Startseite
Icon Pfeil nach unten
Politik
Icon Pfeil nach unten

Prozess in Berlin: Starb Maryam H., weil ihre Familie ihren "westlichen Lebensstil" verdammte?

Prozess in Berlin

Starb Maryam H., weil ihre Familie ihren "westlichen Lebensstil" verdammte?

    • |
    In diesem Loch in einem Gehölz nahe Holzkirchen bei Ehekirchen wurde die Leiche einer 34-jährigen Frau vergraben.
    In diesem Loch in einem Gehölz nahe Holzkirchen bei Ehekirchen wurde die Leiche einer 34-jährigen Frau vergraben. Foto: Winfried Rein (Archivbild)

    Während die Staatsanwältin schildert, welchen grausamen Tod die 34-jährige Maryam H. sterben musste, sitzen ihre beiden jüngeren Brüder mit unbeteiligter Miene auf der Anklagebank. Sayed Youssuf H., 27, und der vier Jahre jüngere Seyed Mahdi H. sollen die Mutter zweier Kinder laut Anklage im vergangenen Juli unter einem Vorwand zu einem Treffen in Berlin gelockt und dann durch Würgen, Drosseln und einen tiefen Schnitt durch die Kehle umgebracht haben.

    Anschließend, so der Vorwurf, zwängten sie die Leiche in einen großen Koffer und fuhren damit vom Bahnhof Südkreuz bis nach Donauwörth in Bayern. Dort wohnte der ältere Bruder, der angab, nach einer Tätigkeit als Sicherheitskraft zuletzt arbeitslos gewesen zu sein. Der Mann mit dem Kurzhaarschnitt, der einen grauen Kapuzenpulli trägt, will sich ebenso wenig zum Geschehen äußern wie sein Bruder mit dem schmalen Gesicht, den ausrasierten Schläfen und dem kleinen Zopf am Hinterkopf. In einem Waldstück bei Ehekirchen im Kreis Neuburg-Schrobenhausen wurden die sterblichen Überreste der jungen Afghanin schließlich verscharrt.

    Grausiges Gepäck im ICE: „Koffermord“ schlägt hohe Wellen

    Weil Fotos von Bahnsteig-Überwachungskameras öffentlich wurden, die beide zeigen, wie sie ihr grausiges Gepäck unbemerkt von den Mitreisenden in den ICE hieven, ist in den Medien vom „Koffermord“ die Rede. Behält die Staatsanwaltschaft recht, handelt es sich zudem um einen „Ehrenmord“. Denn nach Überzeugung der Ankläger musste Maryam H. sterben, weil ihre Familie ihren „westlichen Lebensstil“ verdammte. Die 34-Jährige hatte sich von ihrem gewalttätigen Ehemann, mit dem sie im Alter von 16 Jahren zwangsverheiratet worden war, scheiden lassen und begonnen, sich mit einem neuen Partner zu treffen. Das habe nicht den archaischen Ehr- und Moralvorstellungen und dem Frauenbild der Brüder entsprochen.

    Insbesondere der jüngere, in Berlin lebende, soll sie drangsaliert und ihr den Umgang mit dem anderen Mann verboten haben. Weil sie auf ihrer Freiheit beharrte, habe sie sterben müssen. Im Prozess wird zu klären sein, ob möglicherweise eine Art „Familienrat“ in Afghanistan den Brüdern den Mord an ihrer Schwester befahl.

    Politische Debatten und hohes Medieninteresse

    Das Medieninteresse ist gewaltig am Mittwochmorgen, denn die Tat hatte heftige Debatten um Gewalt gegen Frauen und die Integration von Flüchtlingen ausgelöst. Beide Angeklagte und das Opfer stammen aus Afghanistan und waren in den vergangenen Jahren als Schutzsuchende nach Deutschland gekommen. Zuvor hatten sie im Iran gelebt. Vor dem mit dunklem Holz getäfelten Saal 700 des 1906 erbauten Kriminalgerichtsgebäudes in Berlin-Moabit mit seiner imposanten, fast 30 Meter hohen Treppenhalle, in der das Brandenburger Tor Platz hätte, drängen sich Kamerateams und Reporter. Genau einen Stock tiefer geht es noch lebhafter zu - dort findet eine weitere Episode des Justiz-Dauerbrenners um die Auseinandersetzung zwischen Clan-Boss Arafat Abou Chaker und dem Rapper Bushido statt.

