Radoslaw Sikorski wird keine nennenswerte Anlaufzeit benötigen: Neun Jahre nach dem Ende seiner ersten Amtszeit als polnischer Außenminister (2007 bis 2014) dürfte er in der Lage sein, jetzt an gleicher Position einen Blitzstart in der neuen Koalitionsregierung hinzulegen. Sikorski kennt die wichtigsten Akteure in der EU, gilt als exzellenter Kenner der USA. Er verfügt nicht nur über ein enges Netz aus Kontakten dorthin, er ist auch mit der prominenten amerikanisch-jüdischen Historikerin Anne Applebaum verheiratet. Das Paar hat zwei Söhne, besitzt ein Haus in den USA, lebt aber meistens in einem aufwendig renovierten Herrenhaus unweit von Sikorskis Geburtsstadt Bydgoszcz (deutsch Bromberg).
Sikorskis bewegte Vergangenheit: vom Kriegsreporter zum Minister
Sikorski, der in diesem Jahr 60 Jahre alt geworden ist, blickt auf ein bewegtes, ja spektakuläres Leben zurück. Schon als Abiturient beteiligte er sich am Widerstand der Gewerkschaft Solidarność gegen das kommunistische Regime. Als 1981 das Kriegsrecht verhängt wurde, fand Sikorski politisches Asyl in Großbritannien. Dort studierte er Philosophie und Politik an der Universität Oxford, bevor er Mitte der 1980er-Jahre als Journalist arbeitete. Insbesondere seine Reportagen und Fotos aus dem Krieg in Afghanistan fanden international Beachtung.
Nach seiner Rückkehr im Jahr 1990 in die Heimat – Polen hatte sich inzwischen zu einer Demokratie entwickelt – machte er Karriere in der Politik. Zunächst sympathisierte Sikorski mit der nationalkonservativen PiS-Partei der Gebrüder Jaroslaw und Lech Kaczynski. Als Verteidigungsminister stach der weltgewandte und eloquente Politiker im Kabinett heraus, nach einem Streit mit Jaroslaw Kaczynski trat er jedoch 2007 zurück, um nach den Neuwahlen das Außenministerium unter Ministerpräsident Donald Tusk zu übernehmen.
Polens neuer Außenminister Sikorski fordert mehr deutsche Verantwortung in Europa
Unermüdlich trommelt Sikorski dafür, dass Deutschland in Europa mehr Verantwortung übernimmt – politisch, aber auch militärisch. Umso härter, ja vernichtend fällt seine Kritik aus, wenn er mit dem Nachbarn hadert: 2006 bezeichnete er die Pipeline Nord Stream 1 durch die Ostsee als Neuauflage des Ribbentrop-Molotow-Pakts von 1939 zwischen Nazi-Deutschland und der Sowjetunion.
Kritiker werfen Radoslaw ein bisweilen etwas überschießendes Selbstbewusstsein vor, das ihn anfällig für zugespitzte, auch verletzende Äußerungen macht. Eine Eigenschaft, die Tusks Ziel, die gesellschaftliche Spaltung in Polen zu überwinden, unterminieren könnte.