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Porträt: Christine Lambrecht – eine Ministerin im Selbstverteidigungs-Modus

Porträt

Christine Lambrecht – eine Ministerin im Selbstverteidigungs-Modus

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    Verteidigungsministerin war nicht ihr Wunschjob: Christine Lambrecht.
    Verteidigungsministerin war nicht ihr Wunschjob: Christine Lambrecht. Foto: Christophe Gateau, dpa

    Eigentlich hatte Christine Lambrecht der Politik den Rücken kehren wollen. Zur Bundestagswahl im September kandidierte die 57-Jährige schon gar nicht mehr. Die SPD stand in den Umfragen mies da. Dann griff der Scholz-Effekt und Lambrecht verkündete den Rückzug vom Rückzug. Dass sie am Ende Verteidigungsministerin werden sollte, ahnte sie seinerzeit aber nicht. Heute womöglich könnte die SPD-Frau es schon wieder bereuen, nicht in den Ruhestand gegangen zu sein.

    Lambrechts Start ins neue Amt gestaltete sich holprig

    Die höchste Vorgesetzte aller Soldatinnen und Soldaten müsste sich wegen des nahen Krieges in der Ukraine um die Verteidigungsfähigkeit Deutschlands kümmern. Im Moment allerdings sieht sich die SPD-Politikerin vor allem zur Selbstverteidigung genötigt. Schon die Amtsübergabe im Bendlerblock missriet der ehemaligen Justizministerin. Vorgängerin Annegret Kramp-Karrenbauer (CDU) war nicht eingeladen. Hochrangige Beamte erfuhren praktisch über Nacht, dass sie ihren Schreibtisch zu räumen hätten. Lambrecht brachte ihre eigenen Leute mit in den Dienstsitz am Berliner Landwehrkanal – die Neuen plädierten für Gender-Sternchen und brachten damit die Sterne-Generäle in den Kasernen nachhaltig gegen sich auf.

    Als der Krieg in der Ukraine ausbrach, sagte Lambrecht 5000 Helme zu. Das war sicherlich gut gemeint, kam in der Öffentlichkeit aber ebenso schräg rüber wie die Lieferung überwiegend schrottreifer Raketen aus NVA-Beständen ins Kriegsgebiet. Am Montag versprach sich die gebürtige Mannheimerin, stellte in Aussicht, dass Deutschland das militärische Herzstück der neuen europäischen Eingreiftruppe stellen werde. Ihr Ministerium korrigierte umgehend: Nicht 5000, sondern lediglich bis zu 2000 Soldatinnen und Soldaten wird Deutschland bis zur Indienststellung im Jahr 2025 abstellen.

    Mehr hätte Lambrecht auch wohl gar nicht zur Verfügung, die Truppe ist allenfalls bedingt einsatzbereit, und da ist die Ministerin schon bei ihrem nächsten Problem: Die 100 Milliarden Euro Sondervermögen für die Bundeswehr, die Kanzler Olaf Scholz (SPD) der Öffentlichkeit versprochen hat, um Deutschland gegen mögliche Angriffe der Russen zu wappnen.

    Das neuste Problem: die versprochenen 100 Milliarden Euro Sondervermögen

    Nicht nur, dass sich in der eigenen Partei, der zuletzt schon das Zwei-Prozent-Ziel der Nato zu weit ging, Protest gegen die plötzliche Aufrüstung regt. SPD, Grüne und FDP brauchen für die angestrebte Grundgesetzänderung, mit der das Sondervermögen in der Verfassung verankert werden soll, die Stimmen der Union. CDU/CSU-Fraktionschef Friedrich Merz (CDU) und CSU-Landesgruppenchef Alexander Dobrindt wittern Tricksereien, unterstellen, das Geld solle nicht allein für die Bundeswehr, sondern auch für andere Regierungsvorhaben verwendet werden. Beide fordern Präzisierungen, drohen anderenfalls mit Stimmverweigerung.

    Merz will die Ampel testen und bei der Abstimmung über die Verfassungsänderung nur so viele Abgeordnete der Union schicken, dass die Ampel für die Zwei-Drittel- Mehrheit jede Stimme aus ihren drei Fraktionen braucht. Dezidiert linke Abgeordnete von SPD und Grünen steckten dann in einem Dilemma.

    Lambrechts Aufgabe wird es sein, das Geld sinnvoll einzusetzen, sollte es der Bundestag bewilligen. Die Ampel-Liste der Anschaffungswünsche umfasst gar 103 Milliarden Euro. Die Ministerin muss sie zurechtkürzen und prüfen, was vorrangig angeschafft werden soll und was weniger dringend ist. Ihre Leute im Ministerium priorisieren gerade sämtliche Rüstungsprojekte neu, darunter auch die bereits beschlossenen. Lambrechts Problem: Die 100 Milliarden sollen einer Bundeswehr zufließen, die mitten in der Reform des Beschaffungswesens steckt.

    Auf Unterstützung aus dem Kanzleramt kann Lambrecht nicht hoffen

    In Zukunft soll Schluss sein mit maßgeschneiderten Bestellungen. Lambrecht will Waffen, Flugzeuge und Panzer von der Stange bestellen und auf teure Sonderwünsche der Truppe verzichten – das sei billiger und gehe schneller, sagt sie. Die Rechtsanwältin weiß aber um die Behäbigkeit eines Beamtenapparats, der schon die Bestellung von Sandsäcken und Taschenmessern mühelos auf Jahre hinauszögern kann. Wäre der Ukraine-Krieg nicht ausgebrochen, hätte Lambrecht den von AKK begonnenen Reformprozess fortsetzen können. Jetzt muss sie sich irgendwie durchwurschteln.

    Viel Unterstützung von ihrem Regierungschef bekommt Lambrecht dabei nicht. Kanzler Scholz hat sie zwar beispielsweise zu einem Treffen mit Generalinspekteur Eberhard Zorn eingeladen, bei dem über das Bundeswehr-Vermögen geredet werden soll. Bei einem Treffen zu einem weiteren wichtigen Thema wurde sie nach Informationen unserer Redaktion am Mittwoch indes nicht ins Kanzleramt bestellt: Der Bundestag muss bald über die Verlängerung der Bundeswehr-Einsätze in Mali abstimmen, im Kanzleramt gab es dazu Redebedarf.

    Womöglich wird Lambrecht den Job bald los. Im Herbst 2023 sind Landtagswahlen in Hessen. Es hält sich das Gerücht, Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) werde als Spitzenkandidatin antreten und das Amt der Parteifreundin Lambrecht überlassen. Die wäre dann auf dem Posten, den sie eigentlich haben wollte.

    Alle Informationen zum Konflikt erfahren Sie jederzeit in unserem Live-Blog zum Krieg in der Ukraine.

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