Startseite
Icon Pfeil nach unten
Politik
Icon Pfeil nach unten

Polen: "In Polen regiert heute das Böse": Das Duell der Schwergewichte

Polen

"In Polen regiert heute das Böse": Das Duell der Schwergewichte

    • |
    In seiner Rede schwor Tusk seine Partei auf einen entschiedeneren Kampf gegen die PiS ein.
    In seiner Rede schwor Tusk seine Partei auf einen entschiedeneren Kampf gegen die PiS ein. Foto: Philipp von Ditfurth, dpa

    Es sollte der große Tag des Jaroslaw Kaczynski werden. Polens starker Mann, eben 72 Jahre alt geworden, wollte sich ein letztes Mal zum Chef der rechtsnationalen Regierungspartei PiS wählen lassen. Für vier Jahre, um das Land unumkehrbar zu verändern. Um „die jahrhundertealten Rückstände gegenüber dem Westen einzuebnen“, wie es Kaczynski auf dem PiS-Parteitag formuliert. Kritiker nennen ihn autoritär. Illiberal. Antidemokratisch. „Ich bin überzeugt, dass wir siegen werden“, sagt Kaczynski. Und dann wird er tatsächlich gewählt, mit sagenhaften 1245 zu 18 Stimmen. Aber zum Jubeln ist Kaczynski längst nicht mehr. Dafür hat ein Mann gesorgt, der seit zwei Jahrzehnten Kaczynskis Erzrivale ist. Viele sagen: sein Erzfeind.

    Ein Schlachtfeld mit Donald Tusk an der Spitze

    „Ich bin zurück“, sagt Donald Tusk. Im Polnischen ist das ein einziges Wort: „Wrocilem.“ Der frühere Premier und Chef der bürgerlich-liberalen PO, der größten Oppositionspartei im Land, soll Polens proeuropäische Opposition aus der Krise führen. Dazu muss der frühere EU-Ratspräsident das Machtmonopol der nationalkonservativen PiS brechen. Und Tusk will einen existenziellen Kampf führen. „In Polen regiert heute das Böse“, sagt er und meint Kaczynski. „Wir gehen auf das Feld, um mit dem Bösen zu kämpfen.“ Ein Schlachtfeld also. An der Spitze der Truppe: Tusk.

    Tusk ist wieder da! So lautet die Nachricht, mit der kaum jemand in Warschau ernsthaft gerechnet hatte. Es war gemunkelt worden und gemutmaßt. Aber solche Spekulationen hatte es auch schon vor der Präsidentenwahl 2020 gegeben, und am Ende hatte Tusk abgewunken. Nun aber kehrt er mit einer Wucht zurück, die keine Zweifel zulässt: Ab sofort geht es um alles. Tusks Rede ist eine Abrechnung. Seit der Regierungsübernahme der PiS 2015 würden im Land „Minderheiten verachtet und Frauen drangsaliert“, sagt er und redet sich in Rage. „Ich möchte nicht in einem Land leben, in dem die Machthaber schamlos Befehle erteilen, Frauen zu schlagen. Unsere Mütter, unsere Töchter.“ Es ist eine Anspielung auf Polizeigewalt bei Protesten gegen das verschärfte Abtreibungsrecht.

    Jaroslaw Kaczynski mit dem ungarischen Staatschef Viktor Orbán
    Jaroslaw Kaczynski mit dem ungarischen Staatschef Viktor Orbán Foto: Jacek Bedarczyk, dpa

    Seit vielen Jahren ist von einem „Krieg der Polen gegen die Polen“ die Rede. Auf beiden Seiten. Und beide Seiten beanspruchen das Gute für sich, während die anderen immer die Bösen sind. Kaczynski nannte seine Widersacher einst „die übelste Sorte von Polen“, denen der „Verrat in die Gene eingeschrieben ist“. Tusk hält dagegen. Die PiS plündere das Land aus, in dem inzwischen „eine Mutter, die allein ein Kind erzieht, niemand ist, während ein dicker Parteiapparatschik in einer Limousine alles ist“.

    Der Kohleausstieg steht fest und für den Sozialstaat fehlt das Geld

    Das trifft Kaczynski am wundesten Punkt. Über viele Jahre hinweg hat er die PiS erfolgreich als Partei der kleinen Leute positioniert. Als einzige Kraft, die für die Entrechteten und Geknechteten kämpft. Nicht für die Aufsteiger in den boomenden Metropolen, sondern für die einfachen Menschen in der Provinz, die ihren katholischen Glauben bewahren wollen und ihre Traditionen. Für die Kohlekumpel, die nichts von einem grünen Klimadeal in Brüssel wissen wollen. Die sich in dieser „deutsch dominierten“ EU zu Europäern zweiter Klasse degradiert fühlen. Viel hat die PiS für diese Menschen getan, die ihre Stammwähler sind. Doch in sechs Jahren an der Macht ist das Image der Kümmerer-Partei verblasst. Der Kohleausstieg ist beschlossen, und für einen weiteren Ausbau des Sozialstaats fehlt nach der Corona-Pandemie das Geld.

    Tusk ist das lebende Gegenteil von Kaczynski. Er war von 2007 bis 2014 Polens Ministerpräsident. In dieser Zeit bildete sich ein gutes Verhältnis zu Kanzlerin Angela Merkel heraus. Polen war dem Westen zugewandt, wurde in Berlin, Brüssel und Washington als wichtiger Partner gesehen. Ein starker Kontrast zur Außenpolitik der euroskeptischen und erzkonservativen PiS. 2014 wechselte Tusk nach Brüssel ins Amt des EU-Ratspräsidenten. Dort wollte er dafür sorgen, dass die Ost-Staaten endgültig in der Gemeinschaft ankommen. Dabei agierte er anfangs eher vorsichtig, fast zaghaft. Dann aber passierte, was ausgerechnet dem kämpferischen Pro-Europäer bis zum letzten Tag unfassbar erschien: Die Briten stimmten mit knapper Mehrheit für einen Austritt aus der Union. Es war für den Polen Tusk, der sein Land als festen Bestandteil Europas sah und der als Ministerpräsident die Wiederbelebung des Weimarer Dreiecks mit Deutschland und Frankreich geradezu zelebriert hatte, unbegreiflich, wie man die Errungenschaften der Europäischen Union wieder zurückgeben konnte.

    Tusk wurde zum Vorsitzenden der Europäischen Volkspartei

    Nun sind die Instrumente, mit denen ein Ratspräsident Politik machen kann, äußerst begrenzt. Er gilt zwar als Spiritus Rector der Staats- und Regierungschefs, leitet aber eher die Geschäfte, als dass er selbst in Erscheinung tritt. Bei Tusk war dies vor allem gegen Ende seiner Amtszeit anders. Gerade in Abgrenzung zu dem von ihm als unerträglich empfundenen Kurs seiner Nachfolger in Warschau, propagierte er die Gemeinschaft als die Familie, in der Polen eine neue Heimat gefunden hatte – und in der dieses Land auch zu einer bestimmenden Größe werden sollte.

    Dass Tusk danach zum Vorsitzenden der Europäischen Volkspartei (EVP), dem Dachverband von über 50 nationalen christdemokratischen Parteien, wurde, war mehr ein Versuch, den großen Politiker nicht fallen zu lassen. Denn der weigerte sich zunächst, direkt aus dem Amt des Ratspräsidenten wieder in die Innenpolitik zu wechseln. Aber er führte auch dort seine Abgrenzung fort: Die ersten Initiativen zum Ausschluss der ungarischen Fidesz-Regierungspartei aus der Parteienfamilie kamen von ihm – auch wenn das nur Insider gemerkt haben.

    Diskutieren Sie mit
    0 Kommentare
    Dieser Artikel kann nicht mehr kommentiert werden