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Muss das Bürgergeld für Ukraine-Flüchtlinge abgeschafft werden?

Pro & Contra

Soll der Staat ukrainischen Flüchtlingen das Bürgergeld streichen?

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    1,1 Millionen Menschen sind bisher aus der Ukraine nach Deutschland geflohen
    1,1 Millionen Menschen sind bisher aus der Ukraine nach Deutschland geflohen Foto: Annette Riedl

    PRO: Zahlen lügen nicht. In Dänemark arbeiten drei von vier ukrainischen Flüchtlingen im erwerbsfähigen Alter, in Polen und Tschechien sind es zwei Drittel, in den Niederlanden und Großbritannien mehr als die Hälfte – und in Deutschland nicht einmal 25 Prozent. Das hat, vor allem, mit dem Bürgergeld zu tun. Es schmälert den Anreiz, einen Job anzunehmen – für viele „normale“ Bezieher genauso wie für die aus der Ukraine

    Mit ihrer falsch verstandenen Großzügigkeit hat die Bundesregierung Flüchtlinge erster und zweiter Klasse geschaffen, weil Flüchtlinge aus anderen Ländern zunächst geringere Leistungen und eine schlechtere medizinische Versorgung erhalten als die ukrainischen. Gleichzeitig lässt die Ampel die Chance ungenutzt verstreichen, die Lücke an Fachkräften wenigstens ein Stück weit zu schließen. Die Geflohenen aus der Ukraine sind deutlich besser ausgebildet als Asylbewerber aus dem Irak, der Türkei oder Afghanistan – warum also dieses Reservoir nicht nutzen? 

    1,1 Millionen Ukrainer sind nach Deutschland geflohen, davon knapp die Hälfte im erwerbsfähigen Alter, von denen nach einer Studie des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung 68 Prozent einen Hochschulabschluss haben. Das Bürgergeld und die Übernahme der Miete, zusätzliche Leistungen für Schwangere und Alleinerziehende oder die kostenlose Aufnahme in die gesetzliche Krankenkasse aber addieren sich zu Summen, die einem Einkommen aus Arbeit häufig schon gefährlich nahekommen. Dabei ist Arbeit ein Schlüssel zur Integration. 

    Der deutsche Staat lässt niemanden alleine, der hier Schutz und Sicherheit sucht. Dieser Staat aber hat auch eine Verantwortung seinen Steuerzahlern gegenüber. Alle Flüchtlinge gleichzubehandeln und Ukrainern nicht schon als Willkommensgruß das höhere Bürgergeld zu gewähren, ist nicht nur ein Gebot der praktischen Vernunft. Es würde auch mehr gesellschaftliche Akzeptanz für die Flüchtlinge aus der Ukraine schaffen. Denn die hat längst zu bröckeln begonnen. (Rudi Wais)

    CONTRA: Natürlich muss man darüber reden, wie man mehr Frauen und Männer aus der Ukraine, die ja vom ersten Tag an eine Arbeitserlaubnis in Deutschland haben, in Arbeit bringt. Andere Staaten machen das besser. Aber ernsthaft so zu tun, als würden diese Menschen ihre Heimat aufgeben, nur um bei uns Bürgergeld zu kassieren, ist zynisch. 

    Nur zur Erinnerung: Es sind Putins Panzer und Raketen, die Millionen in die Flucht treiben. Weil sie ihr Hab und Gut verloren haben, weil sie jeden Tag damit rechnen müssen, getötet zu werden, weil ihre Freunde, Eltern, Männer, Frauen oder Kinder ermordet wurden. Wer das einfach so ausblendet und nur eine Kosten-Nutzen-Rechnung aufmacht, landet ganz schnell beim unsäglichen Wort „Asyltourismus“, das CDU-Chef Friedrich Merz zurecht bis heute nachhängt.

    Abgesehen davon: Auch viele Deutsche, die arbeiten könnten, tun das nicht. Dieses Potenzial zu heben, ist die eigentlich entscheidende Aufgabe. Stattdessen macht man einen Bogen um das Thema und zeigt auf andere. Nach dem Motto: Wenn wir den Deutschen schon das Bürgergeld nicht so einfach streichen können, dann nehmen wir es wenigstens den Ukrainern weg. 

    Im Übrigen ist es nicht so, dass die Menschen, die vor Putins Krieg fliehen, alle nicht arbeiten wollen. Denn erstens: Wer Bürgergeld bekommt, lebt nicht gerade in Saus und Braus, wie das oft unterstellt wird. Und zweitens: Manche scheitern nicht an der Motivation, sondern daran, dass ihre Abschlüsse und Zeugnisse von der deutschen Bürokratie zerpflückt werden. Daran, dass Sprachkenntnisse von ihnen verlangt werden, die sie nach ein paar Wochen im Land natürlich nicht haben können. Oder daran, dass Frauen sich um ihre Kinder kümmern müssen, weil die Männer an der Front kämpfen oder gefallen sind. Angesichts der fehlenden Betreuungskapazitäten haben sie oft gar keine Chance, einen Job anzunehmen. 

    Wer mehr Ukrainerinnen und Ukrainer für den Arbeitsmarkt gewinnen will, sollte sich damit beschäftigen, anstatt mit populistischen Forderungen um Stammtisch-Applaus zu betteln. (Michael Stifter)

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