Die Berichte aus den syrischen Gefängnissen sind nur schwer zu ertragen. Sie handeln von Demütigungen, Erniedrigungen und Misshandlungen in allen erdenklichen Formen. Genau um solche und ähnliche Verbrechen geht es ab Donnerstag vor dem Oberlandesgericht (OLG) in Koblenz. Ein ganz besonderes juristisches Ereignis in der rheinland-pfälzischen Stadt, denn der Prozess gegen zwei syrische Ex-Geheimdienstmitarbeiter, die als Flüchtlinge nach Deutschland kamen, ist nach Angaben der Bundesanwaltschaft weltweit das „erste Strafverfahren gegen Mitglieder des Assad-Regimes wegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit“.
Mohammed A. schildert qualvolle Enge und brutale Foltermethoden
Mohammed A., der auch als Nebenkläger auftritt, ist eines von 24 Folteropfern, die in Koblenz aussagen sollen. Im Deutschlandfunk hat der Oppositionelle geschildert, was er nach seiner Festnahme im Keller eines provisorischen Gefängnisses in Damaskus durchlitten hat: „Die Zellen sind etwa fünf mal fünf Meter groß, in der Ecke befindet sich eine offene Toilette. Darin sind 80 bis 120 Leute eingesperrt, sie können kaum atmen, nicht sitzen, nicht liegen, nur stehen.“ Schlimmer noch als die qualvolle Enge war die Folter. Mohammed A. wurde mit Rohren, Ledergurten oder mit Händen und Füßen malträtiert. Zudem sei er in Verhören mit Stromkabeln und Elektroschocks gequält worden. An den gesundheitlichen Folgen leidet Mohammed A., der in Berlin lebt, noch heute. Doch er ist entschlossen jetzt auszusagen, in einem Land, in dessen Justiz er Vertrauen setzt.
Für Kamal Sido ist der Prozess auch persönlich eine Genugtuung
Der Prozess ist auch für Kamal Sido eine Genugtuung. „Ganz persönlich“, wie der Syrer im Gespräch mit unserer Redaktion betont. „Syrien ist schon seit Jahrzehnten ein Unrechtsregime. Folter hat eine traurige Tradition. Unter Baschar al-Assad wurden politische Gegner schon vor dem Krieg misshandelt. Das war bereits zur Zeit der Herrschaft seines Vaters Hafiz nicht anders“, sagt der Nahostreferent der Gesellschaft für bedrohte Völker.
Friedlich gingen die Menschen im Frühjahr 2011 auf die Straße. Erst einige Hundert, dann Hunderttausende. Sie forderten zunächst zaghaft, dann immer entschlossener Freiheit und Demokratie, das Ende von Einschüchterung, willkürlichen Verhaftungen und Folter. Je größer die Beteiligung an den Protesten wurde, desto mehr verschwand die Angst. Doch sie sollte bald zurückkehren. Das Regime von Präsident Baschar al-Assad schlug brutal zurück – und wies das Netz aus Geheimdiensten an, den Widerstand zu brechen. Ein Reflex, der in Syrien seit fast 50 Jahren immer dann mit voller Härte greift, wenn die Diktatur sich herausgefordert fühlt.
Russland blockiert im Weltsicherheitsrat die juristische Aufarbeitung
Warum aber greifen nicht die vorhandenen internationalen Instrumente, um mutmaßliche Täter vor Gericht zu stellen? Weder der internationale Strafgerichtshof wurde tätig, noch wurde – wie in vergleichbaren Fällen geschehen – ein Sondertribunal eingesetzt. Die Erklärung ist einfach: Russland blockiert die Strafverfolgung durch sein Veto im Weltsicherheitsrat. Nun liegt es an nationalen Gerichten, Prozesse anzustrengen. Deutschland geht hier mit gutem Beispiel voran. Die Indizien und Beweise für die Verbrechen, die insbesondere das Bundeskriminalamt seit 2011 akribisch gesammelt hat, gelzen als äußerst stichhaltig.
Dass die beiden Syrer Anwar R. und Eyad A. nun vor Gericht stehen, liegt auch daran, dass sie offensichtlich keine Verfolgung fürchteten. Nach Deutschland waren sie als Flüchtlinge eingereist. Im Februar 2019 wurden sie in Berlin beziehungsweise Rheinland-Pfalz festgenommen. Seitdem sitzen in Untersuchungshaft.
Es geht um Verbrechen gegen die Menschlichkeit
Anwar R. wird 58-facher Mord, Vergewaltigung und schwere sexuelle Nötigung zur Last gelegt. Eyad A. steht wegen Beihilfe zu einem Verbrechen gegen die Menschlichkeit vor Gericht.
Eine wichtige Rolle in dem Verfahren spielt das Europäische Zentrum für Verfassungs- und Menschenrechte – kurz ECCHR – mit Sitz in Berlin. Die Organisation betreut syrische Nebenkläger und Zeugen und arbeitet eng mit syrischen Rechtsanwälten zusammen. Das ECCHR hat in mehreren europäischen Staaten ähnliche Klagen zusammen mit Opfern und Zeugen ausgearbeitet und eingereicht.
Sido: „Straflosigkeit ermutigt zu neuen Taten“
Für Kamal Sido ist der Prozess in Koblenz ein wichtiger Schritt – er hofft, dass viele weitere folgen. Und zwar nicht nur gegen Folterknechte von Baschar al-Assad, den er für den Hauptverantwortlichen von Krieg und Gewalt in Syrien hält. Der Westen habe weitgehend ignoriert, dass auch die Rebellengruppen Kriegsverbrechen begangen hätten. Darunter die Terrormiliz Islamischer Staat (IS), aber auch die Freie Syrische Armee und andere Milizen, die im Land seit Jahren kämpfen. Zudem müssten mögliche „Verbrechen der am Krieg beteiligten Mächte wie Russland oder dem Iran, aber auch in einigen Fällen durch die Nato“ untersucht und verfolgt werden: „Es darf keinen sicheren Hafen für Kriegsverbrecher und Völkermörder, keine Straffreiheit geben. Denn Straflosigkeit ermutigt zu neuen Taten.“
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