Startseite
Icon Pfeil nach unten
Politik
Icon Pfeil nach unten

Pressestimmen: Merkel bei Gauck-Nominierung zwischen "Gewinnerin" und "Gesichtverlust"

Pressestimmen

Merkel bei Gauck-Nominierung zwischen "Gewinnerin" und "Gesichtverlust"

    • |
    Bundeskanzlerin Angela Merkel wird nach der Nominierung von Joachim Gauck von der Presse einerseits gelobt, andererseits belächelt.
    Bundeskanzlerin Angela Merkel wird nach der Nominierung von Joachim Gauck von der Presse einerseits gelobt, andererseits belächelt. Foto: Jörg Carstensen dpa

    "Neue Osnabrücker Zeitung": Nun also doch: Mit Joachim Gauck steht ein respektabler Kandidat für das Amt des Präsidenten bereit. Vorausgegangen war seiner Kür am Wochenende ein abschreckendes Schauspiel, das vorübergehend wie eine Nachfolgersuche für "Wetten, dass..?" wirkte. Das Ergebnis bedeutet einen Gesichtsverlust für Angela Merkel, die den einstigen Gegenkandidaten zu Christian Wulff verhindern wollte. Dass ihr dies nicht gelang, sollte nicht überbewertet werden. Am Ende stand, gerade noch rechtzeitig, die Einigung. Dass die Kanzlerin nachgab, entspricht ihrem pragmatischen Stil: Ihre Ablehnung hätte niemand verstanden und wäre Keimzelle latenter Unzufriedenheit mit jedem anderen Kandidaten gewesen. Das Präsidentenamt hat inzwischen auch genug gelitten, nicht nur unter dem Fall Wulff.

    "Nordwest-Zeitung" (Oldenburg): Es spricht für Angela Merkel, ihren Widerstand gegen den "Präsidenten der Herzen" aufgegeben zu haben. Das verdient Respekt. Sie hat damit, wenn auch nach anfänglichem Zögern, wahr gemacht, was sie angekündigt hatte. Sie ging bei der Suche nach einem neuen Präsidenten auf die Opposition ein und stimmte einem Vorschlag zu, dem eine breite Mehrheit in der Bundesversammlung gewiss ist. Schön ist, dass Joachim Gauck zudem auch die Zustimmung einer großen Bevölkerungsmehrheit sicher ist. Er verkörpert, was zuletzt so sehr vermisst wurde.

    "Westdeutsche Zeitung" (Düsseldorf): Leider boten die schwarz-gelben Koalitionäre gestern zunächst ein unwürdiges Possenspiel. Der Streit um die Personalie Gauck drohte bisweilen sogar zur Zerreißprobe für die Regierung zu werden. Denn im Gegensatz zu CDU und CSU hatte die FDP die Signale aus dem Volk gehört und machte aus der Gauck-Frage eine Koalitionsfrage. Der schwer angeschlagene

    "General-Anzeiger" (Bonn): Die Mehrheitsverhältnisse haben die Kanzlerin zur Korrektur gebracht. Mit einem paradoxen Ergebnis: Deutschland bekommt einen Bundespräsidenten, mit dem diese Gesellschaft sehr gut wird leben können. Dass er wie Angela Merkel evangelisch und vom Osten geprägt ist, wird nur für Freunde des Proporzes von Nachteil sein. Und

    "Badische Zeitung" (Freiburg): Am Ende hatte Merkel nach der Absage von Andreas Voßkuhle schlicht keine überzeugende Alternative. Zudem hätte sie einen anderen Kandidaten nach der öffentlichen Festlegung der FDP auf Gauck nur um den Preis einer existentiellen Koalitionskrise durchsetzen können. Das spricht nicht gegen Gauck, wohl aber gegen die schwarz-gelbe Regierung, in der den Liberalen inzwischen jedes Mittel Recht zu sein scheint, um sich Gehör zu verschaffen. Ob das Ergebnis den Freidemokraten in ihrem Überlebenskampf wirklich nützt, wird man sehen. Deutschland jedenfalls wird wieder ein respektables Staatsoberhaupt erhalten, auch wenn der Kandidat einem fast leid tun muss, angesichts der enormen Erwartungen, die auf ihn projiziert wurden und werden. Seien wir gnädig.

    "Westfälische Nachrichten" (Münster): Die Kanzlerin musste in die ungeliebte Personalie Gauck einwilligen, weil sie zum einen ihre Regierung nicht aufs Spiel setzen wollte, zum anderen keine überzeugende personelle Alternative aufzubieten vermochte. Denn ihrer großen Geste vom Freitag, nach dem Scheitern des präsidialen Parteibuch-Surfens nun einen unabhängigen Nachfolger zu suchen jenseits von durchsichtigem Posten-Geschacher, war wie zu erwarten verpufft im Getriebe der kleinkarierten und allzu parteiischen Berliner Farbenlehre.

    "Delmenhorster Kreisblatt": Gewonnen hat diese Wahl bislang nur eine einzige Person: Angela Merkel. Sie - die oft als machtversessen Gescholtene - hat gestern wieder einmal ihren Sinn für Pragmatismus bewiesen. Joachim Gauck als Bundespräsidenten erneut abzulehnen, wäre für den Alternativkandidaten oder die Alternativkandidatin eine starke Belastung geworden. Denn er oder sie wäre ständig an der Beliebtheit Gaucks gemessen worden. Und ganz nebenbei hat die Kanzlerin auch noch eine drohende Koalitionskrise mit der FDP abgewendet.

    "Badische Neueste Nachrichten" (Karlsruhe): Einen bemerkenswerten Fall von Korrektur hat die Bundeskanzlerin vollbracht. Der Schwenk zu Joachim Gauck am gestrigen späten Abend ist der Union aus taktischen Gründen alles andere als leicht gefallen. Dass sie ihn dennoch vollzogen hat, könnte die seltsame Folge haben, dass diese Kandidatenkür fast nur Sieger hervorbringt: SPD und Grüne, weil sie schon vor zwei Jahren auf Gauck setzten. Die FDP, weil sie gestern hoch und erfolgreich gepokert hat. Und die CDU, die bald merken könnte, dass dieser Präsident viel besser zu ihr passt, als sie je gedacht hat.

    "Nordsee-Zeitung" (Bremerhaven): Der FDP muss man zugestehen, sie hat hoch gepokert und gewonnen. Der Schwanz hat ausnahmsweise mal mit dem Hund gewedelt. Auch um den Preis der Koalition. Angela Merkel ist am Ende eingeknickt, nicht nur vor den Liberalen und dem immensen Druck, den auch die Opposition ausgeübt hat. Sondern hoffentlich auch vor den eigenen Ansprüchen. Dabei hat Angela Merkel als Kanzlerin Schaden genommen. Und die Koalition? Sie steht nun schlechter da denn je. Nicht wegen Gauck. Sondern wegen des Prozederes. dpa

    Diskutieren Sie mit
    0 Kommentare
    Dieser Artikel kann nicht mehr kommentiert werden