Inflation, höhere Löhne für Pflegekräfte, mehr Arbeitslose und immer mehr Menschen im Rentenalter: Im gesetzlichen Sozialversicherungssystem, egal ob bei den Krankenkassen oder in der Pflege-, Renten- und Arbeitslosenversicherung, wachsen die Kosten rasant. Schon jetzt dreht die Bundesregierung kräftig an der Beitragsschraube, vor allem in der Kranken- und Pflegeversicherung.
Wie hoch sind die Lohnnebenkosten?
Die Lohnnebenkosten teilen sich Arbeitgeber und Arbeitnehmer in der Regel zur Hälfte. Eine Ausnahme ist lediglich der Beitrag zur Pflegeversicherung: Hier zahlen Kinderlose 0,6 Prozent mehr vom Brutto, während Eltern mit mehr als einem Kind im Alter von 25 Jahren pro Kind 0,25 Prozent Lohnabzug sparen. Lange Zeit galt das Prinzip, dass die Summe der Lohnnebenkosten am gesamten Bruttolohn inklusive des Arbeitgeberanteils nicht über die Schwelle von 40 Prozent steigen soll. Nach den Hartz-Reformen gelang es tatsächlich, die Grenze zu unterschreiten. Im vergangenen Jahr wurde die Grenze aber erstmals seit 2012 wieder nach oben durchbrochen. Der Anteil der Sozialabgaben am Lohn liegt heute im Schnitt bei 40,9 Prozent. Für kinderlose Arbeitnehmer sogar bei 41,5 Prozent. Damit sind die Lohnnebenkosten so hoch wie seit 2006 nicht mehr.
Wie entwickeln sich die Krankenkassenbeiträge?
Für Millionen Versicherte wurde die Krankenkasse 2024 zum vierten Mal binnen fünf Jahren teurer: Lag der Kassenbeitrag 2019 noch bei 15,5 Prozent, kletterte er dieses Jahr durch steigende Zusatzbeiträge im Schnitt auf 16,3 Prozent. Für Beschäftigte mit einem mittleren Einkommen macht dies eine jährliche Mehrbelastung von über 175 Euro aus. Die Höhe der Krankenkassenbeiträge hängt nicht nur von den Ausgaben im Gesundheitssystem ab, sondern auch von der Lohnentwicklung. Steigen die Löhne, bekommen auch die Kassen unterm Strich mehr Geld. Allerdings haben die Inflation und viele Gesetze im Gesundheitssystem die Kosten hochgetrieben. Der Spitzenverband der Krankenkassen fürchtet, dass der durchschnittliche Beitrag bereits im kommenden Jahr auf 16,9 Prozent steigen könnte. Wenn die Entwicklung so weitergeht, könnten die Beiträge laut einer Studie im Auftrag der Krankenkasse DAK bis zum Jahr 2035 auf 19,3 Prozent klettern.
Wie entwickeln sich die Rentenbeiträge?
Der Beitragssatz zur Rentenversicherung liegt seit 2018 stabil bei 18,6 Prozent und soll auch kommendes Jahr gleich bleiben. Die Rentenkasse hat von gestiegenen Löhnen sowie einer Zunahme der Erwerbstätigen stärker profitiert, als man noch vor einigen Jahren erwartet hatte. Doch das größte Problem der Rentenversicherung ist, dass in den kommenden Jahren alle geburtenstarken Jahrgänge das Rentenalter erreichen und die Bevölkerungsentwicklung finanziell immer mehr durchschlägt. Die Ampel ringt derzeit um eine Rentenreform. Ob dies gelingt, sei offen, sagt der Experte Jochen Pimpertz vom Institut der Deutschen Wirtschaft. „Kurzfristig ließe sich damit der Beitragssatz zwar stabilisieren, auf mittlere Sicht droht der Beitragssatz zur Rentenversicherung aber stark zu steigen“, sagt der IW-Volkswirt. Auch die DAK-Studie erwartet, dass die Beiträge in spätestens vier Jahren die 20-Prozent-Marke erreichen und bis zum Jahr 2035 auf 22 bis 23 Prozent steigen werden.
Wie sehr wird die Pflege zur Beitragsbelastung für Arbeitnehmer?
