Joe Biggs konnte sein Glück gar nicht fassen. „Im Prinzip hat Trump gesagt: Mischt die so richtig auf!“, schrieb der 36-jährige Ex-Feldwebel im rechten Online-Netzwerk Parler: „Das macht mich so froh.“ Biggs ist einer der Organisatoren der rechtsextremen Miliz „Proud Boys“. Die Bürgerwehr bot im Internet eilig für 30 Dollar ein schwarzes T-Shirt mit dem Slogan „Proud Boys Standing by“ an: „Die Proud Boys halten sich bereit.“
Tatsächlich hatte das kein Geringerer als der amerikanische Präsident gefordert. Im TV-Duell hatte Trump wörtlich gesagt: „Proud Boys, tretet weg und steht bereit!“ Dass er am Tag darauf behauptete, er kenne die rechte Schlägertruppe gar nicht, kann man als Schutzbehauptung abtun. Nicht nur erwähnte Trump den Namen von sich aus, die selbst deklarierten „westlichen Chauvinisten“ stellen den Personenschutz für Trumps langjährigen Vertrauten Roger Stone, und jüngst hat der mit Tarnuniformen, Schlagstöcken, Pfefferspray und Schusswaffen ausgerüstete Männerklub durch seine Aufmärsche in Portland für Schlagzeilen gesorgt.
Die rechten Milizen haben schon einen ersten Boom erlebt
Je näher der Wahltermin rückt und je offener Trump den Gedanken ausspricht, sein Amt nicht friedlich räumen zu wollen, desto mehr rücken die paramilitärischen Organisationen ins Blickfeld, die zu den radikalsten Unterstützern des Präsidenten gehören. Rechte Milizen sind kein neues Phänomen in den USA. Nach der Wahl des ersten afroamerikanischen Präsidenten Barack Obama 2008 erlebten sie einen Boom. Derzeit zählt die Bürgerrechtsorganisation Southern Poverty Law Center 181 Milizen.
Die Szene ist heterogen. Gegen alles vermeintlich Linke, gegen Migration und gegen den Islam wehren sich alle diese Bünde. Viele sind rassistisch, antisemitisch und gewalttätig. Zu den bekanntesten Bürgerwehren gehören die „Three Percenters“, die nach der Wahl Obamas gegründet wurden und ihren Namen aus der Legende ableiten, dass nur drei Prozent der Bürger der amerikanischen Kolonie im Unabhängigkeitskrieg gegen die Briten kämpften, und die „Oath Keepers“, die aktive und ehemalige Polizisten und Soldaten organisieren. Sie wurden von einem libertären Blogger gegründet, um sich Eingriffen der Regierung ins Waffenrecht entgegenzustellen. Doch seit mit Trump ein Verbündeter im Weißen Haus sitzt, hat sich das Feindbild gewandelt. Der Journalist Mike Giglio hat in einer Langzeitrecherche für das Magazin The Atlantic herauszufinden versucht, was die „Oath Keepers“ umtreibt. Neben der Verteidigung des Waffenrechts ist es die Angst, dass die Weißen demografisch in die Minderheit geraten und das Gefühl, das Recht auf eigene Faust verteidigen zu müssen.
Gouverneurin Gretchen Whitmer haben sie als "Nazi" verunglimpft
Erster Auslöser der aktuellen Mobilisierung waren die behördlichen Corona-Beschränkungen. Im April zog ein Trupp der „Michigan Liberty Militia“ mit Plakaten, die die demokratische Gouverneurin Gretchen Whitmer als „Nazi“ verunglimpften, vors Kapitol in Lansing und drang in Milizen-Uniformen mit Waffen in das Gebäude ein. Die Bilder schockten das liberale Amerika, doch Trump twitterte: „Befreit Michigan!“
Als Ende August die Proteste wegen der Polizeischüsse auf den Afroamerikaner Jacob Blake in Kenosha auch gewalttätig wurden, packte der 17-jährige Kyle Rittenhouse sein halbautomatisches Sturmgewehr AR-15, zog auf die Straße und erschoss zwei linke Demonstranten. Er ist nun wegen doppelten Mordes angeklagt. Doch Trump sprach eilig von „Notwehr“ und Stewart Rhodes, der Gründer der „Oath Keepers“, feierte den Todesschützen als „Helden und Patrioten“.
In Portland hat die linksextreme Antifa mit ihren Krawallen den rechten Milizen nun eine Scheinlegitimation geschaffen, das Recht selbst in die Hand zu nehmen. Hunderte Trump-Fans fuhren mit ihren Trucks durch die Stadt und machten mit Paintballpistolen und Reizgas Jagd auf die Protestler. Dabei wurde Aaron Jay Danielson, ein Anhänger der rechten „Patriot Prayer“, von einem Antifa-Aktivisten erschossen. Seither hat die Milizenbewegung ihren ersten Märtyrer.
Oath-Keepers-Chef: "Wir befinden uns im Bürgerkrieg"
"Wir befinden uns im Bürgerkrieg", hat "Oath Keepers"-Gründer Rhodes erklärt. Für "Proud Boys"-Chef Enrique Tarrio ist Portland zum "Epizentrum" im Kampf um die Freiheit geworden. Zu einem groß angekündigten Aufmarsch dort am vergangenen Wochenende mit angeblich 10.000 Teilnehmern kamen freilich nur einige hundert. "Tretet weg, Proud Boys", rief Tarrio den teilweise mit Gewehren bewaffneten Männern in kugelsicheren Westen zu und mahnte zur Zurückhaltung.
Tatsächlich blieb es friedlich. Dieses Mal. Doch was ist, wenn Trump die Wahl verliert und lautstark von Betrug redet? Würden seine militanten Anhänger im Land dann tatsächlich zu den Waffen greifen? Journalist Giglio hat mit Dutzenden Milizen-Anhängern gesprochen. Seine Erkenntnis ist beunruhigend: "Viele sagen, sie wollten nicht kämpfen, aber sie hätten das Gefühl, dass sie keine andere Wahl haben."
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