Es ist schon eine Weile her, dass in der wuchtigen amerikanischen Vertretung unweit des Brandenburger Tors ein Botschafter residierte. Der letzte Amtsinhaber Richard Grenell agierte eher wie Donald Trumps Statthalter in einer Kolonie. Als der Ex-Fox-News-Moderator im Juni 2020 Berlin verließ, hielt sich der Abschiedsschmerz auf beiden Seiten in engen Grenzen. Seither ist der Top-Posten bei einer der wichtigsten diplomatischen Missionen der USA verwaist.
Das dürfte sich bald ändern. Nach einer monatelangen Hängepartie hat der Senat das Berufungsverfahren für Joe Bidens Kandidatin Amy Gutmann abgeschlossen. Damit ist der Weg frei für die Bestätigung der 72-Jährigen.
US-Präsident Biden und Uni-Professorin Gutmann verbindet enge Freundschaft
Mit Gutmann kommt eine Vertraute des amerikanischen Präsidenten nach Deutschland, die sich in Herkunft, Habitus und Weltbild stark von ihrem Vorgänger Grenell unterscheidet. Die derzeitige Präsidentin der Elite-Universität von Pennsylvania hat deutsch-jüdische Wurzeln, wurde als Politikwissenschaftlerin mit zahlreichen Preisen ausgezeichnet und hat schon vor zehn Jahren ein Buch mit dem vielsagenden Titel: „Der Geist des Kompromisses – warum er zum Regieren nötig ist und Wahlkämpfe ihn untergraben“ geschrieben.
Das deckt sich auffällig mit den Überzeugungen des Präsidenten, der angetreten ist, das zerrissene Amerika zu einen und die beschädigten Beziehungen zu den Verbündeten wiederzubeleben. Biden, der privat wenige Kilometer jenseits der Landesgrenze von Pennsylvania in Wilmington (Delaware) lebt, und Gutmann kennen sich seit langem. Die Uni-Professorin habe ihm während der schwierigen Zeit nach dem Tod seines Sohnes Beau im Jahr 2015 beigestanden und „meinen Verstand gerettet“, hat Biden einmal gesagt. Nach dem Ende seiner Amtszeit als Vizepräsident der USA berief Gutmann den Politiker auf eine Ehrenprofessur, mit der dieser insgesamt 900.000 Dollar verdiente.
Persönliche Beziehung zu Deutschland
Der akademische Lebenslauf der Diplomatin ist makellos: Nach einem Studium an der London School of Economics promovierte sie 1976 an der Top-Universität Harvard. 2004 wurde sie als Präsidentin an die Universität von Philadelphia berufen, die ebenfalls zur Spitzenriege der US-Hochschulen gehört. Gutmann hat zahlreiche Bücher geschrieben und wurde 2018 vom Magazin Fortune als eine der 50 größten Führungspersönlichkeiten der Welt genannt.
Zu ihrem neuen Einsatzort hat Gutmann eine sehr persönliche Beziehung: Ihr Vater Kurt musste als orthodoxer Jude 1934 aus dem mittelfränkischen Feuchtwangen fliehen. Weil ihm die USA das Asyl verweigerten, ging er zunächst nach Indien und baute dort eine Metallfabrik auf. Bei einer Reise nach New York nach dem Krieg lernte er dort seine künftige Frau Beatrice kennen. Er zog nach Brooklyn, wo ein Jahr später Amy Gutmann geboren wurde.