiekongress Anfang Mai sagte er: „Ich bin mir der Verantwortung voll bewusst und wir sind sehr intensiv mit Regelungen zu der neuen Weiter­bil­dung beschäftigt. Aufgrund der demografischen Entwicklung werden wir für jeden Psychotherapeuten dankbar sein, der sich für die neue Weiterbildung entscheidet.“ Ob diese dann auch einen Weiterbildungsplatz finden, bleibt ungewiss. Bis Mitte Oktober müsste sich also noch einiges tun – dann soll das GVSG verabschiedet werden.

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