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Pro und Contra: Soll es ein verpflichtendes Dienstjahr geben?

Pro und Contra

Soll es ein verpflichtendes Dienstjahr geben?

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    Würde man die Aufhebung der Wehrpflicht aussetzen, lösten sich nicht alle Nachwuchssorgen der Bundeswehr in Luft auf.
    Würde man die Aufhebung der Wehrpflicht aussetzen, lösten sich nicht alle Nachwuchssorgen der Bundeswehr in Luft auf. Foto: Sebastian Gollnow, dpa

    Pro: Ein verpflichtendes Jahr hilft diesem Land

    Fragt nicht, hat John F. Kennedy in seiner berühmten Amtsantrittsrede gerufen, was euer Land für euch tun kann – fragt, was ihr für euer Land tun könnt. Die Antwort lautet nicht erst seit der Zeitenwende: Eine ganze Menge, um nicht zu schreiben: Mehr denn je.

    Richtig ist: Würde man die Aussetzung der Wehrpflicht aufheben, lösten sich nicht alle Nachwuchssorgen der Bundeswehr in Luft auf. Richtig ist auch: Wenn künftig jedes Jahr eine Alterskohorte Zivildienstleistender den Pflegeheimen und Kindergärten zur Verfügung stünde, wären Pflege- und Kitanotstand noch nicht behoben. Helfen würde es aber schon. Und zwar nicht nur, weil dringend benötigtes Personal für das Altenheim künftig seltener mühsam im Ausland abgeworben werden müsste. Oder weil – wenn alle gemustert würden – sich doch ein paar mehr für den Wehrdienst entscheiden als bisher.

    Ein verpflichtendes Jahr hilft diesem Land darüber hinaus. Denn wenn seine jungen Bürgerinnen und seine jungen Bürger sich einmal für gewisse Zeit in den Dienst ihres Staates stellen, ihre eigenen Interessen für das Gemeinwesen beschränken, kann dies – im Idealfall – das eigene Verantwortungsbewusstsein für das große Ganze schärfen. 

    Es bringt zudem Menschen aus unterschiedlichen sozialen Schichten und Regionen zusammen. Es wird niemand bestreiten, dass es in einer Demokratie wie der unseren hilft, eine andere Perspektive einzunehmen. Denn der gesellschaftliche Zusammenhalt fasert zunehmend aus.

    Klingt das zu staatstragend? Dann so: Ich habe meinen Zivildienst damals in einer Einrichtung für sprachlich benachteiligte Kinder geleistet. Gelernt habe ich in diesen dreizehn Monaten, dass eine soziale Laufbahn sehr früh beginnt. Dass Vieles, was mir an gesellschaftlichen Chancen bis dahin selbstverständlich erschien, genau das eben nicht ist. Ich bin aus meiner wohlbehüteten Blase herausgekommen. Freiwillig hätte ich das damals, so ehrlich muss man sein, nicht gemacht. (Stefan Küpper)

    Contra: Ein Pflichtjahr ist nichts anderes als erzwungene Arbeit

    Zwang ist immer nur die zweitbeste Lösung. Weder hat die Wehrpflicht die Personalprobleme der Bundeswehr gelöst noch kann ein soziales Pflichtjahr die Lücken schließen, die jahrzehntelange Versäumnisse in Kliniken, Alten- oder Pflegeheimen gerissen haben. Die Idee, junge Menschen zum Dienst an der Gesellschaft zu verpflichten, sieht zwar auf den ersten Blick faszinierend sinnstiftend aus. Tatsächlich jedoch kaschieren ihre Anhänger, allen voran der Bundespräsident, damit nur den eigentlichen Zweck der Operation. Ein Pflichtjahr ist nichts anderes als erzwungene Arbeit – und eine schlecht bezahlte obendrein.

    Viele junge Menschen sind bereit, sich zu engagieren, und für begrenzte Zeit in einer sozialen Einrichtung, im Naturschutz oder einem Kindergarten zu arbeiten. Dieses Reservoir zu erschließen, etwa durch eine vernünftige Aufwandsentschädigung oder die Anrechnung solcher Dienste als Beitragszeiten für die Rente, sollte die vornehmste Aufgabe der Politik sein. Was nutzt einem Pflegeheim ein missgelaunter 19-Jähriger, der dort seine Zeit absitzt und jeden Tag nur darauf wartet, dass es Feierabend wird? Wer sich dagegen aus freien Stücken für ein soziales Jahr oder die Bundeswehr entscheidet, kommt motiviert und bleibt im Idealfall sogar, weil er (oder sie) diese Arbeit als erfüllend und bereichernd empfindet.

    Jeder habe das Recht auf die freie Entfaltung seiner Persönlichkeit, heißt es im Grundgesetz. Ein Pflichtjahr konterkariert dies nicht nur – es hat auch etwas Anmaßendes, wenn ein Staat glaubt, Gemeinsinn per Gesetz verordnen zu müssen. Bei der Wehrpflicht ließ sich das zu Zeiten des Kalten Krieges noch begründen. Mit dem Zivildienst aber hat die Politik viele Probleme, die sie heute beklagt, erst geschaffen. Indem sie soziale Einrichtungen mit billigen Arbeitskräften geflutet hat, hat sie buchstäblich die Preise verdorben. Fachkräfte aber gewinnt man nur mit einer besseren Bezahlung und besseren Arbeitsbedingungen. (Rudi Wais)

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