Startseite
Icon Pfeil nach unten
Politik
Icon Pfeil nach unten

Pro und Kontra: Wie umgehen mit der AfD? Zwei Autoren – zwei Meinungen

Pro und Kontra

Wie umgehen mit der AfD? Zwei Autoren – zwei Meinungen

Rudi Wais
    • |
    Wie soll die Union mit der AfD umgehen?
    Wie soll die Union mit der AfD umgehen? Foto: Swen Pförtner, dpa (Symbolbild)

    Auch die Ausgrenzung hat ihre Grenzen

    Bei der Empörung, die Friedrich Merz jetzt entgegenschlägt, ist jede Menge Heuchelei im Spiel – und ein Stück politische Naivität obendrein. Nehmen wir den Landkreis Sonneberg in Thüringen, in dem ein AfD-Mann vor kurzem zum Landrat gewählt wurde, in dessen Kreistag die CDU aber mit zehn Sitzen die stärkste Fraktion stellt. Ginge es nach den Kritikern von Merz, müssten die Kreisräte der CDU schon aus Prinzip jeden Vorschlag, der von Landrat Robert Sesselmann kommt, ablehnen – ob er nun ein Krankenhaus renovieren, eine Kreisstraße sanieren oder den die Mittel für die kreiseigenen Musikschule erhöhen will. Im Ergebnis hieße das: Der Landkreis Sonneberg träte bis zur Wahl eines neuen Landrates auf der Stelle, er wäre faktisch unregierbar – zum Nachteil von mehr als 50.000 Menschen. 

    Anders als in der Bundes- oder der Landespolitik dominieren in der Kommunalpolitik nicht die Beschlusslagen der Parteien die Arbeit von Gemeinde-, Stadt- und Kreisräten, sondern die Probleme vor Ort. Mehrheiten finden sich hier häufig über Parteigrenzen hinweg, weil die meisten Kommunalpolitiker vor allem eines eint: das Interesse an der Sache. Vorhaben nur deshalb abzulehnen, weil der Bürgermeister oder der Landrat der AfD angehört, würde dieses System der praktischen Vernunft ad absurdum führen. 

    Das bedeutet nicht, dass die anderen Parteien über jeden Stock springen müssen, den die Rechtspopulisten ihnen hinhalten. Sich komplett zu verweigern, wie es der Chor der Merz-Kritiker fordert, wird auf Dauer aber nicht funktionieren, sondern die AfD im Zweifel nur noch stärker machen. 

    Der CDU-Chef hat deshalb keine Brandmauer eingerissen, sondern nur etwas Selbstverständliches betont. Ob es politisch klug war, deshalb einen politisch-medialen Shitstorm zu riskieren und wenig später wieder zurückzurudern, ist eine andere Frage. Im Übrigen stehen auch die Parteien, die Merz jetzt für seinen vermeintlichen Tabubruch an den Pranger stellen, längst nicht so geschlossen gegen die AfD, wie es nach außen den Anschein haben soll. Beispiele gefällig? In Höchstädt bei Erlangen wurde ein Sozialdemokrat nur dank einer AfD-Stimme stellvertretender Bürgermeister, im brandenburgischen Forst kämpfte die Linkspartei gemeinsam mit der AfD für den Neubau eines Jugendklubs, in Gütersloh saßen die FDP und die AfD eineinhalb Jahre gemeinsam in einer Fraktion und im sächsischen Gohrisch hatten auch die örtlichen Grünen kein Problem damit, eine Fraktionsgemeinschaft mit der CDU und der AfD zu gründen. 

    Diese Liste ließe sich noch lange fortsetzen. Am Ende aber wird die AfD nur eines bremsen: Eine bessere Politik der anderen Parteien. (Rudi Wais)

    Merz hat die Brandmauer durchlöchert

    Eine Brandmauer, erklärt der Duden, sei eine feuerbeständige Mauer zwischen aneinanderstoßenden Gebäuden. In der Politik hielt diese Mauer zwischen den etablierten Parteien und der AfD über viele Jahre und verhinderte ein Übergreifen rechtspopulistischen Gedankenguts auf insgesamt gefestigte Strukturen, die Deutschland nach der Naziherrschaft mühsam aufbaute. CDU-Chef Friedrich Merz hat dieser Mauer mit wenigen Worten Löcher verpasst und riskiert ihren Einsturz.

    Der Sauerländer hält eine Zusammenarbeit mit Amtsträgern der AfD auf Kommunalebene für „selbstverständlich“. Die Umfragen, in denen die Partei mit 22 Prozent auf vier Punkte an die Union herangerückt ist, müssen Merz in Panik versetzt haben. Anders ist sein Vorstoß nicht zu erklären. Seine Relativierung fast 24 Stunden später kam nur unter öffentlichem Druck zustande und wirkt wenig glaubwürdig. Schon vorher hatte er sich angenähert, die Union etwa als „Alternative für Deutschland mit Substanz“ bezeichnet. 

    Merz hat schon bei seinem Sommerinterview gewusst, dass er gegen die Beschlusslage in seiner Partei handelt. „Wer die AfD unterstützt, muss wissen, dass er damit bewusst auch rechtsradikalen Hass und Hetze, extreme Polarisierung und persönliche Diffamierungen in Kauf nimmt“, heißt es etwa. Von einer Begrenzung auf Landes- oder Bundesebene steht auch in anderen Beschlüssen nirgends ein Wort. Solche Festlegungen können nur durch einen Parteitag aufgehoben werden, nicht durch ein Interview. Versucht hat Merz es trotzdem. 

    Der CDU-Chef hat, auch das bleibt haften, mit seinen Äußerungen die Arbeit der Kommunalpolitik herabgewürdigt. Seine Worte suggerieren, dass eine Zusammenarbeit „nur“ auf Ortsebene nicht so wichtig ist. Er ignoriert zudem die Angriffe von rechts, denen die Ehrenamtlichen in den Gemeinden ausgesetzt sind. Der ermordete Kasseler Regierungspräsident Walter Lübcke war ein Kommunalpolitiker.

    In der Fläche ist die AfD nicht so schlimm? Als Fraktionsvorsitzender treibt Björn Höcke in Thüringen sein Unwesen, er ist als Rechtsextremisten eingestuft. Mit ihm und seinen Gefolgsleuten hat Merz es zu tun, wenn er einer Zusammenarbeit das Wort redet.

    Durch die Löcher in der Brandmauer können Flammen auf die Landes- und Bundesebene übergreifen. Warum nicht in einer Großstadt mit der AfD paktieren, wenn es auf Kommunalebene ohnehin schon mal angedacht wurde? Noch ist Zeit für eine Reparatur. Viele Spitzenpolitiker sind herbeigeeilt, um die versuchte Brandstiftung zu stoppen. Bleibt zu hoffen, dass sie dauerhaft Erfolg haben. (Stefan Lange)

    Diskutieren Sie mit
    0 Kommentare
    Dieser Artikel kann nicht mehr kommentiert werden