Am zweiten Tag des Prozesses um den rechtsterroristischen Anschlag von Halle sind die Aufnahmen gesichtet worden, die der Attentäter während der Tat live ins Internet gestreamt hatte. Als das Video gezeigt wurde, verließen am Mittwoch mehrere Nebenkläger den Saal. Andere schauten während des gut halbstündigen Videos weg, manche bedeckten ihre Augen und hielten die Hände ihrer Anwälte oder Begleiter.
Im Gebäude des Magdeburger Landgerichts kümmerten sich sechs Seelsorger um die Verletzten und Hinterbliebenen des Anschlags. Aber auch Besucher und Journalisten konnten ihre Hilfe in Anspruch nehmen.
Video zum Halle-Anschag: Angeklagter verfolgt es mit einem Grinsen
Der geständige Angeklagte folgte dem Video konzentriert, anfangs mit einem breiten Grinsen im Gesicht. Die Anwälte der Nebenklage machten einen psychologischen Gutachter darauf aufmerksam. Der Attentäter hatte am 9. Oktober 2019 gefilmt, wie er schwer bewaffnet versucht hatte, in die Synagoge in Halle zu gelangen, um dort ein Massaker anzurichten.
Laut Bundesanwaltschaft wollte Stephan Balliet möglichst viele der 52 Besucher der Synagoge töten. Der Mann konnte sich jedoch auch mit Waffengewalt keinen Zutritt zum Gebäude verschaffen. Schließlich tötete er zunächst eine zufällig vorbei laufende Frau, wenige Minuten später dann einen Mann in einem Dönerimbiss. Außerdem verletzte er auf seiner Flucht mehrere Menschen, bevor ihn Polizisten festnehmen konnten.
Die Bundesanwaltschaft wirft Balliet vor, "aus einer antisemitischen, rassistischen und fremdenfeindlichen Gesinnung heraus einen Mordanschlag auf Mitbürgerinnen und Mitbürger jüdischen Glaubens" geplant zu haben. Der Täter wählte für den Anschlag den höchsten jüdischen Feiertag Jom Kippur.
Prozess zum Terroranschlag von Halle: Gutachter hält Angeklagten für voll schuldfähig
Ein Gutachter hält den Angeklagten nach Darstellung seiner Verteidigung für voll schuldfähig. "Das ist jedenfalls die vorläufige Auffassung des Sachverständigen", sagte Verteidiger Hans-Dieter Weber. Unklar blieb am zweiten Prozesstag zunächst, auf welches Gutachten genau er sich dabei bezog. Zu den Aussagen seines Mandanten sagte Weber, es sei die freie Entscheidung des Angeklagten, was er mache. "Es ist nicht meine Aufgabe, ihn in irgendeiner Form zu maßregeln."
Der Prozess vor dem Oberlandesgericht Naumburg findet wegen des großen öffentlichen Interesses und aus Sicherheitsgründen im größten Verhandlungssaal Sachsen-Anhalts in Magdeburg statt. Ein Gerichtssprecher sagte am Mittwoch, der Ton des Prozesses werde zu wissenschaftlichen Zwecken aufgezeichnet. Darüber hatte zuvor der MDR berichtet.
Das Gericht hat zunächst Verhandlungstage bis Mitte Oktober geplant. 43 Nebenkläger wurden zugelassen, darunter der Vorsitzende der Jüdischen Gemeinde Halle, Max Privorozki. Die Zahl erhöht sich voraussichtlich noch. Am Mittwoch wurde bekannt, dass ein Ehepaar, das sich zum Zeitpunkt des Anschlags in der Synagoge befand, als Nebenkläger gelistet werden will. Außerdem sind bislang 147 Zeugen benannt, darunter 68 Ermittlungsbeamte.
Nach erheblichen Verzögerungen bei den Sicherheitskontrollen am ersten Prozesstag hatte das Gericht am Mittwoch nachgebessert. Es bildeten sich keine langen Schlangen mehr. Die Verhandlung konnte rechtzeitig beginnen. Am Vortag war es mit zweistündiger Verspätung losgegangen. (dpa)