Sie muss in ihre Zelle zurück. Muss die 16,8 Quadratmeter mit zwei anderen Frauen teilen. Julia Timoschenko spottet derweil weiter über den Prozess, der ihr zehn Jahre Haft einbringen könnte. „Ich werde mich nicht vor dem Gericht erheben und mich damit vor der Mafia niederknien“, sagt sie zum 30-jährigen Vorsitzenden Richter Rodion Kirejew im Kiewer Petscherski-Gericht und zeigt, was sie von der ukrainischen Justiz hält: nichts. Seit Juni provoziert sie die Kammer und gewinnt immer mehr Fürsprecher, nicht nur Tausende von Demonstranten, die auch gestern die zentrale Straße Chreschtschatik in der ukrainischen Hauptstadt lahmlegten.
Selbst die Ukrainisch-Orthodoxe Kirche will für die inhaftierte Politikerin bürgen. Timoschenko sei nicht „zur Flucht geneigt“, teilte Patriarch Filaret gestern in einem Brief mit. Er half nicht.
Der 50-Jährigen wird Amtsmissbrauch vorgeworfen, weil die Ukraine während ihrer Amtszeit durch ein Gasgeschäft mit Russland rund 200 Millionen Dollar verloren haben soll. Die Anklage führt in das Jahr 2009, zur Gaskrise zwischen der Ukraine und Russland.
Anklage reicht zurück zur Gaskrise von 2009
Ende 2008 weigerte sich die Ukraine, die Schulden von 2,1 Milliarden Dollar an das russische Staatsunternehmen Gazprom zu zahlen. Russland reagierte drastisch und stellte den Gasimport nach Europa am 7. Januar 2009 komplett ein.
Erst zwölf Tage später einigten sich Russlands Ministerpräsident Putin und Timoschenko, damals ebenfalls an der Spitze der Regierung, auf einen neuen Vertrag. Der Gaspreis stieg für die Ukraine von 230 auf 450 Dollar pro 1000 Kubikmeter an. Russland verkaufte danach ohne den Zwischenhändler „RosUkrEnergo“, eine jener unerschöpflichen Geldquellen, mit denen die Hintermänner des heutigen ukrainischen Regimes um Präsident Viktor Janukowitsch seit Februar 2010 an der Macht die politischen Kampagnen finanzieren.
Das ist wohl einer der Gründe, warum nun gerade die Gaskrise herhalten muss, um Timoschenko loszuwerden. Es ist nicht das erste Mal, dass die einstige Gas-Prinzessin im Gefängnis Lukjaniwka inhaftiert ist. Bereits 2001 saß die Tochter einer Ukrainerin und eines Armeniers einen Monat dort ein. Die Klage gegen die milliardenschwere Unternehmerin, die mit ihrem damaligen Mann Olexander in den 90er Jahren den Gasmarkt der Ukraine beherrschte, ließ das Gericht fallen.
Timoschenko hatte sich 2000, nach einem bis heute nicht aufgeklärten Mord am regimekritischen Journalisten Georgi Gongadse, an die Spitze der Bewegung Ukraine ohne Kutschma gestellt, der Strömung, die 2004 zur Orangen Revolution führte und der damals 43-Jährigen zum Posten der Ministerpräsidentin verhalf. Doch das Team der Revolutionsführer Julia Timoschenko/Viktor Juschtschenko zerbrach bald an Rivalität.
Auch Russland ist nicht begeistert
Der Westen kritisiert das Verfahren als „politisch motiviert“, die EU fordert die sofortige Freilassung. Auch Russland zeigt sich „nicht begeistert“. Schließlich folgt aus dem Vorwurf gegen Timoschenko, Putin habe die Ukrainerin erpresst. Moskau sieht das als Affront an.