"Es fällt, es fällt. Fuck. Da, Rauch, es ist in der Nähe des Bauernhofs. Es brennt. Fuck." Ein Video, das mehrere Telegram-Kanäle am Mittwochabend verbreiteten, zeigt ein abstürzendes Flugzeug. Eine aufgeregte Frauenstimme ist darauf zu hören. Eine Drohne? "Nein, das ist ein Flugzeug, es fällt", heißt es in einem weiteren Video. Später filmen Augenzeugen in der Region Twer, auf dem halben Weg zwischen Moskau und Sankt Petersburg, brennende Reste von Flugzeugturbinen und Flugzeugflügeln – und die staatliche russische Nachrichtenagentur Ria meldet, der Notdienst habe den Tod von zehn Menschen bestätigt, die sich an Bord befunden hätten. Drei Crew-Mitglieder und sieben Passagiere sollen mitgeflogen sein.
Bei der Embraer-Legacy-600-Maschine handelt es sich um einen Privatjet des Söldnerchefs Jewgeni Prigoschin. Sein Name soll laut der russischen Agentur Tass auf der Passagierliste gestanden haben. Dies bestätigte die Luftfahrtbehörde Rosawiazija. Sie veröffentlichte eine Passagierliste, auf der unter anderem Prigoschin und der Wagner-Kommandeur Dimitri Utkin standen.
Prigoschins Telegram-Kanäle sprechen vom Tod Prigoschins
In Telegramkanälen, die dem Milizenführer nahestehen, hieß es sogleich, das Flugzeug sei von einem Raketenabwehrsystem abgeschossen worden oder es habe eine Explosion an Bord gegeben. Andere schrieben, man solle den 62-Jährigen nicht früher als nötig beerdigen. Ein zweiter Privatjet, der ebenfalls Prigoschin gehören soll, tauchte kurze Zeit später – laut Flightradar – am Himmel über Moskau auf. In den sozialen Netzwerken zirkulierten unterschiedliche Versionen.
Inzwischen ist der Söldnerführer Prigoschin nach dem Flugzeugabsturz in Russland für tot erklärt worden. Der Telegram-Kanal Grey Zone, den Prigoschin zur Verbreitung seiner Videos nutzte, meldete am Mittwochabend den Tod des Chefs der Privatarmee Wagner. Eine amtliche Bestätigung für den Tod des langjährigen Vertrauten von Kremlchef Wladimir Putin gab es bis zum Donnerstagmorgen aber nicht. Ebenso fehlen offizielle Angaben zur Absturzursache.
Absturz von Prigoschin: Spott in den sozialen Netzwerken
Eine Bestätigung darüber, ob Prigoschin und Dmitri Utkin, der Anführer der Wagner-Gruppe und ihr Namensgeber, tatsächlich an Bord der abgestürzten Maschine gewesen sind, hatte es zunächst ebenfalls nicht gegeben. Der kremlnahe Fernsehsender Zargrad TV berichtete jedoch unter Berufung auf eigene Quellen, die Leiche Prigoschins sei vorläufig identifiziert, es stünden aber DNA-Analysen aus. Das russische Ermittlungskomitee leitete derweil ein Verfahren wegen Verstößen gegen die Verkehrssicherheit und den Betrieb im Luftverkehr ein. In den sozialen Netzwerken gab es Spott. Manche köpften dabei eine Sektflasche, andere schrieben, Prigoschin habe nun endlich seine geforderte Munition bekommen. In den staatlichen Nachrichten wurde der Absturz bei Twer nicht gemeldet.
Prigoschins Jet stürzte in der Nähe von Putins Sommerresidenz ab
Sogenannte Z-Kanäle, in denen sich Unterstützer des Krieges in der Ukraine auslassen, waren zu dem Zeitpunkt erstaunlich ruhig. "Mir fehlen Informationen", schrieb etwa der Kriegsberichterstatter Alexander Koz. Die Chefpropagandistin Margarita Simonjan schrieb, sie halte sich an die "offensichtlichste Version, nicht an Gerüchte von einer Inszenierung".
Russlands Präsident Wladimir Putin trat derweil bei einer Gedenkveranstaltung zu 80 Jahren Schlacht um Kursk auf. Die Agentur Ria schrieb unter einem Bild: "Putin mit Orchester". Das klang fast doppeldeutig. Die Wagner-Gruppe wird im Russischen oft Orchester oder Musikanten genannt. Prigoschins Jet stürzte nur 50 Kilometer vor Putins Sommerresidenz in Waldai ab.
Vor zwei Monaten meuterte Prigoschins Privatarmee Wagner gegen Russland
Am Mittwoch waren auf den Tag genau zwei Monate vergangen, seit Prigoschin mit angeblich 25.000 seiner Soldaten in Rostow am Don gemeutert hatte – und gescheitert war. Einen "Gerechtigkeitsmarsch" gen Moskau hatte er geplant und war damit Putin direkt angegangen. Ein Tabu. Nach wenigen Stunden war Prigoschin abgedreht, seine Mannen waren von dannen gezogen. Putin, der in seinen Reden während und nach dem Aufstand nie den Namen Prigoschin in den Mund nahm, sprach von einem "Dolchstoß" und von Verrat. In den Augen des russischen Präsidenten verdienen Verräter den Tod. Dem Wagner-Chef versprach er freies Geleit nach Belarus.
Was danach mit Prigoschin passierte, war unklar. Mal soll er tatsächlich in Belarus gelandet sein, dort sollen einige Firmen, die mit "Wagner" verbunden sind, registriert sein. Mal war er doch in Russland, wo er sich auch nach seiner Kurzzeit-Revolte mit Putin getroffen haben soll. Vor wenigen Tagen erst war ein Video von ihm aufgetaucht. Der bewaffnete Söldnerchef ist darin in Tarnkleidung vor Männern auf Pick-ups zu sehen, hinter ihnen eine sandige Landschaft. Prigoschin behauptet dabei, er sei "in einem afrikanischen Land", und die Arbeit in Afrika werde weitergeführt. Wann und wo der Clip gedreht wurde, ist allerdings unklar und wo sich Prigoschin zu dem Zeitpunkt befunden hatte, ebenfalls. (mit dpa)
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