Lieber Franz Josef Wagner,
Ihre Briefe sind nur ein paar Zeilen lang. Also fasse ich mich kurz. Einen langen Text würden Sie ohnehin verabscheuen. Sagen wir es, wie es ist: Manche finden, dass Sie genial sind. Aber nicht jeder mag Sie. Einige halten Sie für einen Kotzbrocken. Das macht Ihnen am meisten Spaß. Die Provokation. Die kleinen Gemeinheiten. Die ständige Grenzüberschreitung.
Sie waren Gesellschaftsreporter, Kriegsberichterstatter, Chefredakteur, Schriftsteller. Seit mehr als 20 Jahren schreiben Sie jeden Tag einen Brief in der Bild-Zeitung. Post von Wagner. Sie sind ein alter, weißer Mann, Sie rauchen und trinken. An Frauen mögen Sie das Mütterliche, das Rote-Kreuz-Schwesterliche, das Tröstende, wie Sie neulich in einem Interview mit der Zeit bekannten. Hosenanzüge mögen Sie nicht. 80 Jahre alt sind Sie an diesem Montag. Manche Ihrer Texte sind Poesie, die meisten Polemik.
Man nennt Franz Josef Wagner auch "Gossen-Goethe"
Man nennt Sie "Gossen-Goethe". Sie sind besessen vom perfekten ersten Satz. Wie kaum ein anderer sagen Sie mit wenigen Worten alles. Mit Jean Paul Sartre saßen Sie im Café de Flore in Paris, mit Helmut Dietl im Romagna Antica in München. Der spätere RAF-Terrorist Andreas Baader war ein Freund. Marlene Dietrich schrieb Ihnen, Sie seien der einzige Mann auf der Welt, der erstklassige Prinzipien und Sitten habe. Hat Sie sich etwa getäuscht?
Heute leben Sie in Berlin, auf 240 Quadratmetern. Allein, aber mit viel Kunst. Die Paris Bar ist Ihre Heimat. Sie haben eine Tochter und sind oft einsam. Es gibt kaum aktuelle Fotos von Ihnen.
Wagner feuerte eine Sekretärin wegen eines Espressos
Als Chefredakteur, unter anderem bei der Bunten und der B.Z., galten Sie als Choleriker. Einmal haben Sie eine Sekretärin gefeuert, weil sie Ihren Espresso nicht mit Mineralwasser gebrüht hatte. Sie selbst sagen: "Mein Zorn dauert nur eine Minute. Dann sind die anderen noch gekränkt, aber für mich ist es schon wieder vorbei." Ist es Ihnen egal, andere zu verletzen? An Silvio Berlusconi schrieben Sie einst zum 75. Geburtstag: "Was wünscht man einem geilen, unkeuschen alten Mann zu seinem 75. Geburtstag. Prostata-Probleme?" Über die Schwimmerin Franziska van Almsick titelten Sie: "Franzi van Speck – als Molch holt man kein Gold." Danach waren Sie Ihren Job los.
Dabei mögen Sie die Verlierer lieber als die Sieger. Der Brief ist zu lang geworden. Ich bin eben nicht Sie. Herzlichst, M.J. Stifter