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Piraten: Mit dem Willen zur Macht

Piraten

Mit dem Willen zur Macht

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    "Wir wollen den Stil der Politik ganz grundlegend verändern." Piraten-Parteichef Sebastian Nerz.
    "Wir wollen den Stil der Politik ganz grundlegend verändern." Piraten-Parteichef Sebastian Nerz. Foto: dpa

    Große Veränderungen beginnen im Kleinen. Die 15 Abgeordneten der Piratenpartei, die jetzt ins Berliner Abgeordnetenhaus einziehen, beschäftigt zwei Wochen nach der Wahl nicht die desolate Finanzlage der Stadt und auch nicht der Streit um die Stadtautobahn, der Sozialdemokraten und Grüne gerade entzweit hat, sondern die ungleich profanere Frage, wer eigentlich wo Platz nimmt im neuen Parlament. Ganz rechts, in den Reihen, die bisher für die FDP-Fraktion reserviert waren, wollen die Piraten auf keinen Fall sitzen, sondern lieber etwas weiter in der Mitte, zwischen den Grünen und der Linkspartei. Es ist, wenn man so will, eine Prinzipienfrage: Die Freibeuter sehen sich nicht so gerne als politische Nachfolger der Freien Demokraten.

    Berlin, Bundespressekonferenz. Sebastian Nerz, der Vorsitzende der jungen Partei, argumentiert schon wie ein alter Hase. Eine Koalition mit Sozialdemokraten und Grünen nach der Bundestagswahl 2013? Bei acht Prozent in den Umfragen ist die Frage erlaubt – und die Antwort verblüffend. Ja, sagt Nerz, eine Regierungsbeteiligung könnten sich seine Piraten durchaus vorstellen.

    Dass sie zu zentralen Fragen der deutschen Politik wie dem Einsatz der Bundeswehr in Afghanistan, der Zukunft der Renten oder dem Kampf gegen die Schuldenkrise bisher keine Position haben, hindert den 28-Jährigen nicht daran, schon mit den ganz Großen zu flirten. „Muss eine Partei Antworten auf alle Fragen haben“, kontert er. „Ich glaube nicht.“ Auch die etablierte Konkurrenz habe das ja nicht, man denke nur an Griechenland.

    "Wir wollen den Stil der Politik ganz grundlegend verändern."

    Vor ein paar Jahren hat Nerz noch erfolglos für die CDU für den Tübinger Gemeinderat kandidiert. Heute stellt sich der angehende Bioinformatiker der Hauptstadtpresse, als seien die Piraten längst eine etablierte Kraft im politischen System: Er posiert bereitwillig für die Fotografen der Nachrichtenagenturen, zitiert Umfragen, nach denen einige Wahlforscher seiner Partei bis zu 17 Prozent zutrauen, und verspricht im Brustton der Überzeugung: „Wir wollen den Stil der Politik ganz grundlegend verändern.“ Das Laptop, das selbst während der Pressekonferenz aufgeklappt vor ihm steht, ist so gesehen auch ein Symbol: Piraten sind immer online.

    Den Begriff „Internetpartei“ hört Nerz allerdings nicht so gerne. „Wir sind eine sozialliberale Grundrechtspartei“, sagt er dann. Wofür die steht, außer für die eher allgemeine Forderung nach mehr Transparenz und mehr Bürgerbeteiligung in der Politik, bleibt allerdings auch nach dem gut einstündigen Sparring mit den Berliner Parlamentsjournalisten im Unklaren. Ein Parteiprogramm im klassischen Sinn haben die Piraten schließlich noch nicht und werden es vermutlich auch nie haben. „Wir wollen die Antworten von den Leuten“, sagt Geschäftsführerin Marina Weisband, eine in Kiew geborene Psychologiestudentin, die als Zweitberuf „freischaffende Künstlerin“ angibt und Politik als ständigen Diskurs begreift, in dem sich die Positionen irgendwann schon zurechtschütteln.

    Deshalb böten die Piraten ihren Anhängern auch kein Programm wie die CDU, die SPD oder die Grünen an, sagt sie, sondern „ein Betriebssystem“, also eine Art Plattform, auf der sich die Meinungen erst allmählich bilden. Das Internet habe auch das Denken der Menschen verändert, findet die 24-Jährige. „Das muss man nicht nur begreifen, das muss man nutzen.“

    „Echte Gleichstellung beginnt dort, wo man aufhört, die Frauen zu zählen.“

    Marina Weisband ist eine der wenigen Frauen, die sich bei den Piraten engagieren. Wie viele der mehr als 13.000 Mitglieder überhaupt weiblich sind, weiß allerdings nicht einmal die Geschäftsführerin: Die Partei fragt bei der Aufnahme nicht nach dem Geschlecht und ist in den Augen der jungen Deutsch-Ukrainerin damit emanzipierter als all die Grünen und Sozialdemokratinnen mit ihrem Quotendenken: „Echte Gleichstellung beginnt dort, wo man aufhört, die Frauen zu zählen.“

    Im Berliner Abgeordnetenhaus wird nur eine Frau in der Fraktion der Piraten sitzen. Andreas Baum, ihr Vorsitzender, hat im Moment allerdings andere Probleme. Der 33-Jährige soll erklären, wie die Piraten denn Wahlversprechen wie das kostenlose Benutzen von Bussen und Bahnen oder ein bedingungsloses Grundeinkommen finanzieren wollen, und schaut ein wenig ratlos auf sein Notebook. Dann redet er von den Tausenden von Euro, die die Stadt sich spare, wenn sie keine Fahrkartenautomaten mehr anschaffen und unterhalten müsse, und vom Mindestlohn, den es künftig geben müsse. Wie das alles zusammenpassen soll, kann er nicht wirklich erklären. Nur so viel vielleicht noch: „Das Geld ist ja da.“

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