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Portrait: Volker Wissing ist der Mann, der halb Europa ausbremst

Portrait

Volker Wissing ist der Mann, der halb Europa ausbremst

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    Volker Wissing (FDP), Bundesminister für Verkehr und Digitales, bei der Präsentation des neuen E-Bus-Typs "Ebusco 2.2".
    Volker Wissing (FDP), Bundesminister für Verkehr und Digitales, bei der Präsentation des neuen E-Bus-Typs "Ebusco 2.2". Foto: Michael Kappeler, dpa

    "Gut geht es mir", sagt Volker Wissing am Telefon. Gerade hat er die halbe Europäische Union gegen sich aufgebracht, weil er eine Zukunft für den Verbrennermotor will. In Brüssel sorgt der deutsche Verkehrsminister von der FDP für genervtes Augenrollen, zu Hause in Deutschland fallen die Grünen über ihn her und Klimaaktivisten fordern seinen Rücktritt. "Es ist nicht so, dass es einen persönlich trifft", erzählt er. "Als Politiker muss man eben damit umgehen, wenn man kritisiert wird."

    Kritik, auch harte Attacken, gab es nicht wenige in den letzten Monaten. Weil die Bahn notorisch unpünktlich ist und der Service schlecht, weil Wissing neue Autobahnen bauen will, weil Autos und Lkw zu viel CO₂ in die Luft blasen. Eigentlich müsste der Minister ein Gesetz vorlegen, um den CO₂-Ausstoß im Verkehr rasch zu senken. Doch Wissing macht das einfach nicht.

    Alle Minister reden gut von Wissing

    Erstaunlich ist, dass im Kabinett niemand schlecht über ihn redet. Mit Wirtschafts- und Klimaschutzminister Robert Habeck (Grüne) ringt er seit Monaten über Auswege aus dem Klimaschutz-Verzug des Verkehrssektors. Beide Ministerien liegen nebeneinander, Habeck kommt zu Fuß vorbei. Auf dem Parteitag der Grünen im Oktober lobte Habeck seinen FDP-Kollegen sogar in einer Rede. Immer, wenn es um Wissing geht, hört man, wie höflich und freundlich der 52-Jährige im persönlichen Gespräch ist. Wenn ein rüder Angriff auf ihn niedergeht, antwortet er nicht im scharfen Ton. Der Minister behält die Fassung und wahrt die Form.

    Wissing ist ein beliebter Kollege im Kabinett von Bundeskanzler Olaf Scholz.
    Wissing ist ein beliebter Kollege im Kabinett von Bundeskanzler Olaf Scholz. Foto: Kay Nietfeld, dpa

    Die innere Haltung spiegelt sich in seinem Äußeren. Wissing trägt selbstverständlich Anzug und Krawatte, ist gut frisiert und rasiert. Weil er nicht laut ist und Rüpeleien sucht wie sein Parteifreund Wolfgang Kubicki, wird der Winzersohn aus der Pfalz unterschätzt. Doch Politik ist ein Kampfsport. Wenn das so ist, dann wäre Wissing wie der frühere Box-Weltmeister Henry Maske. Maske war kein dumpfer KO-Schläger, gewann aber 31 von 32 Profikämpfen mit seinem defensiven Stil.

    Wissing ist ähnlich. Er ist ehrgeizig und durchsetzungsstark. Abitur, Studium der Rechtswissenschaften, Promotion, Berufung zum Staatsanwalt und Richter. Binnen zehn Jahren hat er beruflich Karriere gemacht, doch das reicht ihm nicht. Im Jahr 1998 tritt er in die FDP ein, ein Jahr später ist er Vorsitzender des Stadtverbandes Landau, sechs Jahre später sitzt er schon im Bundestag.

    Wissing stammt aus einer calvinistischen Familie. Er selbst ist gläubig. Früher begleitete er die Gemeinde auf der Orgel. Der Calvinismus ist bekannt für seine Arbeitsethik. Fleiß und beruflicher Erfolg können eine Auszeichnung Gottes sein. In diesem Sinne entspricht der Werdegang Wissings dem Lehrbuch. Von klein auf hilft er mit auf dem Weingut seiner Eltern.

    Doch sein Glaube hat noch eine andere Seite. Für den Verkehrsminister ist die Bewahrung der Schöpfung Gottes nicht irgendein Bekenntnis aus der sprichwörtlichen Sonntagsrede. Privat braucht er keinen Luxus, vermeidet das Flugzeug, wo es geht, und fährt mit seiner Familie jedes Jahr an den gleichen Ort nach Frankreich in den Sommerurlaub.

    Von klein auf hilft Wissing mit auf dem Weingut seiner Eltern

    Doch es gibt nicht nur den gläubigen Christen Volker Wissing, sondern auch den FDP-Mann Volker Wissing. Und als Verkehrsminister setzt er die Linie seiner Liberalen um. Und die heißt: Ausbau der Deutschen Bahn und Ausbau der Autobahn zugleich. Stärkung des öffentlichen Verkehrs auf der Schiene und Stärkung des Individualverkehrs auf der Straße.

    Der Einzelne soll die Wahl haben. Aus Sicht der Grünen muss aber das Auto zurückgedrängt werden zugunsten der Schiene, wenn es die Bundesregierung ernst meint mit dem Kampf gegen die Erderwärmung. "Wenn die Kompromisse einseitig ausfallen, fühlen sich Teile der Wähler nicht mitgenommen", sagt der Verkehrsminister.

    Verkehrsminister Volker Wissing stammt aus einer Winzerfamilie aus der Pfalz.
    Verkehrsminister Volker Wissing stammt aus einer Winzerfamilie aus der Pfalz. Foto: Andreas Arnold, dpa

    Wie alle seine Vorgänger kämpft er mit einem spezifischen Problem seines Amtes. Der Bau und die Sanierung von Schienen, Straßen und Brücken dauern Jahre. Genauso lange dauert es, bis die Industrie moderne Züge und Waggons liefert. Das Geschäft der Politik ist aber auf kurze Zeiträume gepolt, auf Wunderlösungen über Nacht und der wichtigste Termin sind die nächsten Wahlen. Den Lorbeer des Erfolges erntet womöglich erst der Nachfolger oder Nach-Nachfolger. Wissing hat der leidenden Bahn trotzdem ein neues Sanierungskonzept verordnet. Die am stärksten belasteten Strecken werden über Monate voll gesperrt und in einem Rutsch generalüberholt. Österreich macht es so. Bisher operierte der Schienenkonzern mit Stückwerk.

    Dennoch stehen den Fahrgästen Jahre bevor, in denen Hauptschlagadern des Gleisnetzes ausfallen. Das wird ihnen viel Geduld und Langmut abverlangen. Der Verkehrsminister kann sich darauf einrichten, dass viel über den Staatsbetrieb gemeckert wird. Und Meckerei über die Bahn trifft auch immer ihn als Eigentümer des Ladens. Im Gespräch vergleicht Wissing die Politik nicht mit Boxen, sondern mit dem Hochsprung.

    Viele in der Politik legen die Messlatte immer höher, eigentlich zu hoch, um sie überspringen zu können. "Ich mache es anders. Ich schaue mir die Dinge Punkt für Punkt an und schaue, was ich machen kann", sagt Wissing. Mit dem 49-Euro-Ticket gelang ihm – gemessen am langen Zeithorizont der Bahn-Ertüchtigung – ein rascher Erfolg. Ironischerweise wird er eher dem Druck der Grünen zugeschrieben als den Liberalen.

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