Die Geschichte von Narendra Modi könnte ein indisches Märchen sein. Dass es der heutige Premierminister von 1,4 Milliarden Menschen an die Spitze der Regierung schaffen könnte, war zunächst völlig unwahrscheinlich. Denn Modi wurde 1950 in eine Familie hineingeboren, die einer niederen sozialen Kaste angehört.
Sein Vater hatte ein Lebensmittelgeschäft und betrieb einen kleinen Teestand. Zunächst sah es so aus, als würde sein Sohn in die Fußstapfen des Vaters treten. Mit seinem Bruder verkaufte Modi als Heranwachsender ebenfalls Tee. Danach ging er auf Sinnsuche, pilgerte in den Himalaya, wollte hinduistischer Mönch werden, wurde aber abgelehnt. Schließlich studierte er Politikwissenschaften, engagierte sich politisch und stieg in seiner Partei unaufhörlich auf – zunächst in der Provinz als Ministerpräsident, 2014 wurde er dann zum Premier gewählt. Erst da kam heraus, dass Modi bereits 1968 die spätere Lehrerin Jashodaben Modi geheiratet hatte. Die Ehe besteht aber wohl nur auf dem Papier, an der Seite ihres Mannes wurde Frau Modi nicht gesehen. Kinder haben sie nicht.
Narendra Modi versucht sich an einer Schaukelpolitik
Wie in vielen Märchen gibt es auch dunkle Schatten, die in Modis Geschichte auf den Helden selbst fallen. Schon als Schüler trat er einer nationalistischen, paramilitärischen Hindu-Organisation bei. In seiner Zeit als Chefminister des Bundesstaates Gujarat kam es zu einer brutalen Hatz auf Muslime, die eine Minderheit in Indien sind. Bis zu 2000 Menschen starben, ein Wort des Bedauerns über die Opfer gab es von Modi nicht. Legte man die moralisch strengen Maßstäbe an, die in Deutschland für Politiker gelten, wäre der 71-Jährige ein zweifelhafter Partner. Für den Westen aber ist er der Partner der Stunde: Indien kommt eine bedeutende Stellung zu im Versuch, Russland ökonomisch in die Knie zu zwingen. Denn kauft das Land mit seinem enormen Energiehunger die freiwerdenden Kapazitäten an Öl, Kohle und Gas auf, die Europa nicht mehr will, bekommt Putin weiter Milliarden zur Finanzierung seiner Kriegswirtschaft.
Modi versucht sich an einer Schaukelpolitik. Er fordert, dass die Waffen schweigen müssen, aber den Überfall Wladimir Putins auf die Ukraine verurteilt er nicht. „Es geht um den Einsatz von Dialog und Diplomatie zur Lösung von Problemen“, sagt er. Indien und Russland pflegen eine stabile Partnerschaft. Die Sanktionen werden von Neu-Delhi nicht mitgetragen.
Belehren lassen wollen sich die Inder von den Europäern nicht mehr. Gerade Deutschland ist hier in einer denkbar schwachen Position, brachte es sich doch selbst in eine schwierige Abhängigkeit von russischer Energie. Andererseits ist es Modis Bestreben, sein Land als größte Demokratie der Erde vom diktatorischen Konkurrenten China abzugrenzen. Der Premier versucht, auf dem schmalen Grat zwischen Russland und dem Westen zu wandeln.