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Porträt: Stoltenberg bleibt Nato-Chef: Mach's noch einmal Jens

Porträt

Stoltenberg bleibt Nato-Chef: Mach's noch einmal Jens

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    Vertrag verlängert: Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg.
    Vertrag verlängert: Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg. Foto: Virginia Mayo, AP

    In Sportklubs oder Ortsvereinen von Parteien wird die flehentliche Bitte nicht so selten zu vernehmen sein. „Mensch, kannst Du nicht noch ein Jahr dranhängen? Wir finden einfach keinen, der das so gut macht wie Du. Nur noch ein letztes Jährchen.“ Nun ist die Nato kein Ortsverein und Jens Stoltenberg kein Vereinsvorsitzender. Doch der 64-jährige Norweger darf einfach nicht aufhören, er wird bekniet, gelobt, umschmeichelt. Damit er das bleibt, was er seit Oktober 2014 ist: Generalsekretär der

    Und tatsächlich: Er hat verlängert. Bis zum Oktober 2024. Allen Beteuerungen zum Trotz, dass er „nach Hause gehen“ werde. „In der Nato gefangen“, titelte die norwegische Tageszeitung Aftenposten treffend, als Anfang Juli bekannt wurde, dass der Sozialdemokrat nun doch weitermacht. Jetzt ist die Erleichterung groß, dass der Chef nicht von Bord geht, während die Ukraine im Krieg mit Russland um ihre Existenz kämpft. Gerade erst hat der groß gewachsene Mann mit den etwas hölzernen Bewegungen bewiesen, wie trefflich er es versteht, zu vermitteln. So konnte Stoltenberg der staunenden Weltöffentlichkeit am Montag verkünden, dass der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan jetzt doch die Blockade einer Nato-Mitgliedschaft Schwedens aufgeben würde.

    Mann der Stunde: Jens Stoltenberg wird beim Nato-Gipfel auch von der deutschen Außenministerin Annalena Baerbock für sein Verhandlungsgeschick gefeiert.
    Mann der Stunde: Jens Stoltenberg wird beim Nato-Gipfel auch von der deutschen Außenministerin Annalena Baerbock für sein Verhandlungsgeschick gefeiert. Foto: Kay Nietfeld, dpa

    Ein Turm aus Anerkennung und Zuneigung für Jens Stoltenberg

    Was folgte, war ein Sturm aus Anerkennung und Zuneigung, den Stoltenberg mit seinem stets ein wenig schüchtern wirkenden Lächeln quittiert haben dürfte. „Man vertraut Ihnen. Niemand kennt die Situation, mit der wir konfrontiert sind, besser als Sie“, formulierte US-Präsident Joe Biden überschwänglich. Tatsächlich zeichnet Stoltenberg aus, dass er umso ruhiger und abgeklärter wird, je höher sich die Erregungszustände um ihn herum auftürmen. Er vermied konsequent, den starrköpfigen Erdogan für sein unsolidarisches Verhalten zu attackieren. Nicht etwa, weil er dessen Verhalten billigt, sondern weil er weiß, dass er als Chef eines Bündnisses, das nach dem Einstimmigkeitsprinzip entscheidet, immer gesprächsfähig bleiben muss. Auch und gerade für Erdogan.

    Jens Stoltenberg wird 1959 in eine sozialdemokratische Familie hineingeboren. Beide Eltern, die in Oslo leben, sind in der Arbeiterpartei aktiv. Die Stoltenbergs wanderten im 18. Jahrhundert aus dem Norden Deutschlands nach Norwegen aus. Es besteht tatsächlich eine entfernte Verwandtschaft mit dem früheren deutschen Finanzminister Gerhard Stoltenberg (CDU), der 2001 starb. 

    Bevor Jens Stoltenberg studiert, leistet er seinen Wehrdienst. In den 80er Jahren startet er seine Karriere in der Arbeiterpartei, obgleich er zunächst als wenig charismatisch gilt. Doch die Norweger goutieren die Verlässlichkeit und Seriosität, die er ausstrahlt. 2000 übernimmt er das Amt des Ministerpräsidenten von seinem umstrittenen Parteikollegen Thorbjørn Jagland. Die Wahl 2001 kann er jedoch nicht gewinnen. Erst vier Jahre später wird er zum Regierungschef gewählt.

    Dann kommt der traumatische 22. Juli 2011. Der Neonazi Andres Breivik zündet zuerst eine Autobombe in Oslo und feuert danach auf der Insel Utøya wahllos auf Teilnehmer eines Sommerlagers der Jugendorganisation der Arbeiterpartei. 77 Opfer sind die entsetzliche Bilanz des Massakers.

    Nach dem Massaker von Breivik trifft Ministerpräsident Stoltenberg den Ton

    In dieser dramatischen Situation zeigt Stoltenberg, dass er nicht der kühle Technokrat ist, für den ihn viele halten. Er trifft den richtigen Ton, hält die schmale Linie zwischen Entschlossenheit und Empathie. Respekt und Achtung der Norweger sind ihm dafür bis heute gewiss. Doch die Politik ist schnelllebig, bei den Parlamentswahlen 2013 wird Stoltenberg abgewählt. Nur sechs Monate später der Neuanfang. Die damals noch 28 Nato-Mitglieder wählen den verheirateten Vater zweier Kinder zu ihrem Generalsekretär.

    Dass nun die Staatenlenker Schlange standen, Jens Stoltenberg davon zu überzeugen, seine Amtszeit erneut zu verlängern, ist ein Kompliment für dessen souveränen Führungsstil. Es liegt auf der Hand, dass ein Wechsel an der Spitze der Allianz in Zeiten des Krieges eine schwierige Operation wäre. Stoltenberg wird, wie keinem anderen zugetraut, die Mitgliedstaaten weiter bei der Stange zu halten, wenn es um die Unterstützung der Ukraine mit Waffen geht, ohne dass die Nato direkt in den Krieg verwickelt wird.

    Was kommt nach Nato-Chef Jens Stoltenberg?

    Doch am Horizont lauern bange Fragen zur Zukunft des Bündnisses. Wie geht es weiter, wenn sich der Ukraine-Krieg über Jahre hinzieht? Stoltenberg wird nicht ewig an der Spitze stehen. Doch auf welchen Kandidaten kann sich die heterogene Mitgliedschaft einigen? Gespräche im Hintergrund scheiterten kläglich. Schließlich wurde erneut Stoltenberg überredet. Wer weiß, vielleicht heißt es spätestens im September 2024 wieder: „Lieber Jens, nur noch ein letztes Jährchen.“

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