    Staatsanwältin überzeugt: Die Brüder sind schuldig

    Der Strafverteidiger Mirko Röder stellt sich als Sprecher der Anwälte des jüngeren Beschuldigten vor. Noch vor Verhandlungsbeginn macht er in einer kurzen Erklärung klar, mit welcher Strategie die Verteidigung in den Prozess geht. Tenor: Dass die beiden Brüder den Leichnam ihrer Schwester im Koffer vom Berliner Bahnhof Südkreuz im ICE nach Donauwörth gebracht und anschließend in einem Erdloch im Kreis Neuburg-Schrobenhausen verscharrt haben, bestreiten sie gar nicht. Die Aufnahmen der Überwachungskamera und eine DNA-Spur des Jüngeren lassen daran ohnehin kaum einen Zweifel. Doch das erfülle allenfalls den Tatbestand der Störung der Totenruhe, sei vielleicht nur ein Verstoß gegen die Bestattungsordnung. Wer Maryam H. getötet habe, das sei völlig offen.

    Zwei Brüder sitzen wegen der Tötung ihrer 34 Jahre alten Schwester auf der Anklagebank des Kriminalgerichts Moabit.
    Zwei Brüder sitzen wegen der Tötung ihrer 34 Jahre alten Schwester auf der Anklagebank des Kriminalgerichts Moabit. Foto: Jörg Carstensen, dpa

    Dagegen ist die resolute Staatsanwältin Antonia Ernst überzeugt, in den kommenden sechs Prozessmonate nachweisen zu können, dass Maryam H. sterben musste, weil ihre Brüder sie für ihren Freiheitsdrang bestrafen wollten. Gemeinschaftlichen Mord aus niedrigen Beweggründen wirft sie den beiden vor. Weil beide nach Erwachsenenstrafrecht angeklagt sind, ist im Falle eines Schuldspruchs nur eine Strafe denkbar: lebenslange Haft.

    Von Beginn an kommt es im und vor dem Gerichtsaal zum juristischen Schlagabtausch. Die Verteidiger akzeptieren zunächst den Dolmetscher nicht, bezweifeln, ob der Opferbeauftragte des Landes Berlin die beiden Kinder der Getöteten als Nebenkläger vertreten darf, und wollen erreichen, dass bestimmte Aussagen des Jüngeren nicht als Beweismittel verwendet werden dürfen.

    Zudem beklagen die Anwälte, dass ein fairer Prozess für ihre Mandanten durch die politische Dimension des Falls kaum möglich sei. Berlins heutige Regierende Bürgermeisterin Franziska Giffey (SPD) hatte die Tat als „Ehrenmord“ bezeichnet, die ehemalige Integrationssenatorin Elke Breitenbach (Linke) sprach von einem „Femizid“. Für Mirko Röder ist die Sache klar: „Beide Angeklagte konnten nie die Unschuldsvermutung für sich in Anspruch nehmen.“ Die Politikerinnen hätten mit ihren „absurden Vorwürfen gegen zwei Flüchtlinge“ zu deren Vorverurteilung beigetragen. Er behalte sich vor, Giffey und

    Schon nach dem Auftakt ist klar, es wird ein langer, zäher Indizienprozess werden. Laut der 34-seitigen Anklageschrift sind 52 Zeugen geladen, sieben Sachverständige, dazu wird eine große Zahl von Beweismitteln und Dokumenten genannt, mit denen sich das Gericht befassen muss. Ein Urteil wird für August erwartet.

    Diskutieren Sie mit
    0 Kommentare
    Dieser Artikel kann nicht mehr kommentiert werden