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Politik: Der Unvollendete: Oskar Lafontaine wird 80

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Der Unvollendete: Oskar Lafontaine wird 80

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    «Schon seit Langem befinden wir uns in einer Phase, in der Russland und China militärisch von den USA eingekreist werden», sagt Oskar Lafontaine in einem Interview.
    «Schon seit Langem befinden wir uns in einer Phase, in der Russland und China militärisch von den USA eingekreist werden», sagt Oskar Lafontaine in einem Interview. Foto: Oliver Dietze/dpa

    Lange gefackelt hat Oskar Lafontaine nie. Als er Im November 1995 zum Parteitag der SPD nach Mannheim fährt, sitzt sein Frust über den ihm viel zu biederen Vorsitzenden Rudolf Scharping zwar tief – aber er hat nicht vor, ihn zu stürzen. Zurück ins Saarland allerdings fährt Lafontaine dann doch als neuer SPD-Chef. Handstreich, Putsch, Intrige? Wie immer man es nennt: Die SPD wählt zum ersten Mal in ihrer Geschichte ihren Vorsitzenden ab. Es soll das Ende eines Richtungsstreits ein, der keine vier Jahre später allerdings erneut eskaliert.

    Im Kabinett war Oskar Lafontaine nur die Nummer drei

    Gerne wäre Lafontaine, der an diesem Samstag 80 Jahre alt wird, 1998 noch einmal Kanzlerkandidat geworden, acht Jahre nach seinem ersten, erfolglosen Anlauf. Die Popularitätswerte und die Wahlergebnisse seines alten Rivalen aber sind so eindeutig, dass er Gerhard Schröder den Vortritt lassen muss. Der wird Kanzler, Parteichef Lafontaine greift sich das Finanzministerministerium – und erkennt dort schnell, dass er nach Schröder und Joschka Fischer allenfalls die Nummer drei im Kabinett ist und nicht der Nebenkanzler. Nach nur 148 Tagen im Amt lässt er deshalb am Nachmittag des 11. März 1999 einen Boten einen Brief im Vorzimmer Schröders abgeben "Für Herrn Bundeskanzler – persönlich" steht darauf. "Sehr geehrter Herr Bundeskanzler", heißt es darin, "ich trete hiermit als Bundesminister der Finanzen zurück. Mit freundlichen Grüßen, Oskar Lafontaine".

    Lang ist's her: Der damalige SPD-Kanzlerkandidat Gerhard Schröder (r) und der damalige SPD-Chef Oskar Lafontaine bei der Wahlkampfabschlussveranstaltung ihrer Partei 1998.
    Lang ist's her: Der damalige SPD-Kanzlerkandidat Gerhard Schröder (r) und der damalige SPD-Chef Oskar Lafontaine bei der Wahlkampfabschlussveranstaltung ihrer Partei 1998. Foto: Peer Grimm/Zentralbild, dpa

    Der Rest ist ein turbulentes Stück deutscher Nachkriegsgeschichte. Lafontaine, in der SPD immer deutlich weiter links stehend als Schröder, zieht sich zurück in seine saarländische Heimat, zeigt sich tags darauf noch einmal kurz mit Sohn Carl-Maurice auf der Schulter den vor seinem Haus wartenden Fernsehkameras – und schweigt erst einmal. Einer wie er aber, der schon mit 33 Jahren Oberbürgermeister in Saarbrücken war, 13 Jahre Ministerpräsident und Vorsitzender zweier Parteien, kann nicht ohne die Politik. Zumindest nicht lange. Nach dem Attentat im Wahlkampf 1990, als er durch einen Messerstich lebensgefährlich verletzt wird, hat er deshalb weitergemacht. Und als die Proteste gegen Schröders Sozialreformen viele SPD-Linke und Gewerkschafter in die neue Wahlalternative Arbeit und Soziale Gerechtigkeit treiben, die später mit der ostdeutschen PDS zur Linkspartei verschmilzt, ist auch Lafontaine mit dabei. Mit Temperament und populistischem Geschick wird er dort zum Frontmann einer neuen Fundamentalopposition.

    Auch aus der Linkspartei ist Lafontaine wieder ausgetreten

    Lafontaine habe sich entschlossen, bewusst außerhalb zu stehen, sagt sein neuer Mitstreiter Gregor Gysi damals über ihn. "Auf Ausgrenzung ist er eingestellt." Für die Sozialdemokraten ist der gelernte Physiker ein Paria, der die Partei mit seiner Flucht aus der Verantwortung nachhaltig geschwächt hat, auch in der Linkspartei fremdeln die Genossen aus dem Osten mit seiner dominanten Art, nur Lafontaine selbst lässt sich nicht beirren. Wer linke Politik mache, sagt er, schwimme zwangsläufig gegen den Strom. Mittlerweile hat er allerdings auch der Linken wieder den Rücken gekehrt, so wie es seine Frau Sahra Wagenknecht womöglich auch bald tun wird, um eine neue Partei zu gründen.

    "Es gibt eine echte Lücke im deutschen Parteiensystem", sekundiert Ehemann Lafontaine, der Willy Brandt heute noch seinen politischen Ziehvater nennt. Er habe versucht, durch die Gründung der Linkspartei "die Politik der SPD zu verändern und längerfristig beide Parteien wieder zusammenzuführen. Dieser Versuch ist leider gescheitert." Den Vorwurf, er habe die Linkspartei nur gegründet, um sich an der SPD zu rächen, lässt er nicht gelten.

    Mit Schröder hat er sich ausgesprochen

    Mit Schröder hat er sich nach 24 Jahren Funkstille im Frühjahr ausgesprochen. Auch sonst muss man sich Oskar Lafontaine, in vierter Ehe verheiratet und Großvater von drei Enkelkindern, offenbar als zufriedenen Menschen vorstellen. Er radelt viel mit dem E-Bike durchs Saarland, sammelt Pilze und verarbeitet sie anschließend in seiner Küche, vorzugsweise Steinpilze, Schirmpilze und Morcheln. Sein letztes politisches Mandat, das des Fraktionsvorsitzenden der Linken im Saarland, hat er im vergangenen Jahr aufgegeben, als er zur Landtagswahl nicht mehr antrat. Wenig später trat er sogar aus der Partei aus, ein Unsteter, noch immer, ein Unvollendeter vielleicht auch, in jedem Falle aber einer, der die deutsche Nachkriegspolitik über Jahrzehnte mit geprägt hat. Motto: "Mein Herz schlägt links."

    Wenn er zurückblicke, dann überwiege bei ihm "ein Gefühl der Dankbarkeit", sagt er im Gespräch mit der Deutschen Presseagentur. Dankbar sei er dabei jenseits allen Politischen auch dafür, dass er anders als in seiner Kindheit als Sohn einer Kriegerwitwe in seinem späteren Leben keine materiellen Probleme gehabt habe. "Das ist ja ein unglaubliches Geschenk. Das empfinde ich als Gnade."

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