Auch in der Politik trifft man sich immer mindestens zweimal im Leben. Bis zur Bundestagswahl war die Grünen-Abgeordnete Lisa Paus eine der schärfsten Kritikerinnen von Olaf Scholz. Ein Politiker mit zwei Gesichtern sei der, klagte sie da, und schon gar nicht der Reformer, als der er sich gerne gebe. Im Cum-Ex-Skandal etwa, einem komplizierten Verwirrspiel um milliardenschwere Aktiengeschäfte zulasten des Steuerzahlers, habe Scholz immer nur das zugegeben, was sich nicht mehr habe leugnen lassen. „So funktioniert das System Scholz“, warnte die Finanzpolitikerin Paus noch im August. „Spuren verwischen und Nebelkerzen werfen.“ Sogar als „Genossen der Banker“ hat sie den damaligen Finanzminister schon verhöhnt.
Nun sitzt ausgerechnet sie mit eben jenem Scholz am Kabinettstisch – als Nachfolgerin der zurückgetretenen Familienministerin Anne Spiegel. Unter dem Druck, eine schnelle Lösung finden zu müssen, hat sich die Grünen-Spitze für die 53-jährige Paus entschieden, eine Frau, die außerhalb ihres Fachgebietes und ihres Berliner Landesverbandes bisher nicht wirklich wahrgenommen wurde, obwohl sie bereits seit 2009 im Bundestag sitzt.
Lisa Paus ist eine Architektin der Kindergrundsicherung
Entsprechend groß war die Überraschung auch in weiten Teilen der Partei, als am Donnerstag zum ersten mal ihr Name fiel. Mag sein, dass sie nicht die erste Wahl von Robert Habeck und Annalena Baerbock war, die zentralen Kriterien der Grünen aber erfüllt Lisa Paus: Sie ist eine Frau, sie weiß als Mutter eines 13-jährigen Sohnes, was es heißt, Kinder großzuziehen - und sie gehört wie ihre Vorgängerin Spiegel dem linken Parteiflügel an, namentlich den als besonders links geltenden Grünen im Berliner Szeneviertel Friedrichshain-Kreuzberg, wo sie allerdings noch zu den eher gemäßigten Kräften gehört.
Außerdem ist die Ökonomin Paus eine der Architektinnen der sogenannten Kindergrundsicherung, die die Grünen in dieser Wahlperiode einführen wollen und die Kinder besser vor Armut schützen soll. In ihr sollen die bisherigen finanziellen Leistungen des Staates für Kinder gebündelt und durch einen Grundbetrag für alle Kinder ab der Geburt ersetzt werden. Andere Aspirantinnen, allen voran Katrin Göring-Eckart, mochten bekannter oder auch ehrgeiziger sein. Am Ende aber musste es um des grünen Betriebsfriedens willen eine Parteilinke werden – und das schränkte die Auswahl doch erheblich ein.
Lisa Paus' Lebensgefährte starb schon früh
Einen Namen in der Politik hat sich die Tochter einer Unternehmerfamilie, die im Emsland Bagger und Baumaschinen herstellt, bisher vor allem als Aufklärerin in der Cum-Ex-Affäre und im Untersuchungsausschuss gemacht, der das Wirecard-Debakel aufarbeiten sollte - beides Skandale, in denen die Rolle und die Verantwortung von Scholz bis heute nicht wirklich geklärt sind. Vor ihrem Einstieg in die aktive Politik hatte Lisa Paus ein freiwilliges soziales Jahr in einem Kinderheim absolviert, in Berlin Volkswirtschaft und Politik studiert und für einen grünen Europaabgeordneten gearbeitet. In der Partei lernte sie auch ihren späteren Lebensgefährten Dietmar Lingemann kennen, einen langjährigen Mitarbeiter der Grünen-Ikone Christian Ströbele. Lingemann starb 2013 an Krebs, seitdem weiß sie, wovon sie spricht, wenn sie mehr Unterstützung für alleinerziehende Mütter und Väter anmahnt, wohl wissend, dass sie sich als gut verdienende Abgeordnete in einer ungleich privilegierteren Lage befindet - einer Lage, die mit dem Leben der meisten anderen in Deutschland nicht viel zu tun habe, wie sie selbst sagt.
Vor ihrer neuen Aufgabe betont sie, habe sie einen Riesenrespekt. „Natürlich müsste ich erst mal drüber nachdenken“ räumt sie ein. Dann habe sie aber daran gedacht, dass sie zu den Grünen gekommen sei, weil sie eine „klare Feministin“ sei. Seit Jahren setze sie sich für die Gleichstellung ein und kämpfe für die Kindergrundsicherung. „Da ist es wirklich naheliegend, dem Ruf auch zu folgen.“ Und das mit Olaf Scholz, da ist die neue Ministerin sich sicher, wird sie auch noch hinbekommen. „Ich freue mich auf die Zusammenarbeit“, sagt sie nun, ganz diplomatisch. „Ich habe auch bereits mit ihm telefoniert und ich kann sagen: Wir freuen uns beide.“