Die Geschichte, die Gail Halvorsen zum Helden macht, beginnt mit zwei Streifen Kaugummi. Als der amerikanische Pilot sich dem Zaun nähert, der den Flughafen Tempelhof umgibt, rennen etwa 30 Kinder auf ihn zu. „Sie besaßen nichts mehr“, erinnert sich Halvorsen. „Viele hatten sogar ihre Eltern im Krieg verloren.“ Er selbst allerdings hat in diesem Moment auch nicht viel mehr in der Tasche als zwei Streifen Kaugummi, die er in kleine Stücke teilt und durch den Zaun reicht. Am nächsten Tag aber, verspricht er den Kindern, werde er Schokolade und Kaugummi aus seinem Flugzeug abwerfen.
Von da an ist Gail Seymour Halvorsen aus Salt Lake City im Bundesstaat Utah der Candy Bomber. Der Mann, der Berlin während der sowjetischen Blockade von Juni 1948 bis September 1949 nicht einfach nur mit Lebensmitteln versorgt, sondern auch an die Kinder der geschundenen Stadt denkt. Damit sie erkennen, in welcher Maschine er sitzt, wackelt er beim Anflug kurz mit den Tragflächen. Wenig später schweben an kleinen Fallschirmen Süßigkeiten zu Boden, teilweise bis zu 400 Kilo pro Tag.
"Rosinenbomber"-Pilot stirbt an einer Lungenentzündung
Nach Angaben seiner Familie ist der bis ins hohe Alter rüstige 101-jährige US-Amerikaner "recht überraschend" am Mittwochabend (Ortszeit) im US-Bundesstaat Utah gestorben. "Wir werden ihn sehr vermissen", sagte seine Tochter Denise Williams am Donnerstag der Deutschen Presse-Agentur.
Ihr Vater sei an einer Lungenentzündung gestorben, nachdem er sich schwer verschluckt habe. Noch zu Wochenbeginn habe er in Zoom-Treffen mit Schülern über seine Erlebnisse als Soldat bei der Berliner Luftbrücke gesprochen. "Er liebte es, Kindern davon zu erzählen und ihnen den Rat zu geben, immer ihr Bestes zu geben", sagte Williams.
2019 wurde in Berlin ein Park mit einem Baseball-Feld nach dem 98-Jährigen benannt, auch eine Schule trägt seinen Namen. Er selbst aber war keiner, der sich nach vorne drängt. „Ich fühle mich geehrt, mit wie viel Liebe und Begeisterung ich in Berlin empfangen werde“, sagte er dann. Und dass das ein gutes Gefühl sei. Er denke aber auch an die 28 Kollegen, die bei Unfällen während der Luftbrücke und den insgesamt fast 280.000 Versorgungsflügen ums Leben kamen.
Gail Halvorsen hat der Luftbrücke ein Gesicht gegeben
Wann immer „Candy Bomber“ Halvorsen in der Stadt war, in der er von 1970 bis 1974 auch Kommandant des Flughafens Tempelhof war, war ihm deren Aufmerksamkeit sicher. Viele ältere Berliner standen damals selbst zwischen den Trümmerbergen und haben auf die „Rosinenbomber“ gewartet, deren Piloten das positive Bild, das Deutschland lange Zeit von den USA hatte, vielleicht mehr geprägt haben als mancher amerikanische Präsident – und Gail Halvorsen ist bis heute der Amerikaner, der der Luftbrücke ein Gesicht gegeben hat, nämlich sein eigenes.
Warum er auch im hohen Alter noch so rüstig war, erklärt er mit seiner Herkunft – und seinem disziplinierten Lebensstil. „Ich komme vom Land“, erzählte der Sohn eines Farmers einst der Boulevardzeitung BZ. „Wir hatten damals nicht mal fließend Wasser im Haus, das hat mich fürs Leben gestählt.“ Außerdem habe er nie geraucht und auch keinen Alkohol getrunken.
Als er damit begann, aus seinem Flugzeug Süßigkeiten abzuwerfen, bekam Halvorsen übrigens Ärger mit seinem Kommandeur. Er solle lediglich Lebensmittelpakete abwerfen, verlangt der. „Aber er hat es mir nicht ausdrücklich verboten“, grinst Halvorsen. „Also habe ich weitergemacht.“