Wenn Politikerinnen und Politiker sich bei Terminen in der Natur präsentieren, wirken sie nicht selten irgendwie verkleidet, verraten nagelneue Funktionsklamotten und Trekking-Schuhe, dass sie sich eigens für den Anlass ausstaffiert haben. Die braunen Wanderstiefel an den Füßen von Steffi Lemke sind dagegen gut eingetragen. Und die weiße Bluse trägt sie eher nicht aus modischen Gründen, sondern weil helle Kleidung lästige Bremsen und Sonnenstrahlen weniger anzieht.
Während sich im Hintergrund zahlreiche Windräder drehen, steht die Bundesumweltministerin auf einem Stoppelfeld in der fruchtbaren Magdeburger Börde. Sie ist wegen der Feldhamster gekommen, die es hier gibt - noch. Denn die possierlichen Nager sind ganz akut vom Aussterben bedroht. Weil jedes Tier in seinem unterirdischen Bau mehrere Kilo Getreide für den Winter bunkert, wurden die Hamster bis vor wenigen Jahrzehnten erbarmungslos mit Fallen gejagt. Eine immer intensivere Landwirtschaft tat ihr Übriges, um die Bestände seit den 1950er Jahren um geschätzte 99 Prozent zu dezimieren.
In der Ukraine tobt der Krieg, hier kümmert sich Steffi Lemke um den Feldhamster
Nur rund 10.000 bis 50.000 Tiere gibt es noch in Deutschland. Besonders viele davon leben in Sachsen-Anhalt, der Heimat der Grünen-Politikerin mit der zurückhaltenden, manchmal fast spröden Art. Lemke ist auch nach einem Dreivierteljahr im Ampel-Kabinett noch wenig bekannt in der Bevölkerung. Während ihre grünen Ministerkollegen Annalena Baerbock und Robert Habeck in der Öffentlichkeit sofort Aufsehen erregen, kann Lemke noch inkognito Bahn fahren, auch dank der Corona-Maskenpflicht wird sie selten erkannt, was ihr ganz recht ist. Dabei ist sie schon lange im Polit-Geschäft, war unter anderem Grünen-Bundesgeschäftsführerin, eine Position, die in anderen Parteien Generalsekretärin heißt.
Die Liebe zur Natur hatte sie einst in die Politik geführt, in der damaligen DDR engagierte sie sich in der Bürgerbewegung und geriet ins Visier der Stasi. Auf ihrer Sommerreise mit der Hauptstadtpresse kehrt die 54-Jährige Dessauerin zu ihren Ursprüngen zurück. Doch der Termin im "Feldhamsterland" sorgt bei manchen Journalisten zunächst für etwas Stirnrunzeln: Gibt es angesichts des Ukraine-Krieges und der Sorgen vieler Bürger vor explodierenden Energiepreisen im Winter nichts Wichtigeres?
"Artenschutz und Klimaschutz sind zwei Seiten derselben Medaille"
Lemke, in deren Ressort auch der Verbraucherschutz fällt, versucht erst gar nicht, irgendeinen bemühten Bezug zwischen dem kleinen Tier und der großen Weltlage herzustellen. Kein Wort etwa über die Sinnhaftigkeit von "Hamsterkäufen". Der Hamster müsse auch nicht gerettet werden, weil er so niedlich sei, jedes Tier und jede Pflanze habe eine ganz eigene Berechtigung im Ökosystem. "Klassischer Artenschutz und Klimaschutz sind zwei Seiten derselben Medaille", sagt sie. Werde der Hamster geschützt, dann nutze das auch den Insekten, den Vögeln und den Wildpflanzen.
In der Natur, das ist ihr Credo, hat alles mit allem zu tun und wenn etwas aus dem Gleichgewicht gerät, dann schade das am Ende dem Menschen. Tierarten wie der Feldhamster oder die Mopsfledermaus, deren Schutz mitunter mit geplante Neubau- oder Industriegebieten kollidiert, dürften nicht instrumentalisiert werden als Beweis für eine vermeintliche Unvereinbarkeit von Wirtschaft und Natur, so Lemke. Vielleicht soll das so etwas wie eine verklausulierte Absage sein an die gerade oft zu hörenden Forderungen, dass der Umweltschutz nun aber mal zurückstehen müsse vor der Sicherung der Versorgung mit Energie und Lebensmitteln.
Steffi Lemke weiß, wie schlecht es gerade um die Welt bestellt ist. Aber sie glaubt, dass sie noch zu retten ist und weiß, dass dazu unzählige kleine Maßnahmen nötig sind. Dem Feldhamster, so erklären örtliche Naturschützer, hilft es etwa, wenn die Bauern den Roggen bei der Ernte kurz unter der Ähre abmähen und die Halme stehen lassen. Das biete den Hamstern Schutz vor Fuchs und Rotmilan. Während des Winterschlafs der Tiere wird der Acker ganz in Ruhe gelassen. Die Landwirte bekommen einen finanziellen Ausgleich für den Mehraufwand.
Umweltministerin Lemke und die Landwirte: Eine Ministerin vom Fach
Lemke setzt auf ein offenes Miteinander mit den Besitzern der Felder, ohne die nichts geht. Beim Fachsimpeln mit den kantigen Landwirten, die sich als Kinder noch das Taschengeld mit der Hamsterjagd aufbesserten und heute bei Schutzprojekten mitmachen, wirkt die Ministerin entspannt. Schließlich ist sie vom Fach, absolvierte einst eine Ausbildung in der Tierproduktion, bei der sie Melken lernte, bevor sie in Berlin Agrarwissenschaften studierte. Sesshaft geworden ist sie bis heute nicht in der Hauptstadt, die geschiedene Mutter eines Kindes lebt weiter in Dessau. Ihre Freizeit verbringt sie am liebsten im Garten oder im Paddelboot auf den Flussläufen im Biosphärenreservat Mittelelbe.
Doch dafür bleibt ihr als Ministerin kaum mehr Zeit. Viele der Krisen, die sie gerade beschäftigen, haben auf die eine oder andere Weise mit Wasser zu tun. Historisch niedrige Pegelstände im Rhein, Dürre und Wasserknappheit fast im ganzen Land. Wegen der Umweltkatastrophe in der Oder, bei der Millionen Fische aus noch nicht vollständig geklärter Ursache verendeten, reiste sie spontan nach Polen, ließ ihre übliche Zurückhaltung fallen, als sie die dortigen Verantwortlichen scharf kritisierte, weil diese die deutsche Seite so spät informierten.
Wasserknappheit, Flutdesaster, Hilfspakete: Lemke hütet sich vor leeren Versprechungen
Im Augenblick arbeitet das Umweltministerium mit Hochdruck an der künftigen Wasserstrategie, die Grundlage für einen schonenderen Umgang mit der lebenswichtigen Ressource werden soll. Dabei soll auch die Gefahr gebannt werden, dass zu viel Wasser zu Flutdesastern wie im vergangenen Jahr im Ahrtal führt. Für all das hat das Umweltressort nur begrenzte Mittel, der Etat von 2,66 Milliarden Euro nimmt sich im Vergleich zum Umfang der gewaltigen Hilfspakte gegen die Folgen von Corona und Ukraine-Krieg bescheiden aus. Auch darum liegt es Lemke fern, Dinge anzukündigen, die sich kaum realisieren lassen oder Forderungen aufzustellen, die gar nicht in ihren Zuständigkeitsbereich fallen.
Fast stur widersteht sie auch der Versuchung, ihre Anliegen nach Popularität auszuwählen. Einen besseren Schutz der Moore hat sie als eines der Hauptziele ihrer Amtszeit ausgerufen. Nicht gerade zur Begeisterung der Leute in ihrer Pressestelle, die warnten, dass das nicht gerade ein öffentlichkeitswirksames Thema sei. Lemke ließ sich nicht beirren und dringt inzwischen durch mit ihrer Botschaft, dass die Moore gewaltige Mengen an Treibhausgasen speichern und damit ganz erheblich zum Klimaschutz beitragen. Vielleicht ist das der Kern der Überzeugung von Steffi Lemke: Dass zum großen Ziel, den Planeten zu retten, viele kleine Schritte führen - zu denen auch die Hilfe für den bedrohten Feldhamster gehört.