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Foto: Kay Nietfeld. dpa
Foto: Kay Nietfeld. dpa

Als Verteidigungsministerin musste sie zurücktreten, doch ihre Reden waren gut verständlich: Christine Lambrecht (SPD).

Politik
27.03.2023

So (un-)verständlich sind Reden im Bundestag

Von Margit Hufnagel

In den Reden der Bundestagsabgeordneten wimmelt es vor unverständlichen Begriffen. Welche Ansprachen Wissenschaftler für am verständlichsten halten.

Wissen Sie, was ein Onshorewind ist? Was sich hinter einer Opt-out-Lösung verbirgt? Wofür die Abkürzung KTF steht? Alle drei Begriffe fanden Einzug in die Reden von Politikern, für die Mehrheit der Bevölkerung dürften sie dennoch unverständlich bleiben. Dabei ist die Sprache eines der wichtigsten Instrumente der Politik: Nur wenn sie sich den Wählerinnen und Wählern erklären kann, werden die auch die demokratische Diskussion mitverfolgen. Nur wenn Sprache klar ist, werden politische Entscheidungen auch gut nachvollziehbar. Deshalb untersucht die Universität Hohenheim die Verständlichkeit von Reden, die im Bundestag gehalten wurden.

Reden im Bundestag: Schwer zu verstehen?

Das Urteil fällt zumindest durchwachsen aus: „Im Schnitt sind die Haushaltsreden etwas verständlicher als die Reden der Vorstandsvorsitzenden auf den Jahreshauptversammlungen der DAX-40-Unternehmen. Dennoch ist bei einigen noch Luft nach oben“, sagt Frank Brettschneider, Kommunikationsexperte und Co-Autor der Studie. Fremdwörter, Bandwurmsätze, „Denglisch“, Wortungetüme – Gründe, warum Reden unverständlich werden, gibt es viele.

96 Ansprachen hörten sich die Studien-Autoren an. Von allen Kabinettsmitgliedern hielt die inzwischen zurückgetretene Verteidigungsministerin Christine Lambrecht die formal verständlichste Rede, dicht gefolgt von Forschungsministerin Bettina Stark-Watzinger. Bei Lambrecht ist das auf eine relativ niedrige Komplexität auf Wort- und Satzebene zurückzuführen. Stark-Watzingers Rede enthält zwar den höchsten Anteil abstrakter Substantive. Dafür ist die Rede aber in kurze, übersichtliche Aussagen gegliedert. Auf Platz 3 liegt Gesundheitsminister Karl Lauterbach, knapp vor Wirtschaftsminister Robert Habeck. Den letzten Platz belegt die Rede von Umweltministerin Steffi Lemke. Von allen Politikern hielt Gesine Lötzsch die formal verständlichste Rede.

Wissenschaftler beklagen Trend zum "Denglisch"

Es gibt einen Trend, den das Team beklagt: immer mehr „Denglisch“, also das Mischen von deutscher und englischer Sprache. Von „Gamechanger-Instrumenten“ ist da die Rede oder vom „out-of-the-box-denken“. Das Englische sickert immer tiefer ins Deutsche ein, wie auch die Neuaufnahmen von Wörtern im Duden zeigen. Auch Bandwurmsätze erschweren das Lesen massiv. Die Afd-Politikerin Alice Weidel wird in der Studie mit einem Satz zitiert, der aus 157 Wörtern besteht. Zum Vergleich: in der Literatur umfassen Sätze häufig zwischen 15 und 20 Wörtern, im Marketing – also da, wo die Botschaft hängenbleiben soll – sind es sogar nur 10 Wörter. 

Zu den häufigsten Verstößen gegen die Verständlichkeitsregeln zählt Brettschneiders Team auch „Wortungetüme“: lange, zusammengesetzte Wörter, die gerne für Gesetze bemüht werden. Als Beispiel werden das "Bundeswehrbeschaffungsbeschleunigungsgesetz" oder das „SprinD-Freiheitsgesetz“ genannt.

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Gaddafi trieb seinen Übersetzer zur Verzweiflung

„Die von uns gemessene formale Verständlichkeit ist natürlich nicht das einzige Kriterium, von dem die Güte einer Rede abhängt“, stellen die Studien-Autoren klar. „Deutlich wichtiger ist der Inhalt. Unfug wird nicht dadurch richtig, dass er formal verständlich formuliert ist. Und unverständliche Formulierungen bedeuten nicht, dass der Inhalt falsch ist. Formale Unverständlichkeit stellt aber eine Hürde für das Verständnis der Inhalte dar.“ 

Das erlebte einst auch der libysche Staatschef Muammar al-Gaddafi. In einer wirren Ansprache vor der UN-Vollversammlung in New York redete er sich im Jahr 2009 derart in Rage, dass ein arabischer Übersetzer mittendrin entnervt aufgab. Nach 75 Minuten habe er gerufen „Ich kann nicht mehr“, berichtete die New York Post. Die Chefin der Arabisch-Übersetzer bei den Vereinten Nationen, Rasha Ajalyaqeen, sei ihm zu Hilfe geeilt und habe die letzten 20 Minuten der Rede übernommen. Gaddafis Dolmetscher sei „einfach zusammengebrochen“, sagte einer seiner Kollegen der Zeitung. So etwas habe er in 25 Jahren zum ersten Mal gesehen. (mit dpa)

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