Die polnische Regierung lässt sich nicht an rhetorischer Härte überbieten, wenn es darum geht, die Migration nach Europa zu geißeln. Nicht selten kommen aus der nationalkonservativen Regierungspartei PiS offen fremdenfeindliche Töne. Umso brisanter ist die Affäre um verscherbelte Arbeitsvisa, die im Nachbarland aktuell immer höhere Wellen schlägt – auch wenn das Ausmaß des mutmaßlichen Skandals noch unklar ist.
"Die Angelegenheit hat das Potenzial dazu, dass die Karten im Wahlkampf neu gemischt werden", sagte der Leiter des Warschauer Büros der Konrad-Adenauer-Stiftung (KAS), David Gregosz, im Gespräch mit unserer Redaktion. Medien und die oppositionelle, liberalkonservative Bürgerplattform (PO) mit dem früheren Ministerpräsidenten Donald Tusk an der Spitze werfen Behörden vor, einen schwungvollen illegalen Handel mit Arbeitsvisa über polnische Konsulate in Afrika und Asien betrieben zu haben.
PiS-Chef Jaroslaw Kaczynski bestreitet, dass es überhaupt eine Affäre gibt
Auch wenn PiS-Chef Jaroslaw Kaczynski bestreitet, dass es überhaupt eine Affäre gibt, hat die Angelegenheit höchste Kreise erreicht. Zwar lehnte Außenminister Zbigniew Rau am Montag einen Rücktritt ab, jedoch wurde sein Stellvertreter, Piotr Wawrzyk – zuständig für konsularische Angelegenheiten – bereits entlassen. Es laufen Ermittlungen gegen Mitarbeiter der Behörde, drei Personen wurden festgenommen. Wawrzyk hat einen Suizidversuch unternommen. Das sei die Folge der Hetze durch die Opposition, erklärte die Regierung.
Das Portal Onet und die liberale Tageszeitung Gazeta Wyborcza hatten Wawrzyk als Drahtzieher hinter dem System ‚Geld gegen polnische Visa‘ ausgemacht. Onet sprach am Anfang von 600.000 Fällen in den letzten 30 Monaten, die Opposition nennt 250.000 irregulär vergebene Visa. "Die Regierung versucht das Thema kleinzuhalten und spricht von einigen hundert Fällen", sagt David Gregosz.
Betroffen sind die Konsulate in einer ganzen Reihe von Ländern
Der KAS-Büroleiter hält die PiS-Zahlen für deutlich zu gering. Alleine die Tatsache, dass die polnische Staatsanwaltschaft in drei Weltregionen ermittelt und eine ganze Reihe an Ländern wie Kenia, Uganda, Nigeria bis über die Philippinen und nicht zuletzt Indien, lasse vermuten, dass die Fallzahlen im hohen fünfstelligen Bereich, wenn nicht sogar im mittleren sechsstelligen Bereich liegen dürften. Gregosz: "Insgesamt hat das natürlich Sprengkraft." Schließlich scheine es, "überspitzt formuliert, so etwas wie staatliche Schleusungen" zu geben.
In Brüssel und Berlin dürfte man das Geschehen sehr genau beobachten, zumal offensichtlich viele der Männer und Frauen, die im Besitz eines polnischen Arbeitsvisums sind, nach Deutschland und weitere Schengenstaaten weiterreisen. Warschau muss sich auf unangenehme Fragen einstellen. Zumal die Regierung offiziell eine radikale Begrenzung der Migration fordert und sich seit Jahren standhaft weigert, Flüchtlinge, die beispielsweise in Italien gelandet sind, aufzunehmen.
Die Affäre liefert Munition für die Opposition
Innenpolitisch liefert die Affäre der Opposition Munition. Denn auch Polen, dessen Wirtschaft in den letzten Jahren rasant gewachsen ist, leidet unter einem Mangel an Fachkräften. Die Regierung wirbt gezielt Männer und Frauen aus dem nichteuropäischen Ausland an, gleichzeitig aber hat die PiS zum Wahltag am 15. Oktober ein Referendum über einen EU-Asylkompromiss initiiert, der eine verpflichtende Aufnahme von Flüchtlingen vorsieht. Genau dagegen kämpft die PiS seit Jahren.
Ob es der Opposition tatsächlich gelingt, ihren stabilen Rückstand von drei bis sechs Prozent aufzuholen, scheint David Gregosz zwar denkbar, aber keinesfalls ausgemacht: "Die PiS-Regierung hat in den letzten acht Jahren schon manchen politischen Skandal überlebt."