Mit über 500 Bundespolizisten sind Ermittler einem von Kurden aus dem Irak betriebenen Schleusernetzwerk zu Leibe gerückt, das irreguläre Migranten in einfachen Schlauchbooten über den Ärmelkanal schickt. Schwerpunkte des internationalen Polizeieinsatzes, der in den frühen Morgenstunden begann, waren Nordrhein-Westfalen und Baden-Württemberg.
Die gesuchten Tatverdächtigen sollen Migranten aus dem Mittleren Osten und Ostafrika «in kleinen minderwertigen Schlauchbooten» von Frankreich nach Großbritannien geschleust haben, wie eine Sprecherin der Bundespolizei der Deutschen Presse-Agentur in Düsseldorf sagte. Zuvor hatte die «Bild» berichtet. Durchsucht wurden mehrere Häuser und Lagerräume.
Die Schleuser sollen sich die für die gefährliche Überfahrt genutzten Boote beziehungsweise Bauteile dafür in Deutschland teilweise illegal beschafft haben. Deshalb geht es wohl nicht nur um Schleusung, sondern auch um andere Delikte wie Raub und Diebstahl. Aktenkundig wurden nach Angaben aus Sicherheitskreisen auch Fälle, in denen Migranten von Mitgliedern des Netzwerks mit Waffen bedroht wurden.
Haftbefehle aus Frankreich
Ausgangspunkt der Großrazzia waren laut Bundespolizei französische Ermittlungen. Die Haftbefehle stammen demnach von einem Gericht in Lille. Die Bundespolizei in NRW sei gebeten, hier mehr als zehn europäische Haftbefehle zu vollstrecken - «soweit wir die Leute antreffen», sagte die Sprecherin. Dabei gehe es sowohl um Drahtzieher als auch einfache Mitglieder des Netzwerks.
Der Großeinsatz wurde demnach von den europäischen Behörden Europol und Eurojust koordiniert. In NRW waren nach Angaben der Bundespolizei in Sankt Augustin auch mehr als 20 französische Ermittler sowie drei Europol-Experten dabei. Bekannt wurde, dass unter anderem Gelsenkirchen zu den Einsatzorten gehört haben soll.
Immer wieder Tote im Ärmelkanal
Erst im Februar hatte es in vier Bundesländern einen großen Polizeieinsatz gegen ein irakisch-kurdisches Schleusernetzwerk gegeben. Schwerpunkt war wiederum NRW. Damals waren 19 mutmaßliche Schleuser festgenommen worden. Seit Jahren überqueren Migranten in großer Zahl von Nordfrankreich aus den Ärmelkanal, um Großbritannien zu erreichen. Der britischen Nachrichtenagentur PA zufolge kamen auf diesem Weg in diesem Jahr bisher mehr als 33.000 Menschen an.
Schleuser pferchen die Menschen auf überfüllte Schlauchboote. Immer wieder kommt es vor, dass diese bei der gefährlichen Überfahrt kentern. In diesem Jahr kamen auf diese Weise nach Polizeiangaben bereits mindestens 72 Migranten ums Leben, wie die Zeitung «Le Parisien» im vergangenen Monat berichtet hatte.
Neue Regierung in London will Grenzschutz ausbauen
Großbritanniens frühere konservative Regierung hatte Menschen von der Überfahrt abhalten wollen, indem sie Migranten drohte, sie ohne Ansehen ihrer Herkunft nach Ruanda abzuschieben, um dort ein Asylverfahren zu durchlaufen. Gerichte und Menschenrechtsorganisationen kritisierten den Plan scharf.
Die neue britische Regierung von Premierminister Keir Starmer schlägt einen anderen Weg ein. Sie plant den Grenzschutz auszubauen und will stärker als bisher gegen Schleuserbanden vorgehen.
Warum Boote aus Deutschland beschafft werden
Mit einem grenzüberschreitenden Großeinsatz hatten Ermittler in fünf Ländern bereits 2022 Schleuser einer Bande festgenommen, die Tausende Menschen in Schlauchbooten über den Ärmelkanal geschmuggelt hatte. Damals waren bei Durchsuchungen in Deutschland neben zahlreichen Schlauchbooten und Motoren große Mengen Bargeld sowie Schusswaffen entdeckt worden.
Im Norden Frankreichs muss man beim Kauf bestimmter Boote und Bootsmotoren seit einigen Jahren einen Ausweis vorgelegen und eine Telefonnummer angeben. Diese Vorschrift war als Maßnahme gegen die Schleusungen nach Großbritannien erlassen worden. Daher wichen die Schleuser für die Beschaffung der Boote unter anderem nach Deutschland aus.
«Die heutigen Razzien und Festnahmen sind ein erneuter harter Schlag gegen die brutale internationale Schleuserkriminalität», sagte Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD). «Wir haben es hier mit gefährlichen, oftmals bewaffneten Tätern zu tun», fügte sie hinzu. Faeser verwies auf ein Treffen der Innenministerinnen und Innenminister der sogenannten Calais-Gruppe am kommenden Dienstag in London. Dort werde man weitere Maßnahmen gegen die Schleuserkriminalität besprechen. Zur «Calais-Gruppe» gehören Großbritannien, Frankreich, Deutschland, die Niederlande und Belgien.
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