Jaroslawa Kuman und ihre beiden Freundinnen, alle im Rentenalter, werden bei den Wahlen am 15. Oktober für das Oppositionsbündnis „Bürgerkoalition“ stimmen. „Ich will vor allem Normalität, die Rechtsstaatlichkeit soll wieder her“, so Kuman. Das Trio ist in ihrer Heimatstadt Minsk Mazowiecki, ein Ort mit 40.000 Einwohnern, unterwegs zur „Grundschule Nr. 3“ – dort tritt Donald Tusk auf, Ex-Regierungschef, Ex-Europapolitiker und vielleicht, so hoffen sie, bald wieder als Premierminister im Amt.
Für ihn stimmen sie auch aus Furcht vor der Regierungspartei „Recht und Gerechtigkeit“ (PiS), die zum dritten Mal in Folge gewinnen will. „Dann werden meine Enkel ins Flugzeug steigen und emigrieren, eine gute Ausbildung haben sie ja“, sagt Kumans Begleiterin, die anonym bleiben möchte. „Die PiS-Anhänger werden hier in der Stadt immer aggressiver“, sagt Kuman, während sie sich am Eingang zur Grundschule einen Herz-Aufkleber geben lässt, das Logo der Kampagne.
Donald Tusk ist in Polen auch ein Hoffnungsträger
In der Sporthalle der Schule läuft polnischer Pop aus den 80er-Jahren – Musik aus einer Zeit also, als die Frauen und Männer um die 60 Jahre, die auf den Stühlen Platz nehmen, noch jung waren. Donald Tusk ist bereits 66 Jahre alt, wenn auch seine Haare noch jugendlich blond sind und er dynamisch-sportlich wirkt. Die Partei begeistert vor allem die Älteren.
Dann kommt der Hoffnungsträger endlich auf die Bühne, er wird mit Jubel empfangen. „Unsere wohl größte Stärke ist unser Gemeinschaftsgefühl. Damit sind wir in der Lage das Böse zu überwinden, auch wenn es durch die Regierenden organisiert und finanziert wird.“ Sein Ton ist ruhig, es herrscht eine fast familiäre Atmosphäre im Saal. Doch die Botschaft ist klar: Die PiS mit ihrem Parteichef Jaroslaw Kaczynski soll weg, ihre Entscheidungsträger gehören vor Gericht. Dann liest Tusk aus Briefen und E-Mails von Menschen, die ihre sozialen Nöte schildern. Die PiS geißelt die Bürgerplattform Tusks (PO), die die Bürgerkoalition anführt, als Partei der sozialen Kälte. Der Danziger Tusk widerspricht: „Wir nehmen niemandem etwas weg.“
Ein wichtiges Thema ist in Polen die Migrationspolitik
Auch das Thema illegale Migration kommt zur Sprache. Mitarbeiter des polnischen Außenministeriums stehen im Verdacht, dass sie bis zu 350.000 Arbeitsvisa illegal ausgestellt haben sollen. Um davon abzulenken, beschuldigt die Regierung den europafreundlichen Tusk, ein zweites Lampedusa aus Polen machen zu wollen, in dem er massenhaft Flüchtlinge ins Land holt. Gegen diesen Vorwurf wehrt sich der Herausforderer heftig.
Anlass dazu bietet ein Flüchtlingsaktivist tunesischer Herkunft, der in der Sporthalle verlangt, dass Polen großzügiger Menschen aufnimmt, die derzeit über das Mittelmeer nach Europa kommen. Genau das will Tusk aber nicht. Er erinnert an ein Gespräch mit Angela Merkel im Flüchtlingsjahr 2015. „Wir können die Migranten an der Grenze nicht aufhalten, es sind zu viele“, habe die Bundeskanzlerin gesagt. „Wir können sie nicht aufnehmen, es sind zu viele“, habe er, Tusk, als Präsident des Europäischen Rats geantwortet.
Protest in Polen: Für Sonntag hat die Opposition zu einer Großkundgebung aufgerufen
Die Bürgerplattform plant am kommenden Sonntag eine Großveranstaltung in Warschau. Mehrfach wirbt der einstige Solidarnosc-Aktivist Tusk für den „Marsch der Millionen Herzen“ in der Hauptstadt. Die Kundgebung dürfte ein Test dafür sein, wie groß das Bedürfnis der Polinnen und Polen nach Veränderung wirklich ist. Am Ende seines Auftritts wird Donald Tusk von seinen Fans umringt. Das Ehepaar Michal und Patrycja hat ein Autogramm von ihm ergattert: „Tusk ist in der Politik, was Lewandowski im Fußball ist – beide vertreten uns auf eine würdige Weise auf der internationalen Bühne“, sagen sie.
Für die Abgeordnete der PO aus dem Kreis, Kamila Gasiuk-Pihowicz, ist es eines der wichtigsten Ziele der Bürgerplattform, dass die von Brüssel zurückgehaltenen EU-Gelder für Landwirtschaft und Infrastruktur endlich ausgezahlt werden. Sie sind bis dato gesperrt, weil Brüssel Verstöße gegen Prinzipien der Rechtsstaatlichkeit in Polen anprangert. Es geht um 75 Milliarden Euro Strukturhilfen.
Die Arbeitslosigkeit in Minsk Mazowiecki und in der Region ist moderat, offiziell fünf Prozent – also so wie der Landesdurchschnitt. Dennoch sind viele Jüngere längst in die nur 50 Kilometer entfernte Hauptstadt abgewandert. In dem ausgestorben wirkenden Zentrum des Städtchens mit seinen Wohnblocks aus der sozialistischen Zeit, Neubauten und einigen Holzhäusern hat Tusk ein Heimspiel. Lediglich die beiden Verkäuferinnen eines Spirituosenladens am Bahnhof spotten über dessen Auftritt: „Die Politiker versprechen vor den Wahlen sehr viel, aber unsere Erwartungen sind jetzt schon sehr, sehr klein.“