Die Bevölkerungsentwicklung setzt neben der Rentenversicherung auch die Pflegeversicherung stark unter Druck, weil die Zahl der Pflegebedürftigen weiter steigen wird. Dieses Jahr stieg der Beitragssatz nach fünf stabilen Jahren von 3,05 auf 3,4 Prozent. IW-Volkswirt Pimpertz erwartet, dass der Satz kommendes Jahr nochmals um 0,3 Prozent angehoben wird. „Die bisherigen Schätzungen zur Ausgabenentwicklung haben sich als zu optimistisch erwiesen– höhere Löhne in der Pflege, außergewöhnlich stark steigende Fallzahlen und der Leistungszuschlag bei stationärer Pflege haben die Ausgaben unerwartet stark in die Höhe getrieben.“ Die DAK-Studie erwartet 2035 einen Beitragssatz zwischen 4,1 und 4,7 Prozent.
Wie geht es mit der Arbeitslosenversicherung weiter?
Jahrelang lief es gut auf dem deutschen Arbeitsmarkt. Die Beiträge konnten über viele Jahre stabil gehalten oder gesenkt werden. Diese Zeiten scheinen aber erst einmal vorbei zu sein: Die Folgen der Corona-Krise haben die Rücklagen der Bundesagentur für Arbeit in Höhe von rund 26 Milliarden Euro aufgezehrt. Der Beitragssatz zur Arbeitslosenversicherung wurde 2023 von 2,4 auf 2,6 Prozent angehoben. Die schwächelnde Konjunktur macht sich inzwischen auch auf dem Arbeitsmarkt bemerkbar. Die Zahlungen für das Arbeitslosengeld stiegen 2023 bereits um 13,5 Prozent an. Zudem steht die Bundesarbeitsagentur vor der Herausforderung, wieder eine Rücklage für neue Krisenzeiten aufzubauen. Die wirtschaftliche Erholung in Deutschland findet aber langsamer statt als erwartet.
Was bedeuten die hohen Lohnnebenkosten in Summe?
Für Arbeitgeber werden durch die hohen Lohnkosten Arbeitsplätze in Deutschland immer teurer. Allein das Halten der Höhe des Nettolohns der Beschäftigten erfordere für Unternehmen „zusätzliche Bruttolohnerhöhungen, die die Arbeitskosten weiter in die Höhe treiben und letztlich den Beschäftigungsstandort Deutschland zusätzlich belasten“, warnt IW-Volkswirt Pimpertz. Laut der DAK-Studie dürften die Lohnnebenkosten bis zum Jahr 2035 auf 46 bis 51 Prozent steigen. DAK-Chef Andreas Storm warnt vor einem „Beitragstsunami“, der Versicherte und Arbeitgeber überfordere. Demnach würden Beschäftigte künftig in der Regel doppelt so viel Geld für Sozialabgaben wie für Steuern zahlen. Und anders als bei der sozialen Komponente im Steuersystem sind die Beitragsätze unabhängig vom Einkommen für jeden gleich.
Eine Frage: Warum werden in so einem ausführlichen Artikel die Hauptgründe fürs Defizit in Kranken- und Pflegeversicherung unterschlagen?
Die da wären? Immer mehr Pflegebedürftige die immer teurer und Länger versorgt werden müssen? Immer weniger Beitragszahler die eine steigende Anzahl auskömmlich verrenteter Babyboomer bezahlen müssen? Größter Niedriglohnsektor in der EU?
Alles richtig, was Sie schreiben. Aber es sind nicht die Hauptgründe, und das wissen Sie auch
Herr Denk, wenn Sie hier schon kryptische Andeutungen machen, dann sprechen Sie doch einfach aus, was Sie meinen. Dann kann man auch darüber diskutieren. Oder gehören Sie zu der Fraktion, die meint, man dürfe ja nicht mehr alles sagen?
Laut dem IFO Institut würde ein Wegfall der Beitragsbemessungsgrenze sofort 5 Mrd Mehreinnahmen der GKV bedeuten, und dabei vor allem die starken Schultern fordern. Warum sollten wir das nicht tun?
Am Reißbrett und rein rechnerisch vielleicht. In der Realität dürfte das anders enden: Enormer Zulauf von "starken Schultern" bei den PKV, die dann bei Bedarf (nicht mehr so starke Schultern) in die solidarische GKV zurück wechseln. Nachhaltige Mehreinnahmen für GKV eher fraglich. Vielleicht Einmaleffekte.
Die Gesundheitsausgaben für Menschen mit Bürgergeldbezug liegen weiter deutlich über dem Betrag, der aus Steuergeldern in das System der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) überwiesen wird. Insgesamt 9,2 Milliarden Euro pro Jahr fehlen dadurch der GKV, rechnet eine aktuelle Studie des IGES-Institutes im Aufragt des GKV-Spitzenverbandes vor. Dies mit steigender Tendenz.
Also Ergebnis: Wechsel von PKV in GKV verbieten, oder PKV nurmehr als Zusatzversicherung - wer sich freiwillig unserem Sozialwesen entziehen möchte hat keinen Anspruch auf gesellschaftliche Versorgung im Alter "weil die PKV zu teuer wird"
Wenn auch die aussichtsreichsten Vorschläge zerredet werden wird das Milliardendefizit der Pflegeversicherung bestimmt nicht kleiner.
Muss bei der PKV nicht für jede Person eigens bezahlt werden? Dann dürfte sich Ihr "enormer Zulauf" allerdings in Grenzen halten.
Das wäre eine Möglichkeit. Klappt allerdings bereits heute nicht und wird es auch zukünftig nicht. PKV nur als Zusatzversicherung dürfte nicht nur verfassungsrechtliche Probleme mit sich bringen. Es ist eben nicht nur "Beitragsbemessungsgrenze abschaffen" und gut ist. Zudem: Wer sind den "die starken Schultern" genau? Eine Stellschraube in einem kaputten System zu bewegen wird bei Weitem nicht reichen. Das System grundlegend zu reformieren, wurde seit Dekaden versäumt - ein Unfall in Zeitlupe.
Grundsätzlich ja. Vermutlich auch tarifabhängig. Aber wie viele Familien vermuten Sie unter den "starken Schultern" oberhalb der Bemessungsgremze? Vermute eher gutverdienende Singles und DINKs in dieser Bevölkerungsgruppe.
Also sind die Bürgergeldempfänger wieder einmal schuld und kränker als Menschen in Arbeit? Vielleicht bekommen sie deswegen Bürgergeld, WEIL sie krank sind? Wenn Sie schon diese Studie erwähnen, sollten Sie uns diese nicht vorenthalten: https://www.iges.com/e6/e1621/e10211/e59145/e65990/index_ger.html?preview=preview Wenn der Bund für die Bürgergeldbezieher zu wenig Krankenkassenbeiträge entrichtet hat, dann sollte man den jetzigen und auch die früheren Finanzminister fragen, warum das so ist.
Die Welt verändert sich und damit auch die Grund- Rahmenbedingungen.. Der einzelne Mensch muss sich selbst mehr an seinem eigenen Einkommen beteiligen. Millionen Menschen hängen in Deutschland in der sozialen Hängematte, was ihnen auch reicht. Der letzte und erschwerte Weg muss Bürgergeld oder Sozialhilfe sein. Die überteuerten Kosten in der Pflege, Krankenhäuser, alles was den Bürger, den Menschen zum Leben betrifft, steht in keinem Verhältnis zu der Versorgung. Die wenigsten können sich noch an ihrer Rente, Altersversorgung selbst beteiligen, zu zahlen. Die Arbeitsjahre, Einkommen und was hinten rauskommt die spätere Rente sind eine Schande. Der Rententopf, Sozialversicherungen wurde immer mehr geplündert und woanders ausgegeben.. Mit dem altem Muster, Denken ist unsere Politik neue Wege gegangen.. alter Hut auf neuen Köpfen... Merkel hat Schröders Agenda 2010.. 16 Jahre weitergeführt, es hat der Mut zur Veränderung gefehlt, alles wurde nur ausgesessen, arm gespart..
Ganz interessant wäre, wie viel Einfluss die sehr geringen Beiträge der "Geringbeschäftigten" haben auf das Versorgungssystem haben. Die sog. 450-Euro-Jobs sind reizvoll für Arbeitnehmer und Arbeitgeber: die einen haben wenig Abzüge und bekommen den Verdienst ausbezahlt, die Arbeitgeber profitieren von geringen Beiträgen, die abzuführen sind. Was ursprünglich als gute Sache gedacht war und "Nebenjobs" besser stellen sollte, z.B. mit einer Unfallversicherung etc., ist für viele Menschen mittlerweile das Haupteinkommen. Von zwei 450-Euro-Jobs kommt man durchaus über die Runden – aber die Beiträge fehlen in Kranken- und Rentenkasse. Viele werden es erst merken, wenn sie in Rente gehen. Darüber wäre nachzudenken.